Nicht ganz unerwartet ist aus Kommissar Stedefreund (Oliver Mommsen) nach der Folge „Blut“ doch kein Vampir geworden, dafür überrascht er diesmal mit der Qualifikation eines erfahrenen Fallschirmspringers. Er nimmt seine Kollegin Lürsen (Sabine Postel) zu einem Tandemsprung mit; unterwegs hat er die Coolness, um zu telefonieren und die „Tatort“-übliche Nachricht vom Leichenfund entgegenzunehmen. Lürsen, die eine Wettschuld einzulösen hat, stürzt schreiend aus dem Flugzeug, findet aber bei geöffnetem Fallschirm Gefallen an dem Abenteuer und segelt mit Reinhard Meys „Über den Wolken“ aus den Lippen geradezu euphorisch der Erde entgegen. Das Bremer Team, das bei diesem Symbol-trächtigen Auftakt besonderen Zusammenhalt demonstriert, sieht sich in seinem letzten Fall noch mal einer Zerreißprobe ausgesetzt. Dafür schraubt Florian Baxmeyer, der bei nunmehr 14 Bremer „Tatort“-Folgen Regie führte, aber das erste Mal auch am Drehbuch mitschrieb (gemeinsam mit Michael Comtesse), ein wenig an der Vita des Kommissars: Die Auszeit, die er sich 2013 angeblich nahm, absolvierte er doch nicht als Ausbilder in Afghanistan.
Foto: RB / Christine Schröder
In „Wo ist nur mein Schatz geblieben?“ kehren vielmehr die Gespenster aus Stedefreunds Vergangenheit zurück, genauer gesagt: die BKA-Kollegen Maller (Robert Hunger-Bühler) und Kempf (Philipp Hochmair). Maller ist der erfahrene, rational agierende Wortführer, Kempf sein treuer, aber durchgeknallter Gefährte und ein menschliches Wrack. Insbesondere Hochmair gibt hier richtig Gas als drogenabhängiger Polizist, eine Paraderolle für den Österreicher mit dem Talent für schräge, zynische Typen. Maller und Kempf versuchen von Anfang an, die Ermittlungen in dem Fall einer getöteten Sekretärin (Lotta Doll) zu torpedieren. Die Leiche kommt durch einen Rohrbruch auf einer Baustelle unter frisch verlegtem Asphalt zutage. Das erdrosselte Mordopfer arbeitete bei einer Immobilien-Firma, die Vera Berlov (Violetta Schurawlow) gehört. Und weil die aus Tschetschenien stammende Unternehmerin im Verdacht steht, das Geld aus den kriminellen Geschäften ihres Bruders Adam (Daniel Wagner) zu waschen, hat das BKA auf sie einen Verdeckten Ermittler (VE) angesetzt, den Kundenberater Roger Stahl (Kostja Ullmann), der auch privat ausgesprochen erfolgreich war: Stahl ist Veras Geliebter und Vater ihres gemeinsamen, noch kleinen Kindes.
Nach 39 Filmen in mehr als 20 Jahren endet die Ära von Sabine Postel und ihrer sympathischen Ermittlerfigur Inga Lürsen im „Tatort“. Auch Oliver Mommsen steigt nach 34 gemeinsamen Folgen aus. Das ist eine beachtliche Strecke, auf der Lürsen und Stedefreund mit der Zeit eine freundschaftliche Beziehung zueinander entwickelt haben. Baxmeyer schlägt daraus in der Abschiedsfolge noch einmal dramatisches Kapital. „Wir wollten eine persönliche Geschichte über Lürsen und Stedefreund erzählen, ohne private Konflikte aufzumachen“, sagt der Regisseur. Stedefreund verhält sich kooperativ mit dem seltsamen BKA-Duo und zeigt Verständnis für deren Aufforderung, sich herauszuhalten, um den VE und den nahen Fahndungserfolg gegen die tschetschenische Mafia nicht zu gefährden. Lürsen hält davon weniger. Beide gehen eigene Wege, und neben dem eigentlichen Kriminalfall hat die hartnäckige Lürsen aufzuklären, was ihren Kollegen mit Maller und dem irren Kempf verbindet. Ein Wiedersehen gibt es noch mit Luise Wolfram als BKA-Ermittlerin Linda Selb, die von Lürsen um Unterstützung gebeten wird.
Eingebettet wird das Freundschaftsdrama in einen Thriller, dem Baxmeyer selbst „eine gewisse Überhöhung“ attestiert. Um Plausibilität und „Realismus“ geht es hier weniger, zum Abschied ist vielmehr alles auf den Showdown am Ende hin konstruiert, gewissermaßen paarweise. Das Szenenbild setzt dabei starke Akzente: Maller und Kempf hausen, wenn sie nicht im Auto hocken, in einem schmuddeligen „Büro“ in einer ehemaligen Bundesbank-Filiale. Sauber und schick dagegen die Villa von Vera und Roger. Das bildhübsche Paar wirkt wie eine moderne Musterfamilie, in der die Frau das Unternehmen leitet und der Mann sich ganz selbstverständlich auch um das Baby kümmert. Diese auch visuell reizvolle Konstellation hat eine Art Grundthema: Die Loyalität zum Partner wird letztlich bei allen drei „Paaren“ auf die Probe gestellt, bei Lürsen und Stedefreund durch die Vergangenheit des Kommissars, beim BKA-Duo durch die Eskapaden des stets voll gedröhnten Kempf, bei Vera und Roger durch den „Verrat“ des verdeckten Ermittelns und durch einen weiteren Auftrag des Schwerkriminellen Adam Berlov. Der muss schnell sieben Millionen Euro in der Firma seiner Schwester waschen lassen. Die Übergabe des Geldes wäre die perfekte Gelegenheit, um die Berlovs endlich zu überführen.
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Unterhaltsam und spannend bis zum Schluss ist die letzte Bremer Folge gewiss, auch wenn der Fall der getöteten Sekretärin mehr und mehr zur Nebensache wird. Der Ausstieg wird dann in einem Thriller-gemäßen Finale zelebriert, aber das ganze Szenario wirkt doch wie am Reißbrett entworfen. So erweist sich insbesondere die Episode aus Stedefreunds Vergangenheit nicht nur als extrem gewagt und unglaubwürdig, sondern auch als ein ziemlich unappetitliches Gewaltszenario, in dem verängstigte Frauen wie zur Schlachtbank geführt werden. Ein selbst für Filme aus der zweifellos gewalttätigen Welt der Organisierten Kriminalität grenzwertiger Einfall. Und: Im Gegensatz etwa zu dem Rostocker Polizeiruf-„Kommissar“ Bukow, dessen Biografie samt nicht ganz sauberer Vor-Geschichte konsequent horizontal über alle Folgen erzählt wird, zaubert Baxmeyer hier für den Bremer Kommissar plötzlich ein knallhartes, traumatisches Erlebnis aus dem Hut. Das ist zwar nicht gerade hohe Serien-Kunst, kann man aber zum Abschluss so machen: Es geht ja ohnehin nicht weiter. Eine – mit Abstrichen – würdige Abschiedsfolge für das Bremer Team. (Text-Stand: 22.3.2019)