Wenn Beziehungsarbeit „Vier“-Gefühl heißt
Der Reproduktionsmedizin sei Dank: Neele und Steff, ein lesbisches Ehepaar, bekommen ein Baby und sind überglücklich. Doch als sich herausstellt, dass der Erzeuger durch eine Verwechslung nicht der angeheuerte Samenspender ist, sondern Kalle, der sich mit seinem Mann Jens auch schon riesig auf den Nachwuchs freut, haben beide Paare ein Problem. Während die Männer von einer WG zu viert träumen, verfahren die Frauen nach dem Grundsatz „teile und herrsche“. Vor allem die äußerst dominante Neele möchte die Männer ausbooten. Dagegen findet die schwangere Steff die Jungs ganz brauchbar; ihr imponiert besonders die große Empfindsamkeit, die Kalle an den Tag legt. Das wiederum zieht Sympathisierungsvorwürfe von Seiten Neeles nach sich – was Steff nicht gut aushält; auch deshalb, weil ihre Mutter auf ihre Schwangerschaft anders reagiert als erhofft. Und dann kann sich plötzlich Kalle nicht mehr vorstellen, dass die „kaltherzige“ Neele sein Kind mit aufziehen soll. Schließlich aber lässt die Liebe zum gemeinsamen Kind die Streithähne weiter an ihrem „Vier“-Gefühl arbeiten – bis das Schicksal plötzlich einen ganz anderen Plan verfolgt…
Liebenswerter Reigen menschlicher Mentalitäten
Mit der Degeto-Dramödie „Vier kriegen ein Kind“ hat sich die ehemalige ARD-Rührstück-Fabrik überraschend weit aus dem Fenster gelehnt. Das ist umso erfreulicher, als es sich bei dem Film von Matthias Steurer nach dem vielschichtigen Buch von Volker Krappen weder um eine Alibi-Produktion handelt, wie die Massierung gesellschaftlich relevanter Themen im Freitagsfilm seit Februar 2015 zeigt, noch um einen Fernsehfilm, der seine Themen dramaturgisch verharmlost. Und das fängt bei den vier Charakteren an, die so konzentriert wie selten im ARD-Freitagsfilm die Angelpunkte der Handlung bilden. Da ist die intellektuelle Germanistik-Professorin, die gute Gründe hat für ihren Kontrollzwang und die Zeit braucht, um sich zu öffnen. Da ist die sensible „Mutti“ mit großem Harmoniebedürfnis und zunehmenden Stimmungsschwankungen. Da ist Ben, der kluge, abgeklärte Makler, der es versteht zu leben und sich locker zu machen. Und da ist der überaus gefühlvolle „Vater“, der in Glaubensfragen und beim menschlichen Umgang miteinander keine Kompromisse eingehen mag. Das glückliche Händchen bei der Figurenzeichnung setzt sich bei der Besetzung fort: Christina Hecke, Friederike Kempter, Marc Hosemann, Christian Näthe – jedem der vier nimmt man seine Rolle ab. Braucht es anfangs noch einiger plakativer Schwulen-Signale, verdichtet sich die Handlung im Verlauf zu einem Reigen der Mentalitäten, bei dem sich Gender-Spezifik und sexuelle Präferenzen nicht ständig in den Vordergrund schieben müssen.
Plötzlich macht sich die Schwangere Gedanken:
Steff: „Ist es nicht doch so, dass in der frühkindli-chen Entwicklung maskuline Identifikationsfiguren wichtig sind? Bisweilen sogar aggressive, sportive Rollenmuster? Ebenso wie auch besonders Mädchen für die Ausbildung ihres Selbstbewusstseins die Dings… die männliche Bestätigung benötigen?“
Neele: „Spinnst du?!“
Steff: „Nein! Sag doch, ist es nicht so?!“
Neele: „Nein! Schnecke, wir waren uns doch einig, dass es sich dabei um männerspezifisch gefärbte Vorstellungen handelt. Und im Übrigen, wenn’s darum geht: die beiden sind ja wohl keine richtigen Männer.“
Steff: „Hast du was gegen Schwule?“
Neele: „Du weißt genau, wie ich das meine.“
Steff: „Ne, weiß ich nicht. Die beiden interessieren sich für Fußball und schlagen gerne Wände ein – das dürfte doch wohl auf ein gewisses männliches Po-tenzial hindeuten.“
Ironie, Freundschaft und die Liebe zum Kind
„Vier kriegen ein Kind“ entwickelt mehr als das übliche Was-wäre-wenn-Szenario zahlreicher TV-Komödien. Indem Autor Krappen Möglichkeiten des Zusammenlebens ernstzunehmend auslotet, zielt diese Geschichte tiefer: Nähe, Freundschaft und die gemeinsame Liebe zum Kind – darum geht es in dem Film, dessen beiläufige Schluss-Botschaft „Liebe ist doch das Einzige auf der Welt, das sich vermehrt, wenn man es teilt“ ausgerechnet von der verkopften Professorin vorgebracht wird. Wer allerdings glaubt, alle vier taumeln rührselig dem Happy End entgegen, sieht sich getäuscht. Bei aller Authentizität der verhandelten Gefühle und bei aller Wahrhaftigkeit, mit der die Vision vom Vierer-Gender-Pack verfolgt wird – das Schlussbild ironisiert auch wieder ein Stück weit diesen Entwurf und setzt dieses Gedankenspiel vom „Vierfach geliebt hält besser“ in den Konjunktiv. So wie man als Zuschauer auch nie ganz vor der Ironie der Protagonisten gefeit ist. Für Amüsement ist also auch gesorgt – zwischen Babywunsch und Ehekrisen. Entsprechend Laune bereiten vor allem die Dialoge. Aber auch die überaus interessanten Informationen zum deutschen Familienrecht werden einigermaßen unaufdringlich – ganz ohne Experten – integriert in die Handlung, die die vier Protagonisten im Übrigen noch vor eine schwierige Prüfung stellt. Dafür muss Heckes spröde Professorin bisweilen etwas bemüht ihre Intellektualität ausstellen (beispielsweise Blochs Sentenz „Etwas fehlt“) – was Marc Hosemanns alltagsnahe Ironie des aufgeklärten Großstädters doppelt herausreißt. Hecke/Kempter gehört die eindringlichste Szene des Films, die vom Gefühl/Verstand-Dilemma des Frauen-Paares getragen wird und die dramaturgisch genau diesen Gegensatz spiegelt, der Dilemma aber zugleich auch Teil ihrer Liebe ist.
Fazit: „Vier kriegen ein Kind“ ist nicht einfach nur eine unaufdringlich locker inszenierte Komödie über eine Regenbogenfamilie in freudiger Erwartung. Es ist zugleich ein Film, der sich durchaus ernsthaft und dramaturgisch klug mit diesem Thema befasst, es tiefgründig und zugleich nonchalant auslotet und dabei bestens unterhält. Ein schöner Nebeneffekt wäre es, wenn der Film durch die Normalität, wie er von gleichgeschlechtlicher Liebe – allerdings fast ohne Sex – erzählt, quasi im Vorbeigehen auch mögliche Vorurteile abbauen könnte gegenüber schwulen und lesbischen Paaren, die sich ein Kind wünschen. (Text-Stand: 9.2.2014)