Die ersten Ermittlungsschritte im Fall der erdrosselten Lisa Schieblon (Reiki von Carlowitz) werden in versetzten Bild- und Tonspuren erzählt. Manches wird nur angerissen, dann wieder bestätigt das Bild einer zerbrochenen Lampe die Zeugenaussage aus der Szene zuvor. Überschneidungen statt bravem Nacheinander dynamisieren den Erzählfluss. Musik und Geräusche akzentuieren das Geschehen, unterstreichen die Atmo, übernehmen aber nie die Regie. Franziska Tobler (Eva Löbau) und Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner) kommen den ersten Verdächtigen zügig auf die Spur. Wer hat Psychologin Schieblon ermordet und warum? Während Tobler pragmatisch ihre Fragen ordnet, gibt Kollege Berg, den Hans-Jochen Wagner etwas verwilderter und verspielter darstellt als bisher, unausgesprochene Antworten. Etwa wenn er bei der Befragung von Schieblons Ehemann, ebenfalls ein geschulter Psychologe und Verfechter einer offenen Beziehung, genervt den Blick gen Decke richtet.
Foto: SWR / Benoît Linder
Am letzten Arbeitsort der Toten, einer forensischen Klinik mit kriminellen Insassen, fällt Toblers Blick auf einen jungen Mann, der das Kripoteam beobachtet. Die Kamera (Andreas Schäfauer) spielt mit Spiegelungen, zeigt Patienten, Personal und Besucher mal mit, mal ohne trennende Glasfronten zwischen sich. Kunstfertig unaufdringlich macht uns die Kamera mit dem Thema vertraut: Brechungen – in jeder Form – sind hier an der Tagesordnung. Im Fokus der Ermittler steht bald Hansi Pagel (Rüdiger Klink). Der gewalttätige Ehemann und Vater wurde auf seinem letzten Ausgang von Psychiaterin Schieblon begleitet. Nach einem Wutausbruch, Pagels Wegschluss durch zwei kräftige Pfleger und der schockierten Reaktion seines Bettnachbarn Milan Vulcic (Bekim Latifi) mutet die Szenerie ein wenig wie in Formans Kuckucksnest an. Später erwacht der fixierte Pagel auf einer Pritsche und taumelt, gestützt von zwei Pflegern, benommen in sein Zimmer zurück. Weggesperrt, sediert, gefangen. Milan Vulcic trägt das Gefängnis im Kopf. Der erste Ausbruch einer seiner Halluzinationen hebt „Tatort – Letzter Ausflug Schauinsland“ auf eine neue Ebene. Vulcic weiß, was er zu tun hat und bittet Frau Dr. Tausendleben (Ulrike Arnold) um Rat: „In meinem Kopf sind wieder Sachen“ sagt er. Oder: „Der Drache ist wieder da.“ Und: „Meine Mutter war wegen dem Drachen“. Auch eine Art, einen Mord zu erklären.
Foto: SWR / Benoît Linder
Wie in der Klinik aus Glas lohnt es sich, im Haus der Familie Pagel genauer hinzuschauen. Hinter verwitterten Eternit-Platten beweist Regisseur Stefan Krohmer, dass er filmgewordene Familienaufstellungen nach wie vor beherrscht. Mutter Pagel (Angelika Richter) trinkt, die Tochter im Teenageralter duckt sich weg, der Sohn (Anton Dreger) kann vor innerem Druck kaum laufen. Gemeinsam lebt das Trio in einem Provisorium aus flüchtig gesäuberten Oberflächen, unverputztem Backstein und halb heruntergelassenen Jalousien. Eine agile Kamera bewegt sich durch die Unordnung und erlaubt Krohmer auch an diesem Schauplatz, vieles in Bildern zu erzählen. In den Befragungen von Sohn und Tochter erfahren Berg und Tobler Widersprüchliches über ihren Hauptverdächtigen. Der kommt nach (versehentlichem?) Tablettenmissbrauch fast ums Leben. Die Konsequenz ist eine Bürodurchsuchung, bei der Schieblons Handy auftaucht und sich ein neuer Verdacht erhärtet.
„Tatort – Letzter Ausflug SchauinsLand“ ist Stefan Krohmers zweiter Tatort nach dem Lindholm-Fall „Tatort – Die Rache an der Welt“ (2022) und gleichzeitig die achte, von Autorin Stefanie Veith erdachte Mordermittlung. „Wir waren fasziniert von Menschen, die das Monster lieben und mit ihm leben“, kommentierte Veith 2017 ihr Drehbuch zu der Bremen-Episode „Tatort – Nachtsicht“. Damals ging es um einen Serientäter, der zwanghaft Menschen mit dem Auto überfuhr. Faszinierend gelingt Veith diesmal das Porträt von Menschen, die das Monster in sich fürchten. Milan Vulcic brennt sich besonders in einem Bild ein. Da bedient er stolz einen Sitzrasenmäher und mäht eine Fläche, auf der kaum noch etwas wächst. Hinter ihm ein unüberwindbar hoher Zaun aus gläsernen Elementen, hinter dem sich Wiese und Wald bis zum Horizont erstrecken. Bekim Latifi macht die psychische Verrückt-Heit seiner Figur in leichten körperlichen Verkrampfungen und Verschiebungen sichtbar. Er tritt zu nah an Franziska Tobler heran und lächelt, wenn seine Not am größten ist. Wir wissen nicht, ob er den Drachen jemals los wir. Wir wissen nur, dass das Tier am Ende woanders wohnt.