Ostberlin 1980, die DDR hat Rost angesetzt, es quietscht im System. Soll man das erste Bild von „Weißensee“ so interpretieren? Das Scharnier, das die Schaukel trägt, auf der die Tochter des Helden tollt, hält zwar, aber der Korrosionsprozess des Materials ist deutlich erkennbar. Der Absprung des Kindes: gleich die nächste Metapher für den Verlauf der ersten sechs Folgen der Familiensaga, in der auch das junge Paar den Absprung findet – nicht gen Westen, sondern in Richtung eines veränderten Bewusstseins? Martin Kupfer, ein Volkspolizist, Anfang 30, eigenwilliger Spross einer Funktionärsfamilie, der sich mit dem mittleren Dienst begnügt, weil er nicht Teil eines Unterdrückungsapparates sein will, und Anna Hausmann, Tochter einer Liedermacherin, die mit ihren Texten immer wieder bei der Stasi aneckt, lieben sich. Doch die Familien und Vater Staat versuchen, diese Verbindung zu boykottieren.
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„Weißensee“ ist eine Familienserie. Sie spielt 1980 in der DDR. Sie erzählt von den Schwierigkeiten, die der Arbeiter-, Bauern- und Bonzenstaat zwei Liebenden bereiten kann. Und sie erzählt davon, was diese Liebe für die Angehörigen der Herkunftsfamilien der Romeo-und-Julia-Connection made in GDR bedeutet. „Wenn du mit dieser Frau zusammenziehst, habe ich keinen Sohn mehr“, sagt Vater Kupfer, wohl wissend, dass er dann wohl seinen Stuhl als Generalmajor im Ministerium für Staatssicherheit räumen muss. Andererseits versteht er seinen Sohn nur zu gut: Er liebte einst Julias Mutter, Dunja Hausmann, hat sich aber für die Karriere und den Familienfrieden entschieden. Seither ist er ihr „Schutzengel“. Vielleicht ist er auch der Vater von Julia, der großen Liebe seines Sohns? Verwünschung und Verzweiflung liegen über den Familien. Dazu singt Dunja Hausmann manch wehmütiges Lied.
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„Weißensee“ ist eine Drama-Serie mit Hang zu großen Gefühlen und zu kleinen, intensiven Szenen. Dramaturgisch sind die 270 Minuten klassisch erzählt, ein bisschen verschachtelter als „Die Drombuschs“, vielleicht etwas amerikanischer mit Cliffhanger und gutem Tempo als „Familie Dr. Kleist“. Das Besondere an dieser Serie von Autorin Annette Hess ist die Zeichnung der Figuren. Zwar haben sie ihre ideologischen Standpunkte, ihre Funktion im Rahmen der Dramaturgie, aber sie entziehen sich auch immer wieder dem Schwarzweiß-Raster. Eine Figur wie Stasi-Oberst und Familien-Übervater Hans Kupfer, glänzend von Uwe Kockisch verkörpert, begegnet einem nicht alle Tage in einer deutschen Familienserie. „Dieser Kupfer darf schillern, hat Zwischentöne“, ergänzt Hess und betont: „Die Figuren durften vielschichtiger, widersprüchlicher sein, als in den anderen Serien, die ich geschrieben habe.“
Die Fragen, ob Stasi, Liebe, realer Sozialismus und Familie zusammengehen, ob die „Vermenschlichung“ der Täter und die Entertainisierung der Stasi nicht politisch fahrlässig sei und ob man bereits 20 Jahre nach der Wiedervereinigung aus der Innensicht der DDR erzählen dürfe, obwohl sich so politisch unrechtes Handeln aus privater Sicht rechtfertigen ließe – diese Fragen können aufkommen bei einer Serie wie „Weißensee“. Solcherlei Bedenken gibt es, seitdem es zeitgeschichtliche (Genre-)Filme gibt. Dass viele politisch Betroffene eine solche „Aufbereitung“ der DDR-Geschichte ablehnen, lässt sich nachvollziehen. Muss man aber als „kritischer“ Zuschauer die „Argumente“ ein ums andere Mal auspacken und über dem jeweiligen Film ausschütten?! Bei „Weißensee“ dürfte diese gebetsmühlenhafte Kritik schwer fallen. Als Familienserie aus dem Innenleben der DDR ist sie zu gut gemacht für stereotype akademische Bedenken. „Weißensee“ ist eine Schauspielerserie erster Güte. Friedemann Fromm beweist einmal mehr sein Händchen für historisch-(melo)dramatische Stoffe, er hat sich einem unaufdringlichen Ausstattungsrealismus verschrieben, hat mit Heta Mantscheff bis in die allerkleinste Rolle die perfekte Besetzung gefunden und er führt schließlich Uwe Kockisch, Katrin Sass, Hannah Herzsprung und Florian Lukas zu preiswürdigen Leistungen.