Tatort – Macht und Ohnmacht

Wachtveitl, Nemec, Fitz, Golch, Stiller. Gewalt, ein Virus, der auch die Guten infiziert

Foto: BR / Hagen Keller
Foto Rainer Tittelbach

Leitmayers und Batics Ermittlungen zielen im „Tatort – Macht und Ohnmacht“ bald in die eigenen Reihen – gegen Polizisten, die die Drecksarbeit machen, die den Kopf hinhalten müssen und die sich oft allein gelassen fühlen von den Kripo-Kollegen, dem Staatsanwalt, dem Gesetz. Und dann steht plötzlich der alte Kollege Carlo auf der Matte und fühlt sich einmal mehr in seinem Entschluss, die Polizeidienst zu quittieren, bestätigt. Auch ästhetisch nimmt dieser Top-„Tatort“ die Herausforderung des Themas an: hoher Realismus-Touch, moderne Bildsprache, starke Montageeffekte, Bewegung, wohin das Auge reicht.

Zwei Jugendliche prügeln und treten einen Kioskbesitzer ins Koma. Die Polizei hat von einem Informanten die Namen der beiden bekommen. Matteo Lechner und seine Kollegen können die jugendlichen Täter nach einer wilden Verfolgungsjagd stellen. Da die Überwachungs-Kamera die Täter nur von hinten zeigt, ist einer der beiden am nächsten Tag wieder auf freiem Fuß. Der zweite sitzt auch nur deshalb weiter in U-Haft, weil einer der Polizisten eine belastende Falschaussage macht. Gemischte Gefühle bei den Jungs von der Streife also. Und dann steht plötzlich Carlo Menzinger, der Ex-Kollege, bei ihnen in der Umkleide – und umarmt seinen Freund Matteo. Die Freude währt nicht lange. Minuten später schießt sich einer der Kollegen in den Kopf. Am nächsten Tag gibt es einen weiteren Toten: Der Informant, der die beiden Jungs verpfiffen hat. Carlo, heute Hotelier in Thailand, nur auf Stippvisite in München, weiß nicht, was er von der Sache halten soll. Am Abend vor dem Mord hat er einen Streit mitbekommen zwischen dem Informanten & seinem Freund Matteo.

Tatort – Macht und OhnmachtFoto: BR / Hagen Keller
Die Polizistin (Sonsee Neu) bekommt mit der Schaufel einen Schlag ins Gesicht. Wird sie zum Zünglein an der Waage in diesem polizeiinternen Fall?

„Uns war es sehr wichtig, Polizeibrutalität in Ausnahmesituationen nachvollziehbar zu machen. Es geht nicht darum, Polizisten als schlecht oder gewalttätig darzustellen – ganz im Gegenteil: Einige unserer Protagonisten werden von ihrem Gewissen eingeholt.“ (Produzent Michael Polle)

Erst in der 17. Minute ist im BR-„Tatort – Macht und Ohnmacht“ die Stunde für die Kripo-Kommissare Batic und Leitmayr gekommen. Sie müssen den Tod des jungen Mannes aufklären, den Matteo aus dem kriminellen Sumpf gezogen hat. Die Ermittlungen zielen bald in die eigenen Reihen – gegen Polizisten, die die Drecksarbeit machen, die den Kopf hinhalten müssen und die sich oft allein gelassen fühlen von den Kripo-Kollegen, dem Staatsanwalt, dem Gesetz. Die Nerven liegen blank. „Ich bin Polizist – und ich übernehme Verantwortung“, brüllt Matteo, einst ein Polizist aus Leidenschaft, dem offenbar selbst im tagtäglichen Kleinkrieg auf den Straßen der Blick für Recht und Unrecht abhanden gekommen ist. Auch seine Kollegen sind nicht zimperlich. Da wird noch mal kräftig nachgetreten, wenn der mutmaßliche Täter bereits auf dem Boden liegt, da wird ein Schaufelschlag gegen den Kopf der Kollegin mit einem Bombardement von Faustschlägen ins Gesicht eines wehrlosen Jugendlichen beantwortet. Gewalt schafft Gewalt. „Die Polizisten in unserem Film sind vom Weg abgekommen, und mittlerweile scheint jedes Mittel recht, um zum Ziel zu gelangen“, sagt Regisseur Thomas Stiller. „Sie bewegen sich über Jahre in einer Welt aus Gewalt und Elend – und irgendwann infiziert dies wie ein Virus.“ Zu dieser Reflexion des Berufsbilds Polizist passt auch der Besuch des alten Kollegen gut ins Bild. „Das ist ein beschissener Beruf“, wusste Carlo, als er ausstieg, und jetzt fühlt er sich aufs Tragischste bestätigt.

Tatort – Macht und OhnmachtFoto: BR / Hagen Keller
Auch Carlos alter Freund Matteo (Emilio De Marchi) kennt kein Pardon mehr…

„Mir geht es nicht darum, die Polizei anzuprangern. Ich habe versucht, Polizisten als Menschen darzustellen, die von ihrer täglichen Umwelt irgendwann überfordert sind und von den Gewalttätigkeiten der Gegenseite infiziert wurden und ähnlich, wenn nicht brutaler, zurückschlagen. Es ist letztlich das Mittel einer großen Sprachlosigkeit“ (Thomas Stiller)

Nicht nur das gesellschaftspolitisch relevante Thema und das Ermitteln der Münchner Graulocken in den eigenen Reihen macht „Macht und Ohnmacht“ zu einem ganz besonderen  „Tatort“. Auch ästhetisch nimmt der Film die Herausforderung seines Themas an. Die namenlosen und gesichtslosen Polizisten, die hinter ihren Uniformen verschwinden, wurden nicht prominent besetzt. Eine sehr gute Entscheidung. Förderlich für den Realismus-Touch, die Street-Credibility, ist auch die filmische Anmutung. Besonders in den ersten Minuten geht es gleich richtig zur Sache. Moderne Bildsprache, starke Montageeffekte, Bewegung, wohin das Auge reicht. Auch später noch rückt die (Hand-)Kamera ihren Protagonisten nicht von der Seite. Gleichzeitig beweisen Stiller und sein Kameramann Philipp Sichler auch ein gutes Gespür für das physische, temporeiche Zusammenspiel von Räumen und Gesichtern, von Perspektiven und Formen. Das sieht einfach alles sehr gut aus – dabei wirken die Bilder paradoxerweise eher gefunden als gesucht. Fazit: mal wieder ein sehr starker BR-„Tatort“, der das Berufsbild Polizist kritisch reflektiert und der bestes modernes Krimi-Fernsehen ist.

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Reihe

BR

Mit Miroslav Nemec, Udo Wachtveitl, Michael Fitz, Emilio De Marchi, Sonsee Neu, Sascha Alexander Gersak, Lasse Myhr, Uwe Preuss, Alma Leiberg, Torben Liebrecht, Maria Hartmann

Kamera: Philipp Sichler

Szenenbild: Károly Pákozdy

Schnitt: Vera van Appeldorn

Soundtrack: Extrabreit („Polizisten“), Nazareth („Love hurts“)

Produktionsfirma: X Filme Creative Pool

Produktion: Michael Polle

Drehbuch: Dinah Marte Golch – Drehbuchbearbeitung: Edward Berger

Regie: Thomas Stiller

Quote: 9,30 Mio. Zuschauer (26,1% MA)

EA: 01.04.2013 20:15 Uhr | ARD

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