Tatort – Wehrlos

Neuhauser, Krassnitzer, Hatzl, Uli Brée, Christopher Schier. Streitlust & Missbrauch

Foto: ORF / Hubert Mican
Foto Thomas Gehringer

Der Leiter der Wiener Polizeischule wird erschossen aufgefunden, auch seine Ehefrau ist tot. Bibi Fellner (großartig: Adele Neuhauser) soll als neue Chefin der Schule verdeckt ermitteln und wird von Ausbilder Nowak (beängstigend: Simon Hatzl) nach allen Regeln der Kunst gemobbt. „Wehrlos“ ist ein krasser „Tatort“-Fall, der Hass auf Frauen und Machtmissbrauch zum Thema macht. Die österreichisch-garstige Komik, mit der der Geschlechterkampf in der ersten Film-Hälfte ausgetragen wird, kippt zunehmend ins Ernsthafte. Manches ist vorhersehbar, doch Drehbuch und Regie überzeugen mit einer Dramaturgie, die die Beklemmung allmählich steigert und die Tragödie konsequent zu Ende erzählt.

Einbrecher auf der Flucht fällt über Leiche
Leichen werden in Krimis nach einer empirisch nicht unbedingt gesicherten Fallstudie des Autors meist von Spaziergängern entdeckt. Oder von deren Hunden. Familienangehörige, Freunde, Nachbarn tun’s natürlich auch. Ist aber langweilig. Selten, kommt jedoch vor: Einbrecher. Wie in diesem „Tatort“-Fall aus Wien. Ein Einbrecher durchsucht nachts die Schränke in einem Einfamilienhaus, als zwei Schüsse fallen. Der Bewohner wacht auf, ruft: „Hallo, ist da wer?“, woraufhin der Einbrecher panisch davon läuft, im strömenden Regen auf dem Nachbargrundstück ausrutscht, der Länge nach hinfällt und von dieser Position aus durch eine Glasscheibe die Leiche eines Mannes im Haus entdeckt. Dort war er übrigens vor einiger Zeit auch eingestiegen, was nicht unerheblichen Einfluss auf diesen Kriminalfall hat. Der erschrockene Einbrecher ruft also anonym die Polizei, die im ersten Stock des Hauses außerdem noch die tote Ehefrau findet. Genickbruch. Offenbar war sie mit Wucht gegen einen Schrank geschubst worden. Also ein Ehe-Drama? Brisant ist der Fall, weil der Tote ein hohes Tier bei der Polizei war: Peter Kralicek war der Leiter der Wiener Polizeischule.

Tatort – WehrlosFoto: ORF / Hubert Mican
Cooler Undercover-Einsatz, der Laune macht, aber zunehmend an die Nieren geht. Und bei Bibi (Adele Neuhauser) reißen alte Wunden auf. Julia Richter, Simon Hatzl

Zwischen Bibi und Moritz kracht es gewaltig
Für ein Ehe-Drama als Krimi-Thema spricht auch, dass hier von Anfang an permanent gestritten wird. Majorin Bibi Fellner (Adele Neuhauser) hat sich gerade bei einem Dating-Portal angemeldet. Selbst ein „Lonely Heart“ auf der Suche, reagiert sie verletzt und enttäuscht, dass Oberstleutnant Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) nichts von seiner neuen Flamme Samy (Ruth Brauer-Kvam) erzählt hat. Es kracht gewaltig zwischen den eigentlich befreundeten Ermittlern. Dazu sorgen die in giftiges Grün getauchten Nachtbilder von Thomas W. Kiennast für eine passende Stimmung. Die Dialoge sind scharf und konsequent, Bibi und Moritz schreien sich an, alte Wunden werden aufgerissen („Ich glaub, ich kann so trocken sein wie die Sahel-Zone und du hältst mir immer noch vor, dass ich sauf“). Auch wenn eine Versöhnung nach allen Regeln der TV-Kunst wahrscheinlich erscheint, schließlich wird die Reihe ja fortgesetzt, kommt dieser Zwist mit ungewöhnlichem Wumms daher.

Österreichischer Humor in der Vorhölle Ehe
Und zugleich mit dieser speziellen Art österreichischer Komik: Wie so oft bieten der gallige Humor und die garstigen Alltags-Miniaturen beste Unterhaltung, jedenfalls zu Beginn. Das Nachbar-Ehepaar Haag zum Beispiel liefert sich bei der Befragung durch die Kommissare ein peinlich-persönliches Wortduell. Das Einbruchsopfer, das auf Polizei und Rumänen-Banden schimpft, schrumpft an der Seite seiner Frau auf „Purzel“-Niveau. Vorhölle Ehe. Überhaupt geht es hier zwischen Mann und Frau grundsätzlich schief. Die erfahrene Rechtsmedizinerin muss sich von ihrem jungen Kollegen, einem rechten Klugscheißer, zurechtweisen lassen. Assistent „Fredo“ (Thomas Stipsits), diese ununterbrochen plappernde Nervensäge, hat Stress mit seiner Frau und verbringt eine Nacht auf Bibis Couch. Das ist vielleicht alles etwas dick aufgetragen, aber wenn es denn in wunderbare Szenen mündet, lässt man sich das gerne gefallen – wie in dieser Situation auf dem Kommissariat: Bibi und Moritz, die sich eigentlich schon wieder versöhnt haben, müssen sich noch einmal einen Show-Streit für die Kollegen liefern. Es soll glaubhaft aussehen, dass Bibi versetzt und die Nachfolgerin von Kralicek an der Polizeischule wird, wo sie „verdeckt“ ermitteln soll. Man versichert sich also mehrfach, dass das Folgende nicht ernst und persönlich gemeint sei – und gerät doch wieder gewaltig aneinander. Eine klassisch-komödiantische Szene, pures Vergnügen.

Tatort – WehrlosFoto: ORF / Hubert Mican
Eisner (Harald Krassnitzer) und sein schusseliger Kriminalassistent „Fredo“ Schimpf (Thomas Stipsits), der seine Goschen nicht halten kann, verfolgen Spuren ins Rotlichtmilieu.

Parallelwelt aus Drill und Gehorsam
Der laute, schwungvolle und bissig-komische Geschlechterkampf kippt allerdings zunehmend ins Ernsthafte, Tragische. „Wehrlos“ wird zur knallharten Abrechnung mit frauenfeindlichen Traditionen und hierarchiegläubigem Obrigkeitsdenken, das Unterwerfung bis zur sexuellen Auslieferung verlangt. In diesem „Tatort“ steht die Wertewelt auf dem Kopf, wird das „Böse“ von den Opfern repräsentiert, sind die Täter die wahren Opfer. Als sich Majorin Bibi Fellner erstmals als Leiterin der Polizeischule eine Uniform überstreift, erlebt sie die beklemmende Atmosphäre einer Parallelwelt aus Drill & Gehorsam. Und Bibi selbst wird nach allen Regeln der Kunst von Gruppen-Inspektor Nowak (Simon Hatzl) gemobbt. Angriffsflächen bietet sie genug: die Vergangenheit als Alkoholikerin, das frisch angelegte Profil beim Dating-Portal „Lonely Hearts“. Die großartige Adele Neuhauser darf in diesem Film mal wieder die ernsten Seiten ihrer Figur ausloten, Bibis Verletzlichkeit, ihre Einsamkeit, aber auch ihren Kampfgeist.

Tatort – WehrlosFoto: ORF / Hubert Mican
Der Ausbilder Thomas Nowak (Simon Hatzl) begreift die Polizeianwärterin Katja Humbold (Julia Richter) als seine Leibeigene – und die junge Frau schweigt.

Nowak und der Frauenhass, von dem sich leicht distanzieren lässt
Die Kriminellen wie die „depperte Bonny und der süße Clyde“, Hehlerin Daniela (Simone Fuith) und Einbrecher Florian (Sebastian Wendelin), sowie Inkasso-Heinzi (Simon Schwarz) sind eher harmlos-kauzig. Nowaks Figur dagegen ist derart krass und unzweideutig, dass es leicht fällt, sich von dessen Frauenhass zu distanzieren. Und da er gleich zu Beginn am Tatort einen denkwürdigen Auftritt hat, wissen erfahrene Krimi-Zuschauer schnell, wohin der Hase laufen dürfte. Das Publikum ist ohnehin den Ermittlern immer mal wieder voraus. Es weiß von den zwei Schüssen, während die Polizei noch eine Weile an einen Selbstmord Kraliceks glaubt. Und es weiß von dem USB-Stick, den Bonny und Clyde bei einem stümperhaften Erpressungsversuch im schummrigen Etablissement von Inkasso-Heinzi verloren haben. Logisch, dass die entscheidende Wende vollzogen wird, wenn die Polizei endlich auf den Trichter kommt, dass noch ein Stick mit brisantem Material wartet. Dauert aber eine Weile.

Polizeischüler, die alles mit sich machen lassen
„Wehrlos“ ist auch ein ziemlich konventioneller Krimi mit den üblichen Schwächen im Detail. Die Konsequenz, mit der dieser krasse Fall jedoch zu Ende erzählt wird und dabei all die Streitlust in der ersten Filmhälfte derart verblassen lässt, dass einem wirklich nicht mehr nach Lachen zumute ist, beeindruckt. Freilich muss man die Grundannahme für glaubwürdig erachten, dass Polizeischüler buchstäblich alles mit sich machen lassen, nur um die Aufnahme in den Polizeidienst nicht zu gefährden. Um diese Fallhöhe zu erreichen, ist es zweifellos erforderlich, dass Hatzl so überzeugend und konsequent den bösartigen Widerling Nowak spielt, der sich eine Polizeischülerin (Julia Richter) wie eine Leibeigene hält. Bedenkt man die nicht wenigen Missbrauchsfälle in Institutionen, in denen Menschen ihre Machtposition ausgenutzt haben, ist ein solches Szenario weniger abwegig, als es zunächst scheint.

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Reihe

ORF

Mit Adele Neuhauser, Harald Krassnitzer, Simon Hatzl, Thomas Stipsits, Julia Richter, Hubert Kramar, Simon Schwarz, Alexander Strobele, Sebastian Wendelin, Simone Fuith, Martin Zauner

Kamera: Thomas W. Kiennast

Licht: Benjamin Klein

Szenenbild: Conrad Moritz Reinhardt

Schnitt: Alexandra Löwy

Produktionsfirma: Gebhardt Productions

Drehbuch: Uli Brée

Regie: Christopher Schier

Quote: 9,34 Mio. Zuschauer (25,4% MA)

EA: 23.04.2017 20:15 Uhr | ARD

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