Krimi-Inflation im deutschen Fernsehen. Meist Serien-Massenware. Da ist es geradezu eine Wohltat, wenn „Sperling“ und „Bella Block“ im ZDF ermitteln, wenn der „Sandmann“ kommt oder „Frau Bu lacht“. Wenn Crime & Thrill ins Drama gewendet wird. Seit längerem hat nun auch der WDR mal wieder einen Ausnahme-Thriller in peto: „Angst hat eine kalte Hand“ besticht durch die Besetzungsliste – Cornelia Froboess, Katja Riemann, Udo Samel. Vor allem aber verzichtet der Film auf unmotivierte, unhinterfragte Gewaltdarstellung und Krimi-Konventionen, die den Mord zum voyeuristischen Ritual für Pantoffelkino-Täter machen.
„Statt knalliger Action und blutiger Details setzte Matti Geschonneck den Schwerpunkt seiner Inszenierung auf den genauen Blick hinter die Mechanismen von Gewalt: Wie gehen Menschen mit Gewalt um? Was passiert mit dem Opfer? Wie verändern sich Täter durch ihre Verbrechen?“ (Teleschau)
„Jeder zweite Mord scheint gut für einen Film, je fieser desto besser, brutale Details machen die Musik, dem Publikum soll der Atem stocken. Und fast immer findet sich auch einer, der einen Psychologen spielt und alles erklären kann“, so umschreibt Autor Rainer Berg jene stereotypen Krimis, die uns tagein, tagaus ins Haus stehen. Er sieht genauer hin, hat viele Fragen: „Was machen Menschen mit brutaler Gewalt? Was macht die Gewalt mit den Menschen? Was macht Männergewalt mit Frauen, was mit den Männern, die sie ausüben?“
Die Geschichte: Eine 50-jährige Krankenschwester wird entführt. Der Täter behandelt sie brutal, Plastiktüte über den Kopf, gefesselt an ein Bettgestell, so muss sie mehrere Tage ausharren. Dann lässt er sie plötzlich laufen. Verwahrlost, aber unversehrt – als sei sie um zwanzig Jahre gealtert. Polizei und Psychologen sind irritiert: Die These von der Leidens-Phantasie einer einsamen Frau macht die Runde. Nur eine junge Polizistin, ehrgeizig, wenig private Kontakte, kommt der Frau näher. Auch ein Kollege, Trainer in der Polizeihundestaffel und zugleich Nachbar der „seltsamen“ Frau, spricht schon mal ein Wort mit ihr. Seinen Lieblingssatz gebrauchte auch der Täter: „Angst hat eine kalte Hand“.
Foto: WDR
„Ein feministischer Thriller ohne Sprüche, ohne Klischees: Matti Geschonneck (Regie) und Rainer Berg (Buch) erzählen vom Kampf zweier Frauen gegen eine perverse männliche Bestie … Das schauspielerische Ereignis ist Froboess: Von ihr gehen trotz aller Qual Würde und Kraft aus. Ein spannender Film noir über Frauen, die von gefühllosen Männern zu Amazonen gemacht werden.“ (Der Spiegel)
In Bergs Geschichte, von Matti Geschonneck stimmungsvoll, bisweilen in rätselhaften Detailaufnahmen inszeniert, geht es um ein Opfer eines Gewaltverbrechens, um eine Frau, die allein bleibt mit ihrer Angst. Eine Realität, die Krimis bei der Suche nach dem Mörder meist ausblenden. Dahinter stecke die Angst, Fragen aufkommen zu lassen. Fragen stören den Programmfluss. Die Wahrheit und Authentizität von „Angst hat eine kalte Hand“ suchte Berg nicht wie die Privatsender in den täglichen Schlagzeilen der Boulevardblätter. Auch ästhetisch orientiert sich der Film nicht am Realismus des Augenscheins. „Das genaue Hinsehen braucht eine gewisse Loslösung von großen, authentischen Szenarien, braucht eher die Nähe des Kammerspiels, die Verknappung, die Konzentration auf das Wesentliche.“ (Text-Stand: 1996)