Auf der Rückreise vom Bosporus beobachtet Kressin (Sieghardt Rupp), wie sein Reiseleiter vom Schiff Handbälle ins Wasser wirft, die wenig später von einem Motorboot aufgenommen werden. Der Zollfahnder, noch ganz im Urlaubsmodus, geht der Sache nicht nach, sondern amüsiert sich lieber mit seinen attraktiven Reisebekanntschaften Tatjana (Eva Renzi) und Ulrike (Sabine Sinjen). Als nach seiner Ankunft in Hamburg allerdings die Leiche jenes Reiseleiters tot aus dem Alsterfleet geborgen wird, meldet er sich bei der Kripo der Hansestadt. Kommissar Trimmel (Walter Richter) will Kressin bei den Ermittlungen des Falls stärker einspannen, als ihm lieb ist. Der hat die Kennung des ominösen Bootes immerhin erkannt – und muss sich nun auf die Suche nach „Judith 3“ machen. Ihr Besitzer ist ein gewisser Sievers (Ivan Desny), der in seiner Villa an der Elbe residiert und sich am liebsten mit seiner Carrera-Rennbahn die Zeit vertreibt. Kressins Bauchgefühl sagt ihm: dieser Mann ist der gesuchte Ganove großen Stils, der Mann, der Marihuana schmuggeln und mit Opium versetzen lässt, um seine Kunden süchtig zu machen und selbst groß abzukassieren. Allein es fehlen die Beweise. Auf der Suche nach ihnen, wird Kressin erst einmal übel zugerichtet.
„Kressin und der tote Mann im Fleet“ ist der dritte „Tatort“ überhaupt und der erste von sechs „echten“ Fällen um den leichtlebigen Zollfahnder (in Samuel Fullers „Tote Taube in der Beethovenstraße“ wird er zum Gastdarsteller degradiert), der als eher arbeitsscheu charakterisiert wird. Zu seinem Beruf kam er mehr durch Zufall als durch erkennbare Neigung. Sein Traumberuf sei Rentner, gesteht er seinen Begleiterinnen. Mit Nichtstun vertreiben sich auch die beiden – verheirateten – Damen am liebsten ihre Zeit. Kein Wunder also, dass sich Kressin um diesen Fall, der ihn zum ersten und nicht zum letzten Mal mit dem Edelganoven Sievers zusammenbringt, nicht gerade reißt. Dieser hochintelligente, skrupellose Schmuggler ist in allen Branchen zuhause. Vom Lifestyle her ist der coole Zollfahnder das „gute“, gesetzestreuere Pendant zum eleganten Schnauzbart-Gangster. Der Österreicher Sieghardt Rupp gibt ihn lässig, grundentspannt und doch jederzeit bereit zum Sprung. Sein Kressin war bei den Zuschauern Anfang der 70er Jahre nicht besonders beliebt. So stellte man sich weder einen Zollfahnder noch einen TV-Helden vor. Bisher gab es ja vornehmlich Kommissare – und das waren zumeist ältere Herren in grauen Anzügen, die der Jugend – sprich: den jüngeren Assistenten – zeigten, wo es langgeht (wie Erik Ode als „Der Kommissar“). Es hatte etwas Programmatisches, dass Drehbuchautor Wolfgang Menge, der vier Kressin-Scripts schrieb, dem saloppen 40-Jährigen den altväterlichen Trimmel – und damit den 66-jährigen Walter Richter – in der Auftaktfolge kontrastierend zur Seite stellte.
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Bei „Kressin und der tote Mann im Fleet“ haben sich Menge und Regisseur Peter Beauvais („Deutschstunde“) viel vom Jungen Deutschen Film abgeguckt. Nur vom Sujet her ist dieser „Tatort“ deutlich ein Krimi: Es gibt einen Mord, es gibt Schlägereien, es gibt reichlich böse Jungs, es gibt etwas Action und es gibt sogar (schon) einen augenzwinkernden Vortrag über die Bedeutung der Gerichtsmedizin für das Lösen von Kriminalfällen. Stil, Rhythmus und Atmosphäre dagegen, die äußerst luftige Inszenierung, die sehr bewegliche Kamera von Jost Vacano („RoboCop“), der ein Jahrzehnt später mit „Das Boot“ in Richtung Hollywood schipperte, Klaus Doldingers abwechslungsreicher Easy-Listening-Score oder das Ausspielen von für den Krimi Nebensächlichem (die kleinen Flirts, Kressins Clinch mit seinen „Mädels“) erinnern ein bisschen an Godards „Außer Atem“ oder an die handlungsarmen deutschen Gammlerfilme wie „Zur Sache Schätzchen“ oder „Engelchen oder die Jungfrau von Bamberg“. Nur die Dialoge sind bei Menge (und Beauvais, der sie mit enormer Beiläufigkeit sprechen lässt) einfach um Klassen besser als bei den Kino-Jungspunden. Ein Beispiel: Nach dem Verlassen der Pathologie bemerkt Trimmels Assistent im Freien, „Hier merkt man erst, wie’s da drinnen stinkt.“ Darauf Kressin: „In Köln ist der Unterschied nicht ganz so groß.“
Ganz vorzüglich auch das ständige, vorwitzige Gebrabbel der beiden „heißen Feger“, mit denen Kressin offenbar Tisch, Bett und Bad teilt. Sicher auch nicht zufällig wurden sie mit zwei der schönsten Gesichter des Jungen Deutschen Films besetzt: Eva Renzi („Playgirl“) und Sabine Sinjen („Es“). So sei dieser Film, „diese Perle der ‚Tatort’- und TV-Geschichte“ (TV-Spielfilm), vor allem all jenen besonders ans Herz gelegt, die nicht in jedem Krimi krampfhaft einen Whodunit suchen und die etwas vom Zeitgeist der poppigen frühen 70er Jahre atmen wollen. Die größte Überraschung bei dem Wiedersehen 2015: der von der Kritik fälschlicherweise als James Bond verschriene, weil Frauen verschleißende, Kressin trifft hier auf zwei äußerst ausgeschlafene – sprich: freiheitsliebende und selbstbestimmte – Weibsbilder („Du hast wohl geglaubt, wir sind so zwei verhuschte Mäuschen, die gar nichts können“), die ihn verbal sehr viel häufiger hochnehmen als er sie. Playboy trifft Playgirls – was Kressin nicht gleich kapiert. Er ist alles andere als ein Superman; er ist überfordert mit Fall und Frauen. Dank Menge weht – jedenfalls aus heutiger Sicht – durch den Film also ein leises Lüftchen der in den Startlöchern stehenden Emanzipation der Frau. (Text-Stand: 25.7.2015)