Natürlich ist der zweite Teil der neuen ARD-Reihe „Unser Traum von Kanada“ kein völlig anderer Film geworden. Und doch hat er eine entscheidende Farbe verloren: Ohne Michael Gwisdek fehlt die komödiantische Ebene. Der Sarkasmus der Hauptfigur war ein reizvolles Gegengewicht zu all den kleinen und großen Dramen, mit denen Autor Michael Gantenberg seine Geschöpfe konfrontierte. Außerdem war Richard, Besitzer einer traumhaft gelegenen Lodge in der Vancouver Bay, das Bindeglied zwischen den einzelnen Erzählebenen. Das ist nun nicht mehr nötig, denn da der todkranke Witwer beizeiten Schicksal gespielt hat, sind die anderen Figuren nach seinem Tod vereint: Enkelin Karen (Sonja Gerhardt), Köchin Iris (Katja Weitzenböck) und Karens bislang unbekannter Vater Adrian (Robert Seeliger) haben das Haus zu gleichen Teilen geerbt und müssen die Lodge erst mal gemeinsam weiterbetreiben.
Bis das Trio, wie der Titel vorgibt, „Sowas wie eine Familie“ bildet, vergehen allerdings neunzig Minuten, in denen sich die drei zusammenraufen müssen. So etwas klappt erfahrungsgemäß immer dann am besten, wenn sich man gemeinsam einer Herausforderung stellen muss. Zu diesem Zweck bringt Gantenberg mit einer Patchwork-Familie aus Deutschland weitere Mitwirkende ins Spiel. „Unser Traum von Kanada“ folgt im zweiten Film somit jenem bewährten Muster, das jahrelang auch in Reihen wie „Traumhotel“ funktioniert hat: Hotelbesitzer lösen die Konflikte ihrer Gäste. Bei Gesa (Marlene Morreis) und Jasper (Siegfried Terpoorten) sorgen vor allem die Kinder, die sie mit in die Beziehung gebracht haben, für Probleme: Mats (Nico Thüning) ist 12 und mag Jasper nicht, Lina (Anna Lena Klenke) ist das Prachtexemplar eines trotzigen Teenagers und mag Gesa nicht, und natürlich können sich die beiden Kinder auch gegenseitig nicht leiden. Die Dinge eskalieren, weil Gesas Ex-Mann Sven (Sönke Möhring) ebenfalls nach Kanada gekommen ist. Aus einem heimlichen Treffen mit seinem Sohn wird eine Art Kindesentzug, der Gesa in Panik versetzt und die Lodge-Betreiber zumindest beunruhigt. Vor allem Karen: Weil Gesa eine typische nervige Helikoptermutter hat ist, hat Karen den Jungen zum Widerstand ermuntert. Jetzt ist Mats nicht nur verschwunden, sondern auch in Gefahr, denn Sven hat sich beim Wandern schwer verletzt, und ein Grizzly wittert eine unverhoffte Zwischenmahlzeit. Die entsprechenden Szenen haben naturgemäß großes dramatisches Potenzial: hier der böse Bär, dort der blutende Sven, der seinen Jungen auffordert wegzulaufen, und dazwischen der völlig überforderte Mats, der seinen Vater nicht im Stich lassen will. Michael Wenning inszeniert diese Sequenz jedoch seltsam kraftlos, als wolle er die Zuschauer nicht mit allzu viel Spannung überfordern.
Die Gegen-Meinung:
„Michael Gantenberg (Grimme-Preis für ‚Ritas Welt‘, Deutscher Comedy-Preis für ‚Alles Atze‘) hat den Schmonzettenstoff locker-flockig aufbereitet und sorgt mit schmissigen Dialogen und sympathischen Figuren für feines TV-Entertainment.“ (TV-Spielfilm)
Aber der junge Nico Thüning spielt das alles sehr vernünftig und hält sich gut neben erfahrenen Möhring. Gleiches gilt für Anna Lena Klenke als zukünftige Stiefschwester, sodass die beiden Jungschauspieler stärkere Akzente setzen als Morreis und Terpoorten. Damit die eigentlichen Hauptdarsteller auch was zu tun bekommen, gönnt Gantenberg jedem der drei eine eigene Nebenhandlung: Iris bekommt eine Chance, ihr in Teil eins geschlossenes Restaurant neu zu eröffnen, Frachtpilot Adrian muss noch sein Verhältnis mit seiner Freundin klären, zumal sie auch seine Chefin ist, und Karen erlebt nach einem Abend mit Drogen und Alkohol einen kapitalen Absturz. Dramaturgisch ist das allerdings alles durchschaubar, denn natürlich sollen die Eskapaden das Trio noch enger zusammenschweißen. „Glück muss man lernen“, zitiert Iris ihre Großmutter, und so wissen am Ende alle drei, wo ihr Platz im Leben ist; auch wenn Gantenberg am Schluss noch ein Cliffhängerchen aus dem Ärmel zaubert.
Wie im ersten Teil sind die einheimischen Figuren markant besetzt und ebenso gut synchronisiert wie Robert Seeliger (Philipp Moog), der mit der ohnehin sehenswerten Sonja Gerhardt ein gutes Gespann bildet. Katja Weitzenböck spielt mit Ausnahme der Szenen in Vancouver, wo sie erneut überdreht, diesmal deutlich zurückgenommener, die herrliche Landschaft (Kamera: Markus Fraunholz) kommt selbstredend prächtig zur Geltung, zumal Adrian einige Male fliegen darf, und die Musik (Andreas Weidinger) sorgt mit ihrer Mischung aus akustischer Gitarre und rockigen Rhythmen für eine stimmige Untermalung. Recht gefälliges Fernsehen zum Zeitvertreib, aber mehr auch nicht. (Text-Stand: 19.12.2015)