Polizeieinsatz, Blitzgewitter, ein Mann mit einer Pistole im Genick. Hektik, Chaos, Kameras. Eine Frau, auf dem Trottoir sitzend, das Treiben geistesabwesend auf einem Bildschirm verfolgend. Ist der Mann mit der Waffe nicht Cenk Batu, der vorbildliche Undercover-Ermittler des Hamburger LKA?!… Ein Strand, ein schöner Mann und eine schöne Frau, verliebt auf Lanzarote. Auch dieser Mann ist Cenk Batu. Gestehen ihm seine Vorgesetzten endlich ein Privatleben zu? Ein neuer Auftrag naht… Die lethargisch wirkende Frau, jetzt sitzt sie nicht in der Stadt, jetzt steht sie im Wald, sie hustet, spuckt Blut, ringt um innere Kontrolle. Von einem Vertrag ist die Rede. Und dann sind wenig später elf Wochen vorbei – und der Verdeckte Ermittler in seinem neuen Einsatz in einer Bank ist enttarnt, ein Trader gewarnt.
Foto: NDR / Sandra Hoever
„Die Ballade von Cenk und Valerie“ kommt schnell in Gang, ist ein spektakulärer „Tatort“, der gleich zu Beginn wild durch die Zeiten springt. Matthias Glasner („Der freie Wille“) aber peitscht das Geschehen um den VE Batu, der offensichtlich gegen seine Kollegen zu Felde zieht, nicht blindlings nach vorne, sondern hat diese Krimi-Tragödie wie einen Song komponiert, arbeitet mit optischen Refrains. Immer wieder werden die Bilder vom Ende, das auch Batus Ende ist, in den Handlungsverlauf eingeschnitten. Diese Momente der Vorsehung nehmen die Wie-geht-es-aus-Spannung aus der Geschichte und überführen sie in eine ästhetische Spannung, einen atemberaubend pulsierenden Rhythmus. Es regnet viel in Hamburg, es ist Nacht beim Showdown. Das ist Filmhandwerk vom Feinsten. Die Kamera von Jakub Bejnarowicz ist hoch beweglich, zupackend wie der ganze Film, immer im Fluss. Musik und Sounddesign ziehen einen in die Bilder hinein. Das ist Genrekunst, die so radikal sein kann, weil dieser Film der sechste und letzte „Tatort“ von Mehmet Kurtulus ist. Wie anders kann diese Reihe enden, die mit ihren komplexen Erzählweisen und filmsprachlichen Grenzgängen einige ältere Zuschauer verschreckt haben dürfte, als mit einem Paukenschlag?!
Trader Dobler über die Funktion & die Macht der Banken:
„Sie sind hier in einem Wettbüro – und wir Trader sind hier, um mit Ihrem lächerlichen Ersparten, Ihren Fonds und Anteilen von Anteilen, Ihren Zertifikaten, Roulette zu spielen. Jeder von euch Kleingeistern sollte sein hart erarbeitetes Geld lieber unters Kopfkissen legen. Aber nein, Ihr Schmarotzer seid genauso gierig wie wir. Also lasst Ihr uns spielen und zocken. Und wie jeder Zocker weiß: Am Ende gewinnt immer…“
Foto: NDR / Sandra Hoever
Cenk Batu muss bei seinem großen Abgang gegen eine legendäre Auftragskillerin antreten. Sie hat den Auftrag, den Bundeskanzler zu töten. Einige waghalsige Trader wollen mit dessen Tod ein Milliardengeschäft an der Börse machen. Doch jene Valerie ist schwerkrank, ihr Gesundheitszustand lässt diesen Auftrag nicht mehr zu. Sie bringt deshalb Batus Freundin Gloria in ihre Gewalt und befiehlt dem VE, den Mord zu übernehmen. Weigert er sich, wird Gloria sterben. Der Bundeskanzler oder die eigene Freundin? Aus diesem Dilemma gibt es kein Entkommen. Das autistische Superhirn Valerie sitzt am längeren Hebel: sie ist nicht nur perfekt vernetzt, sie handelt auch völlig emotionslos. Bleibt der Kanzler – doch der will sich nicht auf eine Inszenierung der Todesschüsse vor laufender Fernsehkamera einlassen. Da hat Batu bald keine andere Wahl, als die Seiten zu wechseln und sich den Weg zum Kanzler freizuschießen.
Matthias Glasner über die Darstellung der Finanzmarktkrise:
„Diese hochkomplexen Vorgänge in der Bankenwelt sind im Grunde schwer vermittelbar und filmdramaturgisch erst recht nicht eins zu eins zu erzählen. Daraus entstand mein Wunsch nach einer fast surrealen Übertreibung. Wahnsinn und Groteske liegen nah beieinander.“
Foto: NDR / Sandra Hoever
„Die Ballade von Cenk und Valerie“ ist kein bloßes Spiel mit den Sehgewohnheiten. Dieser „Tatort“ will nicht provozieren des Provozierens wegen – wie zuletzt Tukurs „Das Dorf“. Der Film von Matthias Glasner besitzt eine innere Logik, bleibt Krimi – ein Krimi, der mit Thriller und Romanze liebäugelt, der den Kommissar seiner Gebieterin immer ähnlicher werden und aus Liebe zur sich selbst verlierenden Menschmaschine mutieren lässt, ein Krimi, der psychologisch plausibel ist, ohne dass Glasner groß auf Psychologie setzen würde. Corinna Harfouch spielt ihre Valerie als einen Menschen, „der bei allem Schrecklichen, was er anstellt, hoffnungslos in sich eingesperrt und gefangen ist“, empathielos und roboterhaft, eine dem Tod Geweihte, eine Sohnmörderin. Eine grandiose Zumutung zur Prime-Time. Da wird der anfangs artifiziell wirkende Krimi-Thriller mehr und mehr zur schmutzigen Tragödie um Krankheit, Liebe, Wahnsinn, die irgendwo auf einem Hamburger Trottoir und auf dem kalten Marmor der Handelskammer endet. Und das Groteske grinst um die Ecke – in Form eines Traders, dem „Batman“-Fan Glasner bewusst „Joker“-eske Züge gegeben hat. Das ist „bigger than life“. Das ist intelligentes, wildes Fernsehen! Reichlich Stoff für heiße Diskussionen!