Jona ist mit seiner Mutter und ihrem neuen Lebensgefährten in einen kleinen Ort an der Grenze zu Tschechien gezogen. Der Zehnjährige fühlt sich wie „ein ausgesetztes Tier. Holt mich hier raus“, „telefoniert“ er („Erde an Universum“) spielerisch, allein im Auto auf den einkaufenden Stiefvater wartend. Irgendwann wird es ihm zu bunt, er steigt aus, streift allein durch den Ort, läuft und läuft, gerät über die Grenze und stößt auf eine Gruppe von Kindern und Jugendlichen, darunter den einige Jahre älteren Miro. Der empfängt ihn nicht gerade freundlich („Verpiss dich“) und verlangt außerdem Jonas Schuhe als Gegenleistung dafür, dass er ihm den Weg zurück zeigt. Was denn passiert sei, fragt daheim die besorgte Mutter. „Nichts“, antwortet Jona, der lieber bei seinem Vater in Berlin geblieben wäre.
Foto: ZDF / Jenny Lou Ziegel
Der Film erzielt seine Wirkung sicher im Kinosaal besser
„Wir haben nur gespielt“ ist nach „Jagdhunde“ und „Formentera“ der dritte Langfilm von Regisseurin Ann-Kristin Reyels, und obwohl die Geschichte konsequent aus der Perspektive des Kindes erzählt wird, handelt es sich nicht um einen Kinderfilm, jedenfalls um keinen, in dem sich harmlose Abenteuer am Ende zum Guten wenden. Hintergrund dieses Coming-of-Age- und Freundschaftsdramas ist die organisierte Kinderprostitution im deutsch-tschechischen Grenzgebiet. Der Film wurde im Juni 2018 auf dem Münchener Filmfest uraufgeführt, lief danach noch auf einigen kleineren Festivals, kam aber nie in die Kinos. Das „Kleine Fernsehspiel“ des ZDF war als Koproduzent mit an Bord. Diese traditionsreiche „Marke“ fördert die ersten drei Filme von jungen Regisseurinnen und Regisseuren, aber „Fernsehspiele“ werden selten daraus. Meist nutzen die Nachwuchskräfte die relative Freiheit dazu, ihren Traum vom eigenen Kinofilm zu realisieren. Auch „Wir haben nur gespielt“ bedient mit seiner Bildsprache und den vielen dialogarmen Passagen nicht gerade die Fernseh-Konvention und erzielt seine Wirkung sicher besser im Kinosaal als im Fernsehen (zumal bei einer nächtlichen Programm-Platzierung). Aber die Chance auf ein größeres Publikum bietet für solche „kleinen“ Filme eben doch die Fernseh-Ausstrahlung, und sei es auf dem späten Sendeplatz des „Kleinen Fernsehspiels“. Fragt sich nur, ob der Film auf diese Weise ein jugendliches Publikum erreicht, an das er sich natürlich auch richtet.
Foto: ZDF / Jenny Lou Ziegel
Jona täuscht den Kontakt zu deutschen Kindern nur vor
Jonas Stiefvater arbeitet bei der Bundespolizei und warnt ihn ausdrücklich vor dem Grenzgebiet. Das sei „keine Gegend für Kinder“. Was den Jungen nicht daran hindert, weiter den Kontakt zu Miro zu suchen. Das Drehbuch von Antonia Rothe-Liermann und Katrin Milhahn versetzt uns Zuschauer in die Rolle des stillen Jungen, der sich an diesem Ort fremd fühlt und noch gerne die Nähe der Mutter sucht, der ihr aber den Umzug übel nimmt und bereits eigene Wege geht. Er lügt sie und den Stiefvater an, täuscht vor, dass er zu anderen – deutschen – Kindern Kontakt gefunden hat, um seine Ausflüge über die Grenze zu verheimlichen, stiehlt sogar Geld. Jona ist noch ein Kind, das von der Welt der Indianer fasziniert ist, aber er hat seinen eigenen Kopf und wird im Film nicht aus Erwachsenen-Perspektive „erklärt“. Es darf also durchaus ein bisschen rätselhaft bleiben, warum er sich derart um Miros Freundschaft bemüht. Vielleicht auch um dem älteren Jungen zu imponieren, steigt Jona ebenfalls in eines dieser Autos mit deutschen Kennzeichen, in denen Männer auf dem tschechischen Kinderstrich unterwegs sind. Dass er dem Fahrer gleich mal erzählt, dass sein Stiefvater bei der Polizei arbeite, deutet ebenfalls darauf hin, dass dieser Jona nicht so kindlich-naiv ist, wie es scheint. Finn-Henry Reyels spielt diese interessante Hauptfigur, und bei der durchaus anspruchsvollen Rolle dürfte hilfreich gewesen sein, dass zwischen Regisseurin/Mutter und Hauptdarsteller/Sohn wohl ein besonderes Vertrauen existiert. Silke Bodenbender als Film-Mutter und Godehard Giese als Stiefvater stellen sich mit ihren elterlichen Nebenrollen ganz in den Dienst der Sache.
Foto: ZDF / Jenny Lou Ziegel
Der Blick von außen auf die Trostlosigkeit im Osten
Der Sex-Handel mit den Kindern bleibt in der Inszenierung nur angedeutet, nicht einmal das Gesicht des Mannes, zu dem Jona ins Auto steigt, ist zu sehen. Dass die Inszenierung konsequent bei der Perspektive des deutschen Jungen bleibt, ist aber auch ein Problem, weil man eben mal wieder nur von außen auf das Geschehen jenseits der Grenze im Osten blickt. Die Distanz bleibt gewahrt, und die Trostlosigkeit bestätigt nur die gängigen Klischees. Der Ort scheint wie leergefegt zu sein, ein Billigmarkt neben dem anderen lockt vergeblich westliche Grenzgänger, der Nachwuchs trifft sich an einer heruntergekommenen Lagerhalle. Ganz beiläufig und ohne jeden Voyeurismus wird hier freilich der Skandal des Sex-Handels mit Kindern inszeniert: Als alltägliches Geschäft, für das die Kinder mal eben das fröhliche Kicken unterbrechen und für das sich bereits die jüngsten Mädchen herausputzen. Auch das Leiden des von Roman Bkhavnani berührend gespielten Miro, der seinem Zuhälter „gehört“, der von ihm geschlagen wird, der selbst aggressiv ist und sich gar nicht wirklich auf eine Freundschaft mit dem jüngeren Jona einlassen kann, wird hier behutsam nach und nach offenbart. Und wie bitter und tragisch ist es vor diesem Hintergrund, dass Jona glaubt, sich die Freundschaft zu Miro erkaufen zu können. „Hast du noch andere Freunde wie mich, die dich bezahlen?“, fragt Jona. Kein Wunder, dass Miro antwortet: „Du bist nicht mein Freund.“
Draußen lockt die Freiheit und wartet die „krasseste Prüfung“ des Lebens
In langen Passagen ist Jona einfach draußen unterwegs, er erobert für sich die Umgebung, streift durch den Wald und entdeckt dort eine Ruine. Die Bildsprache ist buchstäblich raumgreifend, natürlich dem Motiv der Faszination Jonas für die amerikanischen Ureinwohner folgend. Die Landschaft und die sommerliche Natur verheißen Freiheit, die Ruine im Wald, der Fluss, eine Höhle, das sind auch Zufluchtsstätten für die beiden Jungen. Dramatisch wird es, als die kindliche Fantasie in die Wirklichkeit drängt. Ob er schon mal was von Initiation gehört habe, fragt Jona seinen neuen Freund. Das sei bei den Indianern „ungefähr die krasseste Prüfung“ des Lebens. Man müsse drei Dinge tun: töten, seinen Feind besiegen und seine größte Angst überwinden. Dann, so hoffen Jona und Miro, könne ihnen nichts mehr anhaben.