Die Marke „Tatort“ erweist sich regelmäßig als erstaunlich flexibel und offen für ungewöhnliche Erzählansätze. Ein Gebot allerdings scheint in Stein gemeißelt: Am Anfang ist der Mord. Vermutlich würden viele Fans der Reihe beschwören, dass dies schon immer so war, schließlich ist der Todesfall zu Beginn eines der Differenzierungsmerkmale zwischen „Tatort“ und „Polizeiruf“. In dem 1977 erstmals ausgestrahlten Krimi „Feuerzauber“, dem dritten Fall für den Berliner Kommissar Schmidt (Martin Hirthe), vergeht bis zum Todesfall, der zudem eher ein Unglück ist, allerdings über die Hälfte des Films. Und noch etwas unterscheidet diesen (und auch andere) SFB-Klassiker von heutigen Produktionen: Das Privatleben der Ermittler spielt praktisch keine Rolle. Dabei hätte Schmidt sogar eines, es kommt zu mehrfachen Verabredungen, aber dem Kommissar und seiner Freundin (Ute Boy), einer SFB-Journalistin, funkt immer wieder der Beruf ins Rendezvous.
Ein Krimi ist „Feuerzauber“ trotzdem nicht, zumindest nicht im ersten Drittel, denn da ergötzen sich der außerordentlich erfahrene Fernsehfilmregisseur Fritz Umgelter („Die merkwürdige Lebensgeschichte des Friedrich Freiherrn von der Trenck“) und sein Kameramann Klaus Krahn an diversen Motorbootrennen, die sie auf den echten Rennstrecken gefilmt haben: Georg Kastrup (Heinz Weiss), ehemaliger Weltmeister, war zuletzt zunehmend glücklos. Das ist im Grunde der gesamte Inhalt des ersten Drittels: Der Film begleitet den Rennbootfahrer zu diversen Wettbewerben, wo Kastrup aus verschiedenen Gründen immer wieder auf der Strecke bleibt; mal trifft ihn eine Schraubzwinge am Kopf, mal hat er einen Motorschaden. Besonders spektakulär ist sein Ausscheiden bei seinem vorerst letzten Rennen, als das Boot senkrecht in die Höhe steigt. Weil sein Berufssport immer mehr zum teuren Hobby wird, sein Grundstück bereits belastet ist und auch sein Bruder (Günter Pfitzmann) nicht mehr für ihn bürgen will, beschließt Kastrup einen Versicherungsbetrug. Auf die Idee hat ihn ausgerechnet Schmidt gebracht: Die zwei waren Gäste einer Nachrichtensendung, der eine im Bereich Sport, der andere, weil in Berlin ein Feuerteufel umgeht. Kastrup entwirft einen fast perfekten Plan, wie er einen alten Schuppen, den er als Werkstatt für seine Rennboote nutzt, in Flammen aufgehen lassen kann, während ihm Dutzende Menschen auf einem Investorenempfang seines Bruders ein Alibi geben. Wie Hunderte anderer Verbrecher in der langen „Tatort“-Geschichte stolpert er jedoch über ein winziges Detail: Wenn man Slipper trägt, sollte man nicht so tun, als würde man sich einen Schuh zu binden.
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Der doppelte Anfang – hier der Motorbootsport, dort die Szene im TV-Studio – ist interessant, aber dann verplätschert sich der Film, weil aufs erste Rennen noch ein zweites und ein drittes folgen, weil sich die Bilder gleichen und weil die leutselige Musik (Rolf Unkel) keinerlei Spannung verbreitet. Dass Kastrup völlig pleite ist, erschließt sich auch recht bald, sodass die komplette erste Hälfte der Geschichte wie ein langer Anlauf zum Verbrechen wirkt (Buch: Karl Heinz Knuth, Joachim Nottke). Es gibt zwar noch einige Nebenschauplätze, aber die werden kaum vertieft. Die entsprechenden Figuren, darunter Kastrups Tochter (Ilse Biberti) sowie sein gefeuerter Mechaniker (Siegurd Fitzek), dienen nur einem Zweck: Sie sollen Augenzeugen des Infernos sein, dem nicht nur der Schuppen, sondern auch der trinkfreudige alte Verwalter der Anlage zum Opfer fällt. Selbst der Brand ist nicht rundum gelungen. Die Aufnahmen aus der Nähe zeigen zwar eine überzeugende Feuersbrunst, aber wenn der Film in die Totale wechselt, brennt nur noch ein offenkundig als solches erkennbares Modell. Dass „Feuerzauber“ trotzdem einen gewissen Reiz hat, liegt am beinahe dokumentarischen Charakter des letzten Drittels (das Verbrechen findet erst in der 55. Minute statt). Hier wird der Film zur Hommage an die Arbeit der Kriminaltechniker, die sich durch den Brandschutt wühlen und alsbald mehrere Hinweise finden, die auf eine Brandlegung schließen lassen.
Natürlich fällt der Verdacht auf Kastrup, aber der hat ja ein wasserdichtes Alibi; zu dumm, dass ihm der Lapsus mit den fehlenden Schnürsenkeln unterlaufen ist. Davon abgesehen zieht sich der Film doch sehr, und das liegt nicht allein an den veränderten Sehgewohnheiten; die Handlung ist einfach zu überschaubar. Im Unterschied zu diversen anderen der vom RBB restaurierten „Tatort-Classics“ birgt „Feuerzauber“ auch darstellerisch keine Überraschungen; Günter Pfitzmann, jüngeren Jahrgängen vermutlich vor allem als Arzt aus der ARD-Vorabendserie „Praxis Bülowbogen“ bekannt, muss sich nicht sonderlich anstrengen, um als arroganter Bruder sämtliche Antipathien auf sich zu vereinigen, und Harry Wüstenhagen war ohnehin auf zwielichtige Figuren abonniert; hier spielt er einen Bankdirektor, der dem einen Bruder jegliche weitere Unterstützung verweigert, während er mit dem anderen Pläne schmiedet, wie sich das Grundstück der Kastrups am besten zu Geld machen lässt. Heinz Weiss, bis heute der „Traumschiff“-Kapitän mit den meisten Dienstjahren (1983 bis 1999), war zwar 1977 immer noch recht populär, aber es hat seinen Grund, warum der stets etwas verbissen wirkende Schauspieler nie ein echter Star geworden ist. Mit Umgelter hat Weiss des Öfteren gedreht. Die Hauptrolle als Soldat Clemens Forell in dem 1959 ausgestrahlten TV-Mehrteiler „So weit die Füße tragen“ war der Durchbruch des Schauspielers, in den Sechzigern spielte er George Naders Filmpartner in den Jerry-Cotton-Krimis. Martin Hirthe ist allerdings ungleich präsenter, und das nicht nur aufgrund seiner markanten Stimme. „Feuerzauber“ war sein letzter Fall; er ist ebenso wie der ein Jahr jüngere Umgelter 1981 im Alter von sechzig Jahren gestorben. (Text-Stand: 19.6.2017)