Tatort – Borowski und der freie Fall

Milberg, Kekilli, Heinze, Eoin Moore, Barschel und die Klischees eines Polit-Krimis

Foto: NDR / Marion von der Mehden
Foto Rainer Tittelbach

Der „Tatort – Borowski und der freie Fall“ ist – was das Genre angeht – eine Ausnahme im Fernsehkrimi, der Film allerdings alles andere als ein Ausnahme-„Tatort“. Der Versuch, relativ gesicherte Tatsachen aus der Barschel-Affäre auf erfundene Personen zu projizieren, ist gut gelungen, der Ermittlerduo dagegen agiert zwischen wadenbeißerisch stereotyp (Borowski) bis peinlich (Brandt). Eoin Moore arbeitet mit Genre-Klischees & dramaturgischen Billig-Tricks. Dennoch: Selbst ein schwacher „Borowski“ ist guter „Tatort“-Durchschnitt.

Dirk Sauerland, Autor, Manager, Segler und Alkoholiker, wird auf seiner Yacht tot aufgefunden. Offenbar war er an einer ganz „heißen“ Enthüllungsgeschichte dran. In den 80er Jahren war der investigative Journalist eine Institution. Auch im Fall Barschel recherchierte Sauerland vor 25 Jahren, ja er war sogar am Todestag des ehemaligen schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten in Genf. War er vielleicht sogar auch im Hotel, in dessen Badewanne der Ehrenwortgeber tot aufgefunden wurde? Sarah Brandt würde am liebsten den Fall Barschel gleich mit aufklären. Borowski glaubt nicht an die Verschwörungstheorien, er hält sich lieber an die Fakten und die besagen: dass der ermordete Sauerland seit vier Jahren ein Verhältnis mit einem gerade zum Minister vereidigten Landespolitiker hatte.

Der „Tatort – Borowski und der freie Fall“ bildet die Ausnahme von einer Regel: Fernseh-Krimis, die reale Ereignisse und Personen des öffentlichen Lebens oder der Zeitgeschichte in ihre Fälle integrieren, sind selten, werden von deutschen Redaktionen bewusst gemieden. Das liegt unter anderem am Persönlichkeitsschutz, den jeder hierzulande genießt. „Es dürfen keine Behauptungen gemacht werden, die nicht belegt werden können, etwa indem man eine Person ohne Beweise mit einem Verbrechen in Verbindung bringt“, betont die NDR-Redakteurin Sabine Holtgreve. Das stärkste Argument gegen reale Fälle in fiktivem Gewand sei, so der Filmemacher Eoin Moore, „dass man einen  fiktionalen Krimi nicht als Ausrede nehmen darf, um Behauptungen über reale Dinge oder Personen aufzustellen, die nicht erwiesen sind.“ Für den Zuschauer ist der Übergang vom Fakt zur Fiktion nie ganz eindeutig.

Tatort – Borowski und der freie Fall

Tatort – Borowski und der freie FallFoto: NDR / Marion von der Mehden
Der Druck der Öffentlichkeit. Die Polittalk-Moderatorin (überzeugend: Marie-Lou Sellem), die Ex-Frau des Ermordeten, steht im Rampenlicht und kann sich nicht einmal ungesehen besaufen. OBEN: Aber was soll erst ein Politiker sagen?! Thomas Heinze als Politiker. Der gibt keine Ehrenworte, sondern sehr schnell zu, dass er schwul ist!

Dieser „Tatort“ aus Kiel bildet eine Ausnahme, ohne allerdings ein Ausnahme-Film zu sein. Der Versuch, relativ gesicherte Tatsachen aus der Barschel-Affäre auf andere erfundene Personen zu projizieren, ist gut gelungen, nicht zuletzt, weil Thomas Heinze seinen in die Enge getriebenen Politiker überzeugend verkörpert. Schön zu sehen, was übrig bleibt, wenn sich die Macht plötzlich von einem Machtmenschen verabschiedet. Auch die Ausflüge in den Politjournalismus und die TV-Branche hat man schon stereotyper gesehen. Dass dagegen Borowski überdeutlich den Wadenbeißer geben muss, der dem sich eher zurückhaltend gebenden Politiker früh die Zähne zeigt, ist dem Genre Politkrimi geschuldet, dem Wesen der Kunstfigur Borowski entspricht das nicht. An solchen Situationen kann der Zuschauer vielleicht seine Vorurteile und seinen Frust über „die da oben“ abladen, den Film macht es nicht besser. Mehr noch nervt in „Borowski und der freie Fall“ die Verbissenheit von Sarah Brandt, die einfach nur ausgedacht wirkt und für die Sibel Kekilli auch keine überzeugende Darstellungsweise findet. Das Problem hat man häufig in Filmen, wenn die Psycho-Logik der Figuren nicht mit der ausgestellten (sozialen) Haltung mithalten kann. Die überzogene Bi-Polarität zwischen Borowski und Brandt, was ihre Einstellung im Fall Barschel angeht, ist auch ein dramaturgischer Billig-Trick den man von diesem Paar so nicht kennt.

Einem Politmythos hinterher zu recherchieren ist per se noch nicht besonders aufregend. Was das ungleiche Ermittlerduo in Genf herausbekommt, ist zwar für den Gang der Handlung nicht unwichtig, es legt sich dort aber nicht mehr als ein bedeutungsvolles Raunen über die Bilder. Dass Musik und Sounddesign mächtig bemüht werden müssen, spricht auch nicht für starke Krimi-Momente. Richtig spannend wird es erst im letzten Drittel, wenn man sich des zwischenzeitlich vergessenen lebenden Ministers wieder erinnert. Sehr überzeugend auch Marie-Lou Sellem als (doch nicht ganz so) coole Polit-Talkshow-Moderatorin, die den Herrn Minister in ihrer Sendung auseinandernimmt. Die Krimi-Auflösung steht und fällt mit einer wichtigen Information, die ziemlich zu Beginn gegeben wird. Wäre Borowski dieser Information nachgegangen, hätte es wohl die Reise nach Genf nie gegeben. Dann wäre dieser „Tatort“ nach 30 Minuten vielleicht zu Ende gewesen. Diesen, seinen Ermittlungsfehler hätte Borowski am Ende wenigstens erkennen müssen… Fazit: Selbst der schwächste Borowski-„Tatort“ seit zwei Jahren ist noch guter „Tatort“-Durchschnitt. (Text-Stand: 28.9.2012)

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Reihe

NDR

Mit Axel Milberg, Sibel Kekilli, Thomas Heinze, Marie-Lou Sellem, Thomas Kügel, Jan Peter Heyne und als Gast Tom Buhrow

Kamera: Jana Marsik Montage: Antje Zynga

Szenenbild: Annette Lofy

Produktionsfirma: Nordfilm Kiel

Drehbuch: Eoin Moore – nach einer Idee von Fred Breinersdorfer

Regie: Eoin Moore

Quote: 8,23 Mio. Zuschauer (22,1% MA)

EA: 14.10.2012 20:15 Uhr | ARD

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