Das Alter ist nichts für Feiglinge. Auch wenn Anna Welsendorf (Katerina Jacob) alles andere als eine Angstmeierin ist, so hat sie sich doch das Älterwerden ganz anders vorgestellt, als sie vor drei Jahren in den vorzeitigen Ruhestand geschickt wurde. Den Gürtel etwas enger schnallen, mit einem Untermieter kein Problem. Dieser Werner Kurtz (Ernst Stötzner) ist zwar noch ein paar Jährchen älter als sie, aber noch gut in Schuss. Allerdings tickt der ehemalige Finanzbeamte völlig anders als die hilfsbereite Berufsoptimistin, die seit Jahren als ehrenamtliche Telefon-Seelsorgerin tätig ist. Ihre eigenen Bedürfnisse kommen da manchmal etwas zu kurz. „Man will ja auch mal in den Arm genommen werden“, diesen Satz lässt sie sogar in Gegenwart ihres Herrn Kurtz fallen, doch der reagiert schmallippig; Gefühle gehören nicht zu seiner Kernkompetenz. Hauptsache, der Alltag funktioniert. Selbstzufrieden träumt er von einem perfekten Smart Home. Anna dagegen hat es nicht so mit der Digitalisierung. Um sich aber vor ihrem technikaffinen Untermieter, der ihr keinesfalls gleichgültig ist, keine Blöße geben zu müssen, besucht sie kurzerhand einen Digitalkurs für „junge Alte“, nicht ahnend, dass sich damit ihr emotionales Problem möglicherweise lösen könnte: Sitznachbar Godehard (Richy Müller) jedenfalls spricht ihr in so Vielem aus der Seele, dass sie wenig später bestens gelaunt zu Roy Blacks „Du bist nicht allein“ durch die Küche tänzelt…
Es kommt Bewegung in die Kölner Best-Ager-WG der launigen ARD-Reihe „Anna und ihr Untermieter“. Kultivierte „Aller Anfang ist schwer“ vor allem die scheinbar unüberbrückbaren Gegensätze des Duos, fokussierte sich „Dicke Luft“ auf die gescheiterten Beziehungen der Vergangenheit, den Ex von ihr und den Bruder von ihm. In „Wenn du träumst von der Liebe“ könnte sich eine Zukunftsperspektive für Anna auftun. Werner Kurtz befürchtet schon, sich eine neue Bleibe suchen zu müssen, sorgt sich aber auch um „Frau Welsendorf“, die ihm mit ihrer unverstellten, direkten Art schon sehr imponiert. Ein ehemaliger Versicherungsvertreter, der sich plötzlich zum Oboe-Lehrer berufen fühlt, ist für einen Pragmatiker wie Kurtz ein Ding der Unmöglichkeit. Spricht aus seiner Sorge der ewige Pessimist oder ist da banale Eifersucht im Spiel? „Er lacht mit ihr, sie lachen beide, mit mir lacht sie nie“, beklagt er sich bei einem befreundeten Ex-Kollegen (Max Herbrechter). Und dann schaltet Kurtz auf Angriff und kommt plötzlich ebenfalls mit einer Bekanntschaft um die Ecke: Sorana (Katerina Medvedeva), die er auf dem Friedhof kennengelernt hat. Annas Skepsis gegenüber den Absichten der mittellosen rumänischen Witwe scheint ebenso berechtigt zu sein wie Werner Kurtz‘ Befürchtung, Godehard werde irgendwann Anna sicherlich seine Oboe zeigen wollen.
Mögen diese Beziehungskonflikte psychologisch auch an die Sandkastenspiele von Kindern erinnern, so erzählt „Wenn du träumst von der Liebe“ in seinen 90 Minuten doch sehr viel mehr, nicht im Sinne von Handlungs- und Figurenanhäufung, sondern vor allem in Sachen Tiefe und Subtext. Zunächst zeigt Autor Martin Rauhaus („Allmen“-Episoden, „Tatort – Murot und das Prinzip Hoffnung“), Experte für ironische Interaktion, stimmig zwei absolut typische Modelle, wie Männer und Frauen im Alter unterschiedlich mit Einsamkeit umgehen. „Der Mensch ist allein. Der Mensch wird allein geboren, stirbt allein und zwischendurch macht er sich’s eben so nett wie möglich“, bringt Kurtz seine Lebensphilosophie auf den Punkt. Das kann Idealistin Anna nur mit Kopfschütteln quittieren. Dass der Film das emotionale Glück nicht wohlfeil gegen die digitale Faszination ausspielt, ist ein Plus der Dramaturgie. Beide Figuren erkennen ja, dass das Funktionale und das Emotionale sich nicht ausschließen müssen. Ihr Zusammenleben, bei dem sich jeder von jedem etwas abguckt, zeugt davon. Schön, dass in dieser Reihe der Wandel durch Annäherung eher zu stillen Momenten der Erkenntnis führt als sich als Kitsch auszuleben.
Der feine Alltagshumanismus spiegelt sich auch an der Oberfläche: Die Bilder – goldener Herbst in Köln! – passen zu den Geschichten und ihren reifen Charakteren. Alles andere als gemächlich ist das Erzähltempo. Es geht Schlag auf Schlag. Werner Kurtz‘ steife, trockene Art und Ernst Stötzners unnachahmliches Understatement sind der dynamische Kontrapunkt zu Annas Sehnsüchten. Aber auch alle Nebenfiguren übernehmen nicht unwesentliche Erzählfunktionen – und beleben die Szenerie, weil sie mit Katharina Schlothauer, Hannes Hellmann und Max Herbrechter gut und sympathisch. Gleiches gilt für die kleinen Gastrollen (Katerina Medvedeva, Nadja Becker, Murali Perumal) – und ganz besonders für Richy Müller, der seinen sinnlich-feinsinnig Frauenversteher hinreißend verkörpert. Ob das mit ihm und Anna was werden kann? Da Zusammenziehen für ihn, den Individualisten, nicht infrage käme, wäre die Zweier-WG ja erst mal nicht gefährdet. Vielleicht aber braucht die toughe Anna auf Dauer doch mehr Reibungsfläche. Dass die ARD-Pressestelle, der offenbar eine markige PR wichtiger ist als der gute Flow des Zuschauers, zu viel von der Geschichte spoilert, ist schade. So oder so, diese dritte, diesmal von Dagmar Seume („Alleine war gestern“, „Ein Tisch in der Provence“) flüssig & luftig inszenierte Episode von „Anna und ihr Untermieter“ besitzt für einen komödiantisch-romantisch-realistischen Unterhaltungsfilm einen nicht geringen Anteil an Finalspannung und eine Schluss-Halbestunde, in der Autor Rauhaus den drolligen Anna-Kurtz-Mikrokosmos auf höchst amüsante Weise zusammenschweißt.