Vermisst in Berlin

Jördis Triebel, Wörner, Hasanovic, Zertz/Hunfeld, Hormann. Jagd nach Marktanteilen

Foto: ZDF / Mathias Bothor
Foto Thomas Gehringer

Jördis Triebel, Natalia Wörner und Edin Hasanovic bilden ein starkes Trio in dem ambitionierten ZDF-Krimidrama „Vermisst in Berlin“ (Gabriela Sperl / Wiedemann & Berg), das auf das Schicksal vermisster minderjähriger Geflüchteter aufmerksam machen will. Triebel als Ex-Polizistin, die die Spur eines zehnjährigen Jungen verfolgt, der ihr vors Auto lief. Hasanovic als ihr Ex-Kollege und superkorrekter Vorgesetzter. Und Wörner als Ex-Prostituierte und Gangsterbraut, die gleichzeitig Geschäftsführerin einer Firma ist, die Flüchtlingsunterkünfte betreibt. Interessante Figuren in einer dichten (nicht durchweg überzeugenden) Story, die von Sherry Hormann spannend inszeniert wurde – aber warum muss es schon wieder ein Krimi sein? „Vermisst in Berlin“ hat ein ehrenwertes Anliegen, aber es bleibt bei der gut gemeinten Perspektive von außen: Die geflüchteten Minderjährigen bleiben nur Nebenfiguren, ihre Geschichten werden nur angerissen.

Die ehemalige Polizistin Judith Volkmann (Jördis Triebel) kellnert in einem extravaganten Restaurant, wo ein Steak 130 Euro kostet und leicht bekleidete Frauen an der Stange tanzen. Nach einem Abend, an dem sie eine unangenehm laute Gruppe um einen reichen Typen (Neil Malik Abdullah) und seine weibliche Begleitung (Natalia Wörner) bedienen musste, läuft ihr auf der Heimfahrt ein Junge vors Auto – während Judith bezeichnender Weise Eva Cassidys „Wayfaring Stranger“ hört, einen alten amerikanischen Folksong. Der „weit reisende Fremde“ ist hier ein zehnjähriges Kind, das sich stumm aufrappelt, nach einer Schrecksekunde davonrennt, Judith, die ihn aufhalten will, in die Hand beißt und verschwindet. Ein ausländisches Kind, das allein und mit Rucksack durch das nächtliche Berlin irrt? Judith ist alarmiert, ruft ihren ehemaligen Kollegen Deniz Kovacevic (Edin Hasanovic) an, der noch im Büro sitzt und arbeitet, während eine – männliche! – Putzkraft den Teppichboden saugt. Aber Deniz nimmt das Gespräch nicht an. „Wie kann man nur so nachtragend sein?“, beschwert sich Judith auf Band. Später wird sie kritisieren, dass die Polizei, wenn es sich um ein deutsches Kind gehandelt hätte, sofort Hundertschaften mobilisiert hätte. Allerdings tut sie in dieser Nacht auch nichts weiter, als nach Hause zu fahren und sich ins Bett zu legen.

Vermisst in BerlinFoto: ZDF / Mathias Bothor
Die beurlaubte Kommissarin Judith Volkmann (Jördis Triebel) forscht über das Schicksal verschwundener Flüchtlingskinder und deckt ein Netzwerk an Menschenhandel und Kinderprostitution auf, in das auch Evelyn Kraft (Natalia Wörner) involviert ist.

Von der Ohnmacht auf allen Seiten (…) handelt unsere Geschichte.“
„Vermisst in Berlin“ ist ein spannendes Krimidrama mit einem ehrenwerten, wichtigen Anliegen. Es macht aufmerksam auf das Schicksal tausender minderjähriger unbegleiteter Flüchtlinge, deren Ankunft in Deutschland registriert wurde, die aber dann verschwanden und als vermisst gelten. Den meisten von ihnen gehe es vermutlich gut, etwa weil sie zu ihren Familien weitergereist oder bei Freunden untergekommen seien, schreiben die Drehbuchautorinnen Frauke Hunfeld und Silke Zertz in ihrem Presse-Statement. „Gleichzeitig aber sehen wir Jugendliche im Berliner Tiergarten, die sich prostituieren. Jungs, die unter Brücken schlafen, in der U-Bahn betteln. Jugendliche, die in einschlägig bekannten Moscheen ein Netzwerk finden. Kinder, die im Görlitzer Park Drogen verkaufen. Wir erfahren von Menschenhandel in Flüchtlingsheimen, organisiert durch kriminelle Clans. Wir haben mit Helfern, mit Flüchtlingen, mit Angehörigen, mit Polizisten gesprochen. Über ihre Hoffnungen, ihre Ängste, ihre Träume, ihre Wut. Von der Ohnmacht auf allen Seiten und von denen, die daraus noch ein Geschäft machen, handelt unsere Geschichte.“

Triebel contra Wörner – Duell zweier starker Frauen
Der von Sherry Hormann spannend inszenierte Film wird von zwei starken, interessanten Frauenfiguren und ihren Darstellerinnen Triebel und Wörner getragen. Ziemlich auffällig wird gleich zu Beginn in den Restaurant-Szenen, in denen sich die kellnernde Ex-Polizistin und die von ihrem reichen Macker offenbar geschlagene Ex-Prostituierte Evelyn Kraft das erste Mal begegnen, eine besondere Verbindung zwischen beiden Frauen angedeutet. Natalia Wörner spielt alles andere als eine Opfer-Figur. Evelyn ist eine selbstbewusste, eigenständige Frau, die sich auch von ihrem aggressiven Liebhaber nicht unterkriegen lässt. Welchen Geschäften der nachgeht, bleibt offen, vermutlich eher keinen legalen. Das Geld nimmt Evelyn gerne, man darf sie wohl eine Gangsterbraut nennen. Dann aber trifft Judith in einer Flüchtlingsunterkunft überraschend erneut auf Evelyn, die dort als Geschäftsführerin arbeitet, zu den Bewohnern einen guten Draht hat, verschiedene Sprachen spricht und die Zügel offensichtlich fest in der Hand hält. Evelyn versorgt Judith bereitwillig mit Informationen zu dem zehnjährigen Djamal (Lilien Batman), der ihr vors Auto lief und seitdem verschwunden ist.

Vermisst in BerlinFoto: ZDF / Armin Golisano
Schlüsselszene: Flüchtlingsjunge Djamal (Lilien Batman) läuft vor Judith Volkmanns (Jördis Triebel) Auto. Was macht ein Kind mitten in der Nacht allein auf den Straße?

Viele Andeutungen, keine Aufklärung: Warum schmiss Ex-Polizistin Judith hin?
Wörners und Triebels Präsenz beeindrucken, hinzu kommt in der starken Besetzung der Hauptrollen Edin Hasanovic, der den jungen Abteilungsleiter beim Landeskriminalamt als superfleißigen und superkorrekten, aber noch etwas unsicheren und deshalb gelegentlich überreagierenden Vorgesetzten spielt. Deniz, der top integrierte Zuwanderer, ist für Judith nun „der deutscheste unter den Deutschen“. Wütend macht ihn aber vor allem, dass er wegen seines Namens in den Augen vieler Deutscher, auch bei der Polizei, immer der „Kanake“ bleiben wird. Dieses insbesondere nach Mesut Özils Rücktritt aus der Fußball-Nationalmannschaft 2018 heiß diskutierte Thema kommt in einem emotionalen Dialog zwischen Judith und Deniz zur Sprache, bleibt aber sonst im Hintergrund. Ganz stimmig wirkt die Figurenkonstellation dennoch nicht. Warum sich Judith beurlauben ließ und warum ihr Ex-Kollege Deniz sich von ihr im Stich gelassen fühlt, bleibt im Dunkeln. Das ist, weil zahlreiche Andeutungen gestreut werden, etwas unbefriedigend. So wirkt dieser Film wie der Auftakt einer weiteren Krimireihe, die aber in diesem Fall wohl gar nicht geplant ist.

Skizzierte Schicksale von Flüchtlingsfamilien
Und: Jördis Triebel als engagierter Ex-Polizistin, die sich mit ihrem abgelaufenen Dienstausweis durchmogelt, heftet man sich zwar gerne an die Fersen. Aber warum muss es schon wieder ein Krimi sein? Weil es das Publikum so gewohnt ist auf dem Sendeplatz des „Fernsehfilms der Woche“? Weil sich das ZDF davon bessere Marktanteile verspricht als von einem Film, in dem mal nicht Ermittler, sondern Geflüchtete im Mittelpunkt stehen könnten? Der Film skizziert durchaus geschickt verschiedene Schicksale: Eine Familie kann nicht abgeschoben werden, weil das jüngste Kind gerade nicht zu Hause ist – die Polizisten vermuten den typischen Trick, um eine Abschiebung zu verhindern. Doch dann wird eine Leiche gefunden, das Kind, stellt sich heraus, wurde von einem Pädophilen getötet. Mit der Figur des beim Suchdienst des Roten Kreuzes arbeitenden Jan Pollak (Florian Stetter) schafft das Drehbuch eine weitere Ebene. Pollak und Judith besuchen eine andere in Deutschland lebende Familie, die bereits drei von vier Kindern im Krieg verloren hat. Das jüngste ist verschwunden, Pollak nimmt eine Beschreibung des Kindes auf und macht den Eltern Mut. Und Djamal? Nur schwach angedeutet wird, wie es ihm gelingt, in Berlin seinen älteren Bruder Amir (Skandar Amini) zu finden. Dieser Amir ist die einzige Figur, die nicht durchgängig ins Opfer-Schema passt und aktiv Akzente setzen darf. Ansonsten gibt es noch eine Szene, in der ein junger Geflüchteter Judith begrapscht. Geflüchtete können auch Täter sein, soll das wohl signalisieren. Aber eine solche für sich stehende, hinein konstruierte Szene wirkt nur wie ein plumper Versuch, es allen recht machen zu wollen.

Vermisst in BerlinFoto: ZDF / Armin Golisano
Motivationshilfe. Judith Volkmann (Jördis Triebel) überredet ihren ehemaligen Partner Deniz Kovacevic (Edin Hasanovic), mit ihr im Fall um die verschwundenen Flüchtlingskinder zu ermitteln. Irgendetwas scheint die Beziehung zu belasten.

Kein moralischer Zeigefinger, aber Perspektive von außen
„Vermisst in Berlin“ appelliert an das Publikum, nicht weg zu schauen, hebt auch nicht übermäßig aufdringlich den moralischen Zeigefinger, aber es bleibt bei der gut gemeinten Perspektive von außen. Weil die geflüchteten Minderjährigen nur Nebenfiguren bleiben, weil ihre Geschichten nur angerissen werden. Stattdessen nimmt auch das Privatleben der ehemaligen Polizistin noch einen großen Raum ein. Judith wohnt mit ihrer unzuverlässigen, ausgehfreudigen jüngeren Schwester Maggie (Nina Gummich) zusammen und muss für deren Tochter Luise (Cloé Albertine Heinrich) die Ersatzmutter spielen. Das betont Judiths Verantwortungsgefühl, gibt ihrer Figur Tiefe, tut aber sonst nichts weiter zur Sache. Überzeugend wiederum das Ende, das nicht alles in Wohlgefallen auflöst, aber die Zuschauer auch nicht in komplett trostloser Stimmung zurücklässt. (Text-Stand: 25.1.2019)

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Fernsehfilm

ZDF

Mit Jördis Triebel, Natalia Wörner, Edin Hasanovic, Florian Stetter, Lilien Batman, Skandar Amini, Nina Gummich, Cloé Albertine Heinrich, Tom Jahn, Neil Malik Abdullah, Philippe Graber, Samia Chancrin

Kamera: Armin Golisano

Szenenbild: Christiane Rothe

Kostüm: Jessica Specker

Schnitt: Sandy Saffeels

Redaktion: Caroline von Senden, Esther Hechenberger

Musik: Jasmin Shakeri, Beathoavenz

Produktionsfirma: Wiedemann & Berg

Produktion: Quirin Berg, Max Wiedemann, Gabriela Sperl

Drehbuch: Frauke Hunfeld, Silke Zertz

Regie: Sherry Hormann

Quote: 5,88 Mio. Zuschauer (18,7% MA)

EA: 11.02.2019 20:15 Uhr | ZDF

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