Der Film beginnt dramatisch und temporeich: Jana Winter will im Parkhaus einen Ehestreit schlichten und prügelt sich mit dem aggressiven Vater, während die Mutter und ihre kleine Tochter das Weite suchen. Winter rennt hinterher, findet beide schließlich auf dem Dach des Parkhauses, wo die Mutter mit dem Kind auf dem Arm geradewegs auf den Abgrund zuläuft. Winter schaut wie gelähmt zu, in der letzten Sekunde schreitet Kollege Hamm ein und verhindert eine Tragödie. Dieser Vorfall wird später noch zweimal kurz aufgegriffen, doch der eigentliche Fall spielt im Schleswiger Schlossmuseum, wo eine junge, hübsche Aufseherin mit dem Genick auf einen spitzen Eisendorn an der Wand gespießt wird. Eigentlich sollte die Kommissarin gerade eine Woche Zwangsurlaub antreten (der Chef diagnostizierte bei ihr Burnout) – doch Winter setzt sich darüber hinweg.
Diese neunte Folge aus der ZDF-Reihe ist gespickt mit einigen, bei aller filmischen Freiheit, recht unglaubwürdigen Zufällen. Besonders kurios konstruiert ist die Szene, als Jana Winter dem Museum noch vor dem Mord mit ihrem Sohn Leo einen privaten Besuch abstattet. Da treten (fast) alle wesentlichen Figuren schön der Reihe nach auf, benehmen sich betont auffällig und servieren der Kommissarin – und dem Publikum – die untereinander schwelenden Konflikte auf dem Silbertablett. Das wirkt weniger wie ein Schauspiel, sondern wie ein vom Autor aufgebautes Schachbrett. Mit dem Gärtner, dem Museumsdirektor und der Restauratorin als Figuren. Weitere Verdächtige folgen.
Wobei die Besetzung aller Ehren wert ist. Peter Jordan als behinderter Museumsgärtner und Maria Simon als seine ihn versorgende Schwester bieten respektable Vorstellungen, können aber in einer steifen Inszenierung keine Glanzlichter setzen. Die beiden wohnen in einem prächtigen Haus und scheinen auf seltsame Weise aneinander gekettet. Diese Idee hat Potenzial, da schlummern Abgründe, die hier allerdings nur spärlich angedeutet werden. Und der Psychologe, der nach gut einer Stunde hinzugezogen wird, erfüllt kaum die Funktion, die Handlung halbwegs logisch voranzutreiben. Aber vielleicht wird das ja in Zukunft noch was, denn offenbar soll diese Figur, gespielt von Thomas Sarbacher, keine Eintagsfliege bleiben. Jedenfalls funkt es hier zwischen Psychologe und Kommissarin.
Der private Strang nimmt ohnehin einen großen Raum ein. Jana Winter hat mit der Doppelbelastung als Kommissarin und alleinerziehende Mutter zu kämpfen, bangt zudem um den Verbleib ihres Sohnes Leo auf der Schule, weil der einen anderen Jungen mit einem Stein attackiert haben soll. Natalia Wörner bemüht sich um eine differenzierte Darstellung zwischen schlechtem Gewissen gegenüber ihrem Sohn und selbstbewusstem Auftreten gegenüber ihren – allesamt männlichen – Mitarbeitern. Und damit auch das Publikum garantiert versteht, worum es geht, murmelt Jana Winter abends im Selbstgespräch: „Ich kann meinem Sohn nicht den Vater ersetzen, das weiß ich.“ Dass die Schulpsychologin bei dem schweigsamen und distanzierten Leo Hinweise auf eine Erkrankung am Asperger-Syndrom erkannt haben will, weist die Mutter empört zurück – bis sie mit Leo Memory spielt.
Das ist immerhin überzeugender erzählt als die Kriminalgeschichte, die ihr Potenzial in einer wenig inspirierten Inszenierung nicht entfalten kann. Insgesamt stimmt die Mischung nicht, die Stefan Kolditz, Drehbuch-Autor von „Unsere Mütter, unsere Väter“ sowie „An die Grenze“, und Regisseurin Judith Kennel angerührt haben. Ein Lichtblick ist Martin Brambach, der die Krimi-Standardrolle des Dienststellen-Chefs mit seinem eigentümlichen Humor veredelt. Sehr komisch sein kurzfristiger Einsatz als Betreuer von Leo. Und in einer Szene fragt der Chef Jana Winter versehentlich: „Sind die Ritter Kornzeugen?“ Bezeichnend, dass man sich nicht sicher sein kann, ob dieser Versprecher tatsächlich im Drehbuch stand, oder ob dies von Brambach und Wörner so überzeugend und sympathisch überspielt wurde, dass der Ausrutscher in der Endfassung verblieben ist. (Text-Stand: 12.1.2014)