Tod im Internat

Nadja Uhl, Koffler, Król, Hunfeld, Fischer. Wenn „die da oben“ über Leichen gehen

Foto: ZDF / Reiner Bajo
Foto Rainer Tittelbach

Ein verschwundenes Mädchen, ein ermordeter Schüler: in einem Elite-Internat und bei der Polizei herrscht Alarmstufe Rot. Neben dem leitenden Ermittler wird noch eine LKA-Frau als VE eingeschleust. Und der Fall zieht bald größere Kreise. Der narrative Bogen von „Tod im Internat“ erstreckt sich über 210 Filmminuten und über 30 Jahre deutsch-deutsche Geschichte: einer Geschichte ständiger Einflussnahmen durch Stasi oder Verfassungsschutz. Erzählt wird im Hier & Heute. So können die Lebenslügen der Eltern direkt auf ihre Kinder zurückschlagen. Den Machern geht es um mehr als cooles Genreerzählen, an den NSU-Dreiteiler reicht dieser fiktive Zweiteiler nicht heran. Trotz seiner Format-Odyssee und einer siebenjährigen Entstehungsgeschichte halten sich die dramaturgischen Ungenauigkeiten im Rahmen. Sehr viel auffälliger sind die visuellen Lösungen & die überragende Nadja Uhl.

Vermissung & Mord in einem Elite-Internat, die bald größere Kreise ziehen
Stürmische Zeiten für das hessische Elite-Internat Erlengrund. Die 17-jährige Tochter (Emma Drogunova) des designierten LKA-Präsidenten Wichert (Joachim Król) verschwindet spurlos. Weil sich die Schüler ausschweigen, wird neben dem leitenden Ermittler Julian Sellinger (Hanno Koffler) noch die LKA-Zielfahnderin Isabell Mosbach (Nadja Uhl) als VE eingeschleust. Als Lehrerin, Deckname Karla Parker, kommt aber auch sie nur schwer an die Jugendlichen heran, so an den Freund der verschwundenen Sophie (Merlin Rose), macht dafür aber interessante Beobachtungen. Ein cleveres Bürschchen scheint Felix (Valentino Fortuzzi) zu sein, ein zynischer, ständig provozierender Außenseiter, der Geheimnisse von Schülern wie Lehrern kennt und sich seine Verschwiegenheit offenbar teuer bezahlen lässt. Auf ihm ruhen Isabells Hoffnungen; doch der Junge wird eines Nachts erschossen. Was ihr bleibt, sind seine fotografischen Collagen, in die er sein Wissen eingearbeitet hat. Auf diese Weise erfährt die LKA-Frau, dass die Verschwundene schwanger ist oder dass auch ein Lehrer mit Karriereaussicht (Max Hopp) von Felix erpresst wurde. Und auf einem dieser Bilder ist auch eine Waffe zu sehen. Es ist die Waffe, mit der er erschossen wurde. Diese Vorkommnisse sind nicht das einzige, was die Internatsführung unter Leitung ihrer grauen Eminenz, Wilfried Maas (Manfred Zapatka), fürchtet. Die Kaderschmiede, in der offenbar noch immer alte DDR-Gelder gewaschen werden, befindet sich im Visier der Behörden.

Tod im InternatFoto: ZDF / Reiner Bajo
Hier geht es nicht schon wieder um Missbrauch! „Tod im Internat“ ist vielmehr ein Politthriller, der sich mit einem selten im Fernsehen behandelten Aspekt der deutsch-deutschen Geschichte auseinandersetzt: die Unterwanderung der linken Szene in den 70er/80er Jahren durch die DDR. Übel auch die Methoden der Westbehörden.

210 Filmminuten und 30 Jahre deutsch-deutsche Geschichte im Hier & Jetzt
„Tod im Internat“ beginnt mit einer klassischen Krimi-Situation. Ausgehend von einem überschaubaren Mikrokosmos zeigen sich Unregelmäßigkeiten, ergeben sich erste Verdachtsmomente und es werden außen stehende Personen nach und nach in die Geschichte mit einbezogen. Auch die brüchige Biographie der weiblichen Hauptfigur spielt eine wichtige Rolle, läuft allerdings zunächst im ersten Teil im Hintergrund. In Teil 2 ist es umgekehrt: Emotional gewinnt das Drama die Oberhand und die Spannung wird durch politische Implikationen und typische Thrillersituationen erzielt; dagegen tritt der Krimi, der Mord im Internat, zwischenzeitlich auf der Stelle, auch weil die Heldin vom Fall abgezogen wird. Am Ende erstreckt sich der narrative Bogen über 210 Filmminuten und über 30 Jahre deutsch-deutsche Geschichte: einer Geschichte ständiger Einflussnahmen durch Stasi oder Verfassungsschutz. Erzählt wird das ohne lange Rückblenden, im Hier & Heute. Und das aus gutem Grund. Dass Geschichte nicht vergangen ist, lässt sich am besten (sinnlich) begreifen, wenn man sieht, wie Vergangenes sich noch Jahre später auf die Gegenwart auswirken kann.

Hüben wie drüben: Die Lebenslügen der Eltern schlagen auf die Kinder zurück
Geschichte kommt zurück, sie verfolgt Familien, Eltern ziehen ihre Kinder unwillkürlich hinein in ihre schmutzige Vergangenheit – davon erzählt dieser ebenso spannende, politisch sensibilisierende wie Erkenntnis stiftende ZDF-Zweiteiler. Autorin und Stern-Reporterin Frauke Hunfeld („Ich wollte nicht töten“) beginnt bei den Jugendlichen, die mit den Lebenslügen ihrer Eltern konfrontiert werden. Das Elite-Internat ist deshalb auch, was dieses Thema angeht, ein guter Einstieg. „Erlengrund“ ist eine Fiktion, in der sich deutsche Wirklichkeit spiegelt. Denn bald stellt sich heraus, dass die Eltern des verschwundenen Mädchens und des getöteten Jungen eine politische Vergangenheit verbindet. Der zweite Teil rückt die Lebensläufe dreier Männer und einer Frau in den Mittelpunkt, die als Studenten die Frankfurter Startbahn West bekämpft haben; dabei kamen zwei Polizisten ums Leben. Eine Schlüsselrolle für die historischen Prägungen durch die Eltern bekommt auch die von Nadja Uhl gespielte Undercover-Ermittlerin, die mit dem Nachlass ihrer gerade verstorbenen Mutter befasst ist. Sie stößt auf Geldbeträge, die ihrer Mutter von einer Stiftung in den letzten 25 Jahren überwiesen wurden. Außerdem fällt ihr ein Foto von einer Beerdigungsfeier ihres Vaters in die Hände – das Datum: ein Jahr vor ihrer Geburt. War ihr Vater ein Spion, sogenannter „Kundschafter des Friedens“ im Dienste der DDR? Was ist aus ihm geworden? Und wurde ihre Mutter jahrelang aus dem Vermögen von SED und Stasi bezahlt?

Tod im InternatFoto: ZDF / Reiner Bajo
Der Originalschauplatz, die Frankfurter Startbahn West, erzählt eine eigene Geschichte im Hintergrund. Zwei Linke, zwei ganz verschiedene Viten. Joachim Król & Martin Feifel

„Dass Millionensummen der DDR in der Wendezeit verschwunden sind, ins Ausland, in Stiftungen mit zweifelhaftem Ruf oder ohne jede Spur, ist Teil der Wendegeschichte. Dass es immer noch alte Verbindungen gibt, alte Verpflichtungen und neue Ziele, könnte man vermuten. Und dass eine junge Generation die Tabus und Traumata ihrer Eltern spürt, ist allgemein bekannt. ‚Erlengrund’ ist ein fiktiver Ort, dessen Themen aber sind Teil unserer Wirklichkeit.“ (Autorin Frauke Hunfeld über Realität und Fiktion)

Der Einzelne zählt nichts, das System ist alles: der Politthriller im Aufwind?
Anders als zuletzt in dem ZDF-Dreiteiler „Der gleiche Himmel“, der ein Produkt für den internationalen Markt war (was allerdings nicht seine Mängel erklärt), sieht man „Tod im Internat“ an, dass es den Machern nicht nur um cooles Genreerzählen geht, sondern dass sie eine Kernaussage ins Zentrum der finalen Erkenntnis stellen, die hierzulande im Fernsehen Seltenheitswert hat, allenfalls mal gestreift wird (zuletzt im NSU-Ermittler-Film über die Verstrickungen des Verfassungsschutzes mit der Neonazi-Szene): die Eigenmächtigkeit und Verselbständigung deutscher Behörden, die notfalls im Interesse des Staates auch über Leichen gehen. Keine Frage, dass sich die Gegenspieler, die LKA-Fahnderin, der Provinz-Kommissar und ihre zufälligen Verbündeten, bei ihrem Kampf gegen das System, die vielen Rädchen der Macht, nur geringe Chancen auf einen „Sieg“ ausrechnen dürfen. Autorin Hunfeld hält sich – anders als beispielsweise Daniel Harrich in seinen Doku-Dramen – weniger an die Realität, sondern lädt Fakten kraftvoll mit Fiction auf. Das ergibt keine Räuberpistole, aber auch kein so ernsthaftes Diskurs-Drama wie etwa die NSU-Filme der ARD. Der Zweiteiler von Torsten C. Fischer liegt irgendwo dazwischen, erinnert in Thema und Tonlage an Matthias Glasners „Das Staatsgeheimnis“, eine Pro-Sieben-Produktion; das ist 16 Jahre her. Daran sieht man, wie stiefmütterlich das Genre Politthriller im öffentlich-rechtlichen Fernsehen behandelt wird. Weil aber seit einigen Jahren das Genre über die ausländischen Politthrillerserien, „House of Cards“, „Homeland“ oder „Borgen“, in deutsche Haushalte gelangen, näherten sich zuletzt die ARD mit Filmen wie „Der Fall Barschel“ oder „Die vierte Gewalt“ und das ZDF etwas knalliger mit der „Dengler“-Reihe dem Genre an. „Tod im Internat“ hätte ein Vorreiter sein können. Die Vorbereitungen zu dem Projekt begannen bereits 2010. Was zunächst als 360-minütiger Vierteiler entwickelt wurde, sollte dann eine Mini-Serie à vier Mal 60 Minuten werden, nun sind es zwei Teile à 105 Minuten geworden.

Tod im InternatFoto: ZDF / Reiner Bajo
Hochspannung im zweiten Teil. Die LKA-Frau (Nadja Uhl) und ihr Kollege aus der Provinz (Hanno Koffler). Lange Zeit wissen sie nicht, wer hier wen in der Hand hat.

Die Folgen der Format-Odyssee?  Viele Details sind – retrospektiv betrachtet – ungenau, bleiben unscharf, und einige narrative Informationen werfen Fragen auf: Wurde Sophie entführt? Kennt sie Volker Jens schon länger? Was hat es mit dem „älteren Freund“ auf sich? War der eine Erfindung von ihr und weshalb? Oder ist Jens der ältere Mann? War da etwas Sexuelles im Spiel? Auch das erotische Dreieck zwischen Sophies Eltern und Jens hätte – gerade auch bei der Besetzung mit Król, Eichhorn, Feifel – mehr als ein paar Andeutungen verdient gehabt.

Die vielgesichtige Distanz und gläserne Transparenz der großartigen Nadja Uhl
Der Film müsste beim Zuschauer funktionieren. Umso besser, je mehr er bereit ist, sich auf die politischen Bewegungen der 1980er Jahre hüben wie drüben einzulassen. Aber auch, wer diesen deutsch-deutschen Machenschaften wenig abgewinnen kann, dürfte genug Reizvolles zum „Andocken“ finden. Nadja Uhl konnte ihre Möglichkeiten selten eindrucksvoller entfalten (wann gibt es auch schon mal eine Hauptrolle über eine so lange Strecke): Für jede Situation findet sie eine passende mimische Nuance, eine feine Transparenz liegt auf ihrem Gesicht; mal aus einer abwartenden Distanz heraus gespielt, oft wortlos, mit versteckter Wut oder provozierend kühlem Blick (im Duett mit Zapatkas Stasi-Übervater), dann freundlich (zum Kollegen), mal leicht spöttisch, gelegentlich mit etwas mehr als nur professioneller Zuneigung (im Umgang mit den Schülern), schließlich verkapselt, wenn sich diese Frau mit der verkorksten Familiengeschichte ihrem Schicksal allein in einer Szene stellen muss. Auch Regisseur Torsten C. Fischer war begeistert von seiner Hauptdarstellerin und „wie es ihr gelingt, fast nie kraftlos und eben doch gleichzeitig porös, gläsern wie wund zu erscheinen.“

Tod im InternatFoto: ZDF / Reiner Bajo
Das Verschwinden der 17-jährigen Wichert-Tochter (Emma Drogunova) gibt Rätsel auf, die – auch durch die Format-Odyssee – nicht alle gelöst werden. Martin Feifel

Soundtrack: R.E.M. („Man On The Moon“), Jethro Tull („Locomotive Breath“), Jimi Hendrix („Purple Haze“), The Doors („People Are Strange“)

Und immer sucht Torsten C. Fischer nach visuell reizvollen (Auf-)Lösungen
Die erkennbare Absicht, in einem Film, der gelegentlich Zeitgeschichte erläuternde Wortwechsel benötigt, um auch für jüngere Zuschauer verständlich zu sein, andere Passagen umso mehr über Bilder zu erzählen, wurde teilweise sehr einfallsreich umgesetzt. Immer wieder sieht man, was die Hauptfigur beobachtet, mit ihrem Blick erkennt man die erpresserischen Motive in den fotografischen Kunstwerken des Mordopfers, die ja ihrerseits selbst ein starkes visuelles Motiv sind. Oder man sieht, was die Heldin denkt: Über ihre Kindheit spricht sie erst im zweiten Teil, im ersten aber werden ihre Traumata bereits in Erinnerungsbildern vorweggenommen. Manchmal sind es auch die gut gewählten, sinnlichen Locations (wie der Originalschauplatz Frankfurter Startbahn West), die den Dialogen eine größere Unmittelbarkeit und damit oft auch eine bessere Verständlichkeit geben. Doppelt genial, dramaturgisch wie wahrnehmungspsychologisch, ist auch die Methode, die „Lehrerin“ per Smartphone zur Beisitzerin bei Befragungen ihres Kollegen zu machen. Dass die Format-Odyssee dieses Projekts zu weniger klugen Verdichtungen führen musste, verwundert kaum. Das ändert aber nichts daran, dass „Tod im Internat“ ein sehr sehenswerter Zweiteiler ist, ein Politthriller, wie er hierzulande viel zu selten versucht wird. (Text-Stand: 14.9.2017)

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Mit Nadja Uhl, Hanno Koffler, Joachim Król, Karoline Eichhorn, Martin Feifel, Oliver Stokowski, Manfred Zapatka, Max Hopp, Emma Drogunova, Merlin Rose, Stephan Kampwirth, Johann von Bülow, Valentino Fortuzzi, Valeria Eisenbart, Anna Bullard-Werner

Kamera: Holly Fink

Szenenbild: Eduard Krajewski

Kostüm: Annegret Oehme

Schnitt: Benjamin Hembus

Musik: Warner Poland, Wolfgang Glum

Produktionsfirma: TV60 Filmproduktion

Produktion: Sven Burgemeister, Andreas Schneppe

Drehbuch: Frauke Hunfeld

Regie: Torsten C. Fischer

Quote: 1. Teil: 5,72 Mio. Zuscher (18,6% MA); 2. Teil: 5,06 Mio. (17,2% MA)

EA: 09.10.2017 20:15 Uhr | ZDF

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