Die gute Nachricht zuerst: Hermann bekommt den Nobelpreis für Wirtschaft. Allerdings ist er gerade gestorben. Das ist natürlich nicht schön, aber die schlechte Nachricht ist eine andere: Die Auszeichnung wird nicht posthum verliehen. Deshalb beschließen seine Freunde, Hermanns Tod bis zur Bekanntgabe der Preisträger in fünf Tagen geheim zu halten. Das klingt zunächst nicht kompliziert, aber es ist Sommer, und spätestens seit Alfred Hitchcocks schwarzer Komödie „Immer Ärger mit Harry“ weiß man, dass Tote einem das Leben ganz schön schwer machen können. Es ist ohnehin bemerkenswert, wie es Autor Claudius Pläging („Der Vorname“) gelingt, aus einem eigentlich simplen Handlungskern eine vierteilige Serie à jeweils gut 45 Minuten Folgen zu machen, ohne dass zwischendurch die Zeit lang wird. Für Kurzweil sorgt dabei neben den zum Teil bitterbösen Dialogen die hochkarätige Besetzung: Die vier Freunde, alle sechzig plus, werden von Iris Berben, Heiner Lauterbach, Adele Neuhauser und Michael Wittenborn verkörpert. Abgesehen von einem dramaturgisch allerdings wichtigen Geburtstagsgruß per Video war sich Walter Sittler nicht zu schade, sich als Leiche zur Verfügung zu stellen; ein weiterer Beleg für den besonderen Stellenwert der Serie. Das gilt auch für namhafte Mitwirkende wie Inez Bjørg David, die zunächst nicht mehr zu tun hat als durchs Bild zu gehen, oder Harald Krassnitzer, der als Überraschungsgast in Folge vier auftaucht und für eine letzte von vielen verblüffenden Wendungen sorgt.
Als gleichfalls gelungen erweist sich das dramaturgische Konzept, das allerdings nicht auf Plägings Mist gewachsen ist: „Unter Freunden stirbt man nicht“ ist eine Adaptation der nach dem gleichnamigen Roman von Noa Yedlin entstandenen israelischen Serie „Stockholm“. Die Handlung ist zwar wie ein vierteiliger Spielfilm konzipiert, aber jede Folge wird (wie im Original) aus anderer Perspektive erzählt. Rahmenhandlung ist die abwechselnde Befragung der Freunde durch einen Polizisten (Moritz Führmann), wobei Pläging jedes Mal durch Andeutungen erfolgreich Neugier und Vorfreude schürt („Sie haben Gruppensex vorgetäuscht, um nicht enttarnt zu werden?!“). Außerdem hat er die Geschichte durch einige Ereignisse ergänzt, die weit mehr als bloß Nebenschauplätze sind.
Als die Handlung beginnt, ist Buchhändlerin Annette (Neuhauser) völlig durch den Wind: Ein berühmter Autor hat sich nach einer Lesung als Grabscher entpuppt. Annette hat sich das nicht gefallen lassen, was ihr prompt eine fragwürdige Internetprominenz einbringt: Das Video zeigt sie als Furie, die einen vermeintlich harmlosen Holocaust-Überlebenden aus seinem Rollstuhl gekippt hat. Später wird sie sich beim RTL-Interview mit Steffen Hallaschka endgültig um Kopf und Kragen reden. Zunächst muss sie jedoch den Tod von Hermann verkraften. Als Joachim (Lauterbach) in Hermanns Mails eine Nachricht auf Schwedisch entdeckt, die offenbar vom Nobel-Komitee stammt, fasst die Clique ihren folgenschweren Entschluss. Fortan folgt die Serie der Maxime „leichter gesagt als getan“: Erst steht eine vermeintlich von Hermann geschwängerte junge Frau (David) vor der Tür, dann kommt als Übernachtungsgast seine Schwester (Johanna Gastdorf) zu Besuch. Also beschließen die Freunde, den Leichnam zu Joachim zu karren, dessen Frau (Tanja Schleiff) in Urlaub ist. Dabei kommt es zu einem Zusammenstoß mit einem Radfahrer, was sich als folgenschwere Begegnung entpuppt. In Joachims feudalem Eigenheim ist Hermann jedoch ebenfalls nicht sicher, denn Vera hat den Urlaub bloß vorgetäuscht, um eine Überraschungsparty für den Gatten zu organisieren. Als die Freunde Hermann erneut „umbetten“ wollen, ist die Leiche verschwunden.
Neben den vielen Wendungen erfreut die Serie nicht zuletzt durch ihre Liebe zum Detail. Der Vorspann zum Beispiel erschießt sich tatsächlich erst nach mehrmaligem Anschauen, denn er erzählt mit Hilfe von Jugendfotos sowie Zeitungsartikeln von der vierzigjährigen Freundschaft und illustriert die Biografien des Quintetts. Joachim (Lauterbach) hat mit der Erfindung eines Verschlusses für Plastiktüten ein Vermögen verdient. Dass Friedrich (Wittenborn) zu kurz kommt, hat seinen Grund: Er sah sich stets im Schatten von Hermann und leidet bis heute unter einem veritablen Minderwertigkeitskomplex. Was die beiden unterscheidet, zeigt eine Sequenz, in der er in die Rolle des Freundes schlüpft, um Investoren von den Plänen für ein Wirtschaftsinstitut zu begeistern. Hermanns Assistentin hält ihren Chef für eine Lichtgestalt und Friedrich wegen seiner ermüdenden Monologe für ein Schwarzes Loch. Als sie ihm trotzdem anbietet, die Nacht mit ihm zu verbringen, bestätigt er die Einschätzung und verzettelt sich in einem Vortrag über seine Forschungen. Besser als durch Wittenborn lässt sich diese traurige Gestalt kaum verkörpern. Später versagt Friedrich bei dem Versuch, eine Weinflasche zu entkorken, bis sich Ella erbarmt und den Verschluss aufdreht. Die zweite Frau in der Runde wird ansonsten zwar im Wesentlichen auf ihre sexuellen Ausschweifungen reduziert, von denen sie gern und oft erzählt, dafür hat Iris Berben die absolut besten Pointen.
Einziges, aber unübersehbares Ärgernis der Serie ist die Bildgestaltung. Regisseur Felix Stienz hat zuletzt diverse Episoden für „Merz gegen Merz“ (ZDF), „Frau Jordan stellt gleich“ (ProSieben) und „Einstein“ (Sat 1) gedreht und sein Ensemble bei „Unter Freunden“ zu wunderbaren Leistungen geführt, aber Kameramann Jakob Beurle musste den Bildern aus unerfindlichen Gründen einen pseudodokumentarischen Look verpassen. Der Stil erinnert an Reportagen, deren Autoren nicht bloß redende Köpfe zeigen wollen, weshalb die Kameraleute dauernd die Perspektive wechseln und mit dem Zoom spielen, damit wenigstens der Stil dynamisch wirkt. Zum Glück lässt die nervige Ruckelei (die es im Original nicht gibt) in den weiteren Folgen nach. Die Serie hat solchen Schnickschnack ohnehin nicht nötig, weil es enormen Spaß macht, dem Ensemble zuzuschauen. Alle Mitwirkenden hatten offenbar große Freude an Plägings Dialogen; das Spektrum reicht von purem Nonsens über Loriot-ähnliche Ehegespräche bis zur mitunter nur noch knapp jugendfreien Wortwahl Ellas, die die Dinge derart unverblümt beim Namen nennt, dass die Serie bei ARD & ZDF kaum vorstellbar wäre.
Wie in vielen Freundschaftsfilmen kommen natürlich auch ein paar unbequeme Wahrheiten zur Sprache. Dass die drei anderen schon lange von der Beziehung zwischen Annette und Hermann wissen, ist dabei ungleich harmloser als die Meinungen der Freunde über Joachims Versuch, sich als Lyriker zu betätigen. Seine Gedichte sorgen auch für den Vorwand, mit dem Gattin Vera ihn in das Hotel gelockt hat, in dem die Party stattfindet: Dort will sich angeblich Elke Heidenreich mit ihm treffen. Interessant ist auch die Musik (Caroline Kox, Antonio de Luca), die stellenweise nur aus Schlagzeugsoli besteht. Dass die letzte Folge von „Unter Freunden stirbt man nicht“ noch ein paar Knüller zu bieten hat, die einige der Ereignisse in ein völlig anderes Licht tauchen, versteht sich fast von selbst. (Text-Stand: 2.12.2020)