Eine Metalltür fällt schwer ins Schloss. Dahinter der neunjährige Nikolas – das Opfer. Der Täter ist auch noch ein Kind: Leon, 13 Jahre, ein Junge aus gutem Hause. Was er bezweckt mit seiner Geiselnahme weiß keiner. Nur Mathilda, ebenfalls 13, kennt das Geheimnis dieses so abgeklärt wirkenden Jungen, für den sie sich sichtlich interessiert. Für sie scheint das Ganze eine willkommene Abwechslung zu sein von ihrem tristen Alltag mit ihrer alkoholkranken Mutter. Das vaterlose Mädchen, das immer wieder krass ältere Männer anflirtet, ist geradezu euphorisiert: „Ich will dabei sein, wenn du es machst; ich will zusehen, wenn einer stirbt.“ Aber Leon denkt erst einmal nicht daran, Nikolas etwas zu tun. Vielmehr schleicht er sich in die Familie des Jungen ein. Insbesondere auf die Mutter scheint er es „abgesehen“ zu haben. „Schmierst du mir ein Brot?“ Die Polizeipsychologin Claudia Meinert wird bei ihren Ermittlungen rasch aufmerksam auf den seltsamen Jungen. Es bleibt ihr nicht viel Zeit. Nur noch drei Tage ist der Junge 13 Jahre alt, also strafunmündig.
Ein Kind straft die eigenen Eltern mit Schweigen, es terrorisiert eine andere Familie, tyrannisiert eine fremde Mutter. „Bastard“ beginnt wie ein dramatischer Krimi mit Thriller-Elementen, die sich zunehmend im Psychologischen festbeißen, bevor das Langfilmdebüt von Carsten Unger ins hoch Dramatische abdreht. Dabei bleibt die Stimmungslage cool wie seine jugendliche Titelfigur. Aber auch die Psychologin, gewohnt konzentriert gespielt von Martina Gedeck, ist eine Frau der unterkühlt analytischen Gangart. Gefühle kann sich diese Frau nicht leisten; dass sie selbst überraschend (und spät) schwanger geworden ist, verdrängt sie – erst die Arbeit, dann die eigenen Emotionen. Abgebrüht bis zur völligen Abwesenheit von Empathie – so gibt sich auch die dritte Hauptfigur: Mathilda hat ihr Äußeres, ihre kindliche Weiblichkeit; mit ihrer erwachenden Sexualität versucht sie, sich kleine Fluchten zu zimmern, Traumwelten zu schaffen, mit denen sie ihre Realität und den Schmerz darüber hinter sich zu lassen hofft. Leon und Mathilda sind zwei vergessene Kinder. Für beide bleibt wenig Hoffnung. Mit Müttern wie Claudia Meinert könnte etwas gewonnen sein. Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Ihre Berufs-, Fall- und Ergebnisorientiertheit ist nicht davor gefeit, Fehler zu machen.
Debütant Carsten Unger will viel erzählen in „Bastard“: ein psychologisches Dreieck jagt das nächste; soziale Vereinsamung und emotionale Verkümmertheit durchziehen die Interaktionen. Nur ein einziges Mal kommt so etwas wie „ehrliche“, vorbehaltlose (nicht erzwungene oder ritualisierte) Nähe auf: in dieser Szene kommen sich die beiden 13jährigen näher. Mathilda schminkt Leon, zu dem sie früher einmal sagte: „Du siehst voll schwul aus – aber schöne Augen.“ Letztlich aber ist auch diese Nähe trügerisch… Jede Figur hat ihre Geschichte. Was in routinierten Genredramen häufig zu kurz kommt – hier wird es einem fast zu viel. Es überlädt den ohnehin thematisch schweren Film um jugendliche Identitätssuche und gibt ihm etwas unnötig Bedeutungsschwangeres. Eine etwas straffere Dramaturgie – besonders im Schlussteil – hätte dem Zweistunden-Film überdies gut getan. Diese dramaturgischen Mängel sind während des Sehens weniger augenscheinlich als danach, da die aufgebaute Nähe zu den drei distanziert entwickelten Hauptfiguren erst gegen Ende so richtig durchschlägt und die Schauspielerleistungen durchweg große Klasse besitzen. Wenn man das, was man von einem Star wie Gedeck erwarten kann, auch von Teenagern zu sehen bekommt, ist das schon höchst bemerkenswert. Bei der Geschichte stockt einem schon gelegentlich der Atem, bei dem, was Markus Krojer und Antonia Lingemann (sie wurden während des Drehs von zwei Pädagogen betreut) in „Bastard“ spielen müssen, bleibt einem regelrecht die Spucke weg.