Von wegen besinnliche Weihnachtsstimmung: Der Dortmunder „Tatort“ liefert ein komplexes Familien-Verwirrspiel in gereizter Tonlage. Vor allem im Kommissariat herrscht eine eisige Atmosphäre (was immerhin zur Winter-Programmierung passt). Der vom Tod seiner geliebten Kollegin Martina Bönisch einst schwer getroffene Peter Faber (Jörg Hartmann) muss wieder mit seinem Intimfeind, Kriminaltechniker Haller (Tilman Strauß), zusammenarbeiten. Beide nutzen jede Gelegenheit zu verletzenden Bemerkungen, was nur für diejenigen Zuschauer:innen einigermaßen verständlich ist, die sich noch an die Vorgeschichte erinnern. Faber macht Haller, der einst mit Martina liiert war und der sie später aggressiv bedrängte, für den gewaltsamen Tod der Kommissarin mitverantwortlich. Ähnlich angespannt ist das Verhältnis zwischen Rosa Herzog (Stefanie Reinsperger) und der neuen Chefin Ira Klasnić (Alessija Lause). Herzog gibt Klasnić, die zuvor die Abteilung Verdeckte Ermittlungen leitete, die Schuld daran, dass der mit ihr befreundete Kollege Jan Pawlak in der letzten Episode „Cash“ das Weite suchte.
Mit „Made in China“ feiert der WDR ein kleines Jubiläum: Auf 25 Filme hat es die „Tatort“-Reihe aus Dortmund seit September 2012 gebracht. Allerdings war die Fluktuation in den vergangenen zwölf Jahren vergleichsweise hoch, allein Jörg Hartmann ist von der ursprünglich vierköpfigen Besetzung übrig geblieben. Und nach dem Ausscheiden von Anna Schudt (Februar 2022) und zuletzt Rick Okon (Februar 2024) muss sich das auf eine Zwei-plus-Eins-Kombination geschrumpfte Team mal wieder neu zusammenraufen. Dabei war es zu Beginn das Markenzeichen des Dortmunder „Tatorts“, die Geschichten der Hauptfiguren über mehrere Filme hinweg zu erzählen. Das gilt nach wie vor für Faber und Herzog, die auch als Team immer besser harmonieren. Doch bei Klasnić ist noch keine Idee erkennbar, wohin die Reise gehen könnte. Es hakt noch in der neuen Besetzung.
Autor Wolfgang Stauch hat für diese wortreiche Episode pointierte Dialoge geschrieben, was die bisweilen etwas anstrengende Stimmung erträglicher macht. Kommissar Faber kann man ohnehin alle möglichen Humor-Schattierungen in den Mund legen. Von harmlos-launig („Wir hetzen hinterher wie Kommissar Rex hinter den Schafen“) bis böse-sarkastisch („Früher oder später sind Sie auch tot – ich gehe mal von früher aus“). Schlagfertig präsentiert sich auch Sophia Haiden (Marie-Lou Sellem), die Ehefrau des möglicherweise getöteten Stahl-Managers Jo Haiden (Gerhard Roiß). „Dieser Familie entkommt man auf zwei Arten – entweder gar nicht oder im Sarg“, sagt Sophia, die das Verschwinden ihres Mannes seltsamer Weise nicht sehr ungewöhnlich findet. Der in die Stahlunternehmer-Familie eingeheiratete Jo, der früher schon mal spontan für Monate nach China verschwand, ist das Phantom dieser Episode: nur sichtbar, wenn Faber und Herzog den möglichen Tathergang visualisieren. Dass Regisseur Jobst Christian Oetzmann in diesen Szenen Realität und Fantasie mischt, ist eigentlich keine ungewöhnliche Idee, wirkt aber in der engen Küche umso irritierender, weil Faber und Herzog ihren Gedanken buchstäblich im Weg stehen.
Das Drehbuch verbindet Zeitgeschichte und Familiendrama: Wie im Film wurden im Pott schon komplette Stahlwerke ab- und in China wieder aufgebaut. Jo Haiden hatte aber nicht nur im China-Geschäft seine Finger im Spiel, sondern taucht auch in einem Fotoalbum von Susanne Bütow (Esther Zschieschow) auf. Bütow sitzt als ehemaliges Mitglied der RAF gerade im Knast, wohin sie zuletzt die eigene Tochter, Kommissarin Rosa Herzog, gebracht hat. Dass Jo Haiden ein Phantom bleibt, ist eine funktionierende Idee, gleichzeitig aber auch schade, denn Jo ist definitiv die interessanteste Figur: Vom Ex-Terroristen zum Stahl-Manager und weiter womöglich zum Industriespion – das ist mal eine filmreife Karriere. Vieles deutet allerdings darauf hin, dass Jo Haidens Tochter dem Leben ihres Vaters ein Ende bereitet hat. Vanessa (Klara Lange) taucht zu Beginn blutverschmiert in einem Asia-Supermarkt auf, wo sie außer sich ruft: „Ich hab ihn umgebracht.“ Auf dem Revier kann sie sich zwar an nichts mehr erinnern. Doch ein im „Dschungel“ des weitläufigen Gartens der Familie Haiden entdecktes Messer und ein Video, das die Beseitigung einer Leiche zu zeigen scheint, bestätigen Vanessas Angaben. Als Rosa Herzog vor dem Haiden-Anwesen der chinesischen Psychiaterin Shen Bo (Yun Huang) begegnet, nimmt das Verwirrspiel eine weitere Wendung.