„Alles was recht ist“ zum Vierten. Die Voraussetzung für ein gelungeneres Familien-Kleinstadt-Juristerei-Dramolett als zuletzt bei „Väter, Töchter, Söhne“ sind gegeben: Lena Kalbach hat den Richterposten niedergelegt, um als freie Anwältin stärker ihre Prinzipien leben zu können. Dafür hat sie sich privat gebunden. Bei Tochter Nike ist es umgekehrt – sie arbeitet nach wie vor in Fulda als Staatsanwältin, ist dafür wieder beziehungstechnisch frei. Die Tränen sind getrocknet – und so machen ihr nicht nur der Amtgerichtsdirektor, sondern auch ein katholischer Gottesdiener schöne Augen. Nach einem leidenschaftlichen Kuss wird jener Lukas Schloss wenig später verhaftet: der Pfarrer soll 30.000 € unterschlagen haben. Auch der andere Verehrer der werten Staatsanwältin hat sich vor langer Zeit eines Vergehens schuldig gemacht. Genug zu tun also für die neue Kanzlei Kalbach & Gross – doch nicht nur mit ihren beruflichen Ansichten scheinen die beiden Partner über Kreuz zu liegen.
Wie immer in der losen ARD-Reihe sind die Themen, die zur Verhandlung kommen, auch in der neuen Episode „Sein oder Nichtsein“ durchaus relevant. Hier die Hoffnungen, Sehnsüchte und Ängste im Beziehungsalltag, die zweiten Chancen der Liebe, dort die ausgefallenen Fälle und Vorfälle, die mit juristischer Spitzfindigkeit, gesundem Menschenverstand und kleinstädtischem Pragmatismus gelöst werden. Das kühle Rechtswesen wird den Gesetzen der Humanität unterzogen. Dass die Helden nicht unintelligent sind, Kritik und Selbstzweifel inklusive, und der Alt-68erin Lena Kalbach ein übergroßer Hang zum Idealismus ins Drehbuch geschrieben wurde, ist ein Plus und hebt die Geschichte deutlich ab von den anderen Schönwetterfilmen um Banker oder Ärzte.
Weniger intelligent ist das Gewand, in dem das alles präsentiert wird: diese unverbindliche Serien-Aufgeräumtheit, dieses ausgestellte Jonglieren mit bildungsbürgerlichem Kulturgut in den Dialogen oder im Filmtitel, diese auf quietschfidel getunte Musikdramaturgie, wenn mal keiner das Wort ergreift – das ist eine Filmsprache, die vielleicht zur ARD-Zielgruppe oder auch zu Fulda passen mag, doch die nichtsdestotrotz nerven kann. Fast hat man den Eindruck, dass der Grundgedanke der Geschichten, „was ist machbar in einer von Kleinbürgertum und Kirche beherrschten Provinzstadt?“, sich auch auf die Produktionsebene verschieben lässt: Was ist machbar am Donnerstagabend in der ARD? Dem Zuschauer kann’s egal sein. Der weiß nur: Vor 20 Jahren bekamen wir diese Rechtslagen und Liebesfragen schon einmal sehr viel pfiffiger präsentiert – von einem gewissen „Liebling Kreuzberg“.