Einmal trocken geschluckt. Die Reaktion von Tessa Ott (Carol Schuler) spricht Bände. Am Tatort eines Dreifachmordes kauert ein Mädchen unter dem Rock ihrer erschossenen Mutter. Otts Kollegin Isabelle Granjean (Anna Pieri-Zuercher) nimmt die sechsjährige Ella (Maura Landert) in ihre Arme. Von da an lässt Ella sie nicht mehr los. Grandjean weiß instinktiv, dass sie die Umklammerung aushalten und in den nächsten Tagen immer für Ella da sein wird. Auch wenn es ihr scheele Blicke und den Vorwurf der Unprofessionalität einbringt: Das Mädchen ist die einzige Zeugin in einem Fall, der das Team vor Rätsel stellt. Den Balanceakt zwischen Ermittlerin und instinktgeleiteter Ersatzmutter meistert Anna Pieri-Zuercher auf sehr einnehmende, selbstverständliche Art. Das Problem an der Konstellation ist eher die Vorhersehbarkeit von Ellas Aussagen. Die kommen wohldosiert und gerade so weit verschlüsselt, dass Ermittlerinnen wie Publikum sie leicht enträtseln können. Auch, dass das Mädchen unweit des Büros der Kripo betreut wird und damit zu allen unmöglichen Zeiten auf dem Flur des Kommissariats auftaucht, entspricht eher einer, dem Aufklärungsverlauf nützlichen Dramaturgie als realen Verhältnissen.
Während Isabelle Grandjean hauptsächlich im Umfeld von Ella agiert, geht Tessa Ott nach draußen. Die Bilder sind Zuschauern des „Tatort“ Zürich vertraut: Ott trägt Boots und Parka, schlendert nicht, führt ihre Verhöre offensiv. Grandjean ist die Frau fürs Emotionale, trägt hell, weich, fließend. Abseits dieser offensichtlichen Aufteilung gelingt es im fünften Fall aber auch, das eine in der anderen durchscheinen zu lassen. Dazu zählt die erste Begegnung zwischen Ott und Waldarbeiter Luka Gasser (Nicola Perot). Der junge Mann scheint Ott sympathisch zu sein, ihre Neugier auf ihn verrät etwas von ihrer weichen Seite. Zur Stärke dieser, geschickt ambivalent gehaltenen Begegnung zählt auch, dass sich Gasser gleich in der Anschlussszene als verdächtig erweist. Auf jeden Fall hängt er mit drin.
Der Fall ist kompliziert. Ellas ermordete Eltern lagen im Streit mit dem Investor ihres IT-Startups. Der wollte, dass Marco Tomic seine Software an eine US-Firma verkauft. „Security Rumpf“ entwickelt ein Drohnensystem, dass auf Gesichtserkennung spezialisiert ist. Genau diesen militärischen Nutzen wollte Tomic vermeiden. Hintergrund sind seine Erfahrungen im Jugoslawien-Krieg. Auf den Spuren seines Kampfeinsatzes stoßen die Ermittlerinnen auf zwei wichtige Männer aus Tomics Umfeld. Einer ist das dritte Mordopfer, mit dem sich Tomic am Tatort getroffen hat, der andere ein frisch aus der Haft entlassener Kriegsverbrecher. Ex-Söldner Lars Diemer (Marcus Signer) oblag das Kommando, unter dem alle drei 1993 an Verbrechen an der bosnischen und serbischen Bevölkerung beteiligt waren.
Wie die Vergangenheit in die Gegenwart hineinreicht und mögliche Mordmotive offenbart, erzählt Regisseur Tobias Ineichen („Polizeiruf 110 – Paranoia“) aus mehreren Perspektiven. Der Zuschauer erfährt so auch von der Verbindung des flüchtigen Lars Diemer zu Luca Gasser und dessen Großmutter Ada (Patricia Litten). Zu den Fährten, die sich aus der Geschichte der Verdächtigen ergeben, gesellt sich eine diffuse Bedrohung anderer Art. Immer häufiger durchbrechen Drohnenaufnahmen die Szenerien am Boden. Sie stammen von einer Kamera, die sich mal schwebend, mal durch die Luft gleitend an der Fassade des Kommissariats entlangtastet, über dem Auto der Kommissarinnen schwebt und sich ihnen immer schneller und mit eingeblendeten Zielraster nähert. Das Erzähltempo steigert Ineichen zusätzlich durch Parallelmontagen. Während Grandjean die Kollegen und Kolleginnen im Kommissariat über die früheren Kriegsverbrechen von Diemers Truppe informiert, entdeckt der im Keller der Gassers Fotos, die die Gräueltaten von damals dokumentieren. Während wenig später Ada versucht, diesem Kellerraum zu entkommen, bohrt ein Handwerker ein Bankschließfach auf, von dessen Inhalt sich die Kripo den endgültigen Schlüssel zur Lösung des Falls verspricht.
Die Drohnenaufnahmen bereichern den Erzählfluss um eine spannende Unbekannte. Solange wir nicht wissen, wer den Joystick bedient. Zum Countdown verpufft der Effekt. Weil man der erstmals voll im Bild zu sehenden Vorrichtung nicht zutrauen mag, mehrere Schüsse in kurzer Zeit zielgenau abzugeben. Auch weil der Score von Fabian Römer, mit dem Ineichen seit dem Münchner Tatort „Schneetreiben“ (für dessen Filmmusik Römer 2006 den Deutschen Fernsehpreis erhielt) zusammenarbeitet, den Einstellungen keinen zusätzlichen Drive verleiht. Das ist schade, aber kein Grund diesen „Tatort“ mit vielen frischen Gesichtern und einer real drohenden Gefahr vor Augen nicht zu mögen. Otts letzte Worte sind ein Fluch, der schnell Wirklichkeit werden kann. „Ich hatte vor einer Drohne mehr Angst als vor einem Menschen.“