Tannbach II – Schicksal eines Dorfes

Confurius, Lauterbach, Loos, Gedeck, Zertz, Dierbach. Die Sechziger in Little Berlin

Foto: ZDF / Julie Vrabelova
Foto Rainer Tittelbach

Im geteilten Tannbach spiegelt sich die deutsch-deutsche Großwetterlage im Kleinen. Der Kalte Krieg tobt, Stasi & BND sind hyperaktiv, die geheime Aufrüstung hinterlässt überall ihre Spuren. Ideologie setzt sich in den Köpfen fest – auch im Alltag, in den Beziehungen, in den Familien. Kommunisten-Paranoia hüben, Revanchisten-Hatz drüben. Keine guten Zeiten für die Liebe. Nach kleinen Anlaufschwierigkeiten kommt „Tannbach II – Schicksal eines Dorfes“ (ZDF / Gabriela Sperl Produktion für Wiedemann & Berg Television) gut in Gang, entwickelt einen weiten Erzählhorizont mit viel Personal, dem man gern folgt. Denn alle Figuren, so ambivalent sie auch sind, wecken historisches Interesse, die neuen Rollen sorgen für frischen Wind und die Performance der Schauspieler ist kraftvoll, den Sixties gemäß, und das Ensemble agiert in einer Tonlage. Es steckt neben Betonkopfpolitik auch etwas Zeitgeist der Sixties in diesem dramaturgisch dichten Dreiteiler, der mit seiner geheimen Kriegsführung etwas schwerer zugänglich sein mag als der Vorgänger; seine Recherche-Leistung, geschichtliche Relevanz und filmische Qualitäten aber mindestens ebenso groß sind.

Die 1960er Jahre: Tannbach als Spiegel der deutsch-deutschen Verhältnisse
Im geteilten Tannbach, einem fiktiven Ort zwischen Bayern und Thüringen, spiegelt sich 1960/61 die deutsch-deutsche Großwetterlage im Kleinen. Im Westen ist mit den Wirtschaftswunderjahren der Wohlstand eingezogen, im Osten ringt man mit sozialistischer Mangelwirtschaft und schlechter Versorgungslage. Immer mehr Facharbeiter verlassen den Arbeiter- und Bauernstaat Richtung Bundesrepublik, in Tannbach sind es vor allem die Landwirte, die gegen Enteignung und Kollektivierungszwang aufbegehren und ihrer Heimat den Rücken kehren. Derweil rüsten beide Deutschlands auf, der Kalte Krieg tobt, Stasi & BND, beide auf den Feind eingeschworen, sind ganz in ihrem Element, NATO & Warschauer Pakt in hoher Alarmbereitschaft. Ideologie setzt sich immer mehr in den Köpfen fest – auch im Alltag, in den Beziehungen der Menschen, in den Familien. Die Frau nimmt im Westen wieder ihren Platz am Herd ein, während Berufstätigkeit im Osten eine Selbstverständlichkeit ist. Ein autoritärer Geist weht bis in die 1960er Jahre vor allem im Adenauer-Deutschland. Hüben wie drüben schickt sich das Jahr 1968 an, zum Wendepunkt zu werden: Der Prager Frühling könnte für Tauwetter auch zwischen der bald als Staat anerkannten DDR und der Bundesrepublik sorgen. Doch dieser Traum ist am 21. August 1968 ausgeträumt.

Tannbach II – Schicksal eines DorfesFoto: ZDF / Julie Vrabelova
Graf von Striesow (Heiner Lauterbach), der im Westen lebt, ungeplant auf Freiersfüßen. Filmisch eine der wenigen „coolen“ Szenen im ersten Teil. Eine Berliner Bar, ein paar Whiskeys, dazu Dauerregen und eine Frau namens Rosemarie, gespielt von Anna Loos. Sie bringt eine erfrischende Portion Selbstbestimmung mit.

Teil 1: Streitigkeiten, Feindschaften & ein Hauch von Liebe – hüben wie drüben
Die geheime Aufrüstung hinterlässt auch in Tannbach ihre Spuren: Ein verstecktes Waffenlager einer Geheimarmee der NATO kostet einem Kind das Leben. Die Lage ist entsprechend angespannt. Der Familientyrann und Alt-Nazi Franz Schober (Alexander Held) verdächtigt seinen Erzfeind Georg von Striesow (Heiner Lauterbach) zu Recht, seine Hände bei der Sache im Spiel zu haben. Der überzeugte Anti-Kommunist zieht sich allerdings aus dem operativen Geschäft zurück, als ausgerechnet Horst Vöckler (Robert Stadlober), der Mörder seiner Frau und inzwischen BND-Agent, sein neuer Verbindungsmann wird. Dieser ist noch immer ein Draufgänger; bedroht Schober-Sohn Gustl (Maximilian Brückner) mit dem Leben, weil der die Sache mit den NATO-Waffen öffentlich machen will. Im Osten mühen sich dagegen Anna (Henriette Confurius) und Friedrich Erler (Jonas Nay), die letzten freien Altbauern zum Beitritt in die LPG zu überreden. Friedrich leitet zwar die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft, hegt aber im Gegensatz zu seiner Frau und „Apparatschik“ Adolph Herrmann (Peter Schneider) Zweifel an der Richtigkeit der Zwangskollektivierung. Der Politik derweil überdrüssig verliebt sich im Westen Annas Vater, Graf von Striesow, in die emanzipierte Ostpflanze Rosemarie Czerni (Anna Loos), die bald  von Berlin nach Tannbach übersiedelt und dank ihres Mannes Karriere macht bei einem Mode-Versandhaus.

Tannbach II – Schicksal eines DorfesFoto: ZDF / Julie Vrabelova
Die Erlers haben unterschiedliche Ansichten, was das Neue Deutschland angeht. Friedrich (Jonas Nay) missfällt die Art und Weise, wie die freien Bauern in die LPGs gezwungen werden. Für Anna (Henriette Confurius) aber ist es eine Notwendigkeit.

Ein bisschen Geduld – dann breitet sich der Erzählhorizont wie von selbst aus
„Tannbach II“ hat wie „Tannbach I“ zu kämpfen mit den üblichen Anlaufschwierigkeiten solcher historischer Mehrteiler, die einen breiten Panoramablick entwickeln und dementsprechend mit einem weit verzweigten Personalstammbaum aufwarten. Und so zieht weder die dramatische Exposition noch die konfliktgeladene geschichtliche Ausgangssituation des Jahres 1960 den Zuschauer so richtig in den Film hinein. Viele Ereignisse und Figurenkonstellationen lassen insbesondere den Zuschauer, der den Vorgänger nicht gesehen hat oder sich an vieles nicht mehr erinnern kann, anfangs nur schwer einordnen. Vielleicht hätten ja ein paar assoziative Rückblenden aus „Tannbach I“ (eine gibt es: die Erschießung von Friedrichs Bruder) geholfen; nicht zum Verstehen, aber wenigstens – in Form einer bildlichen Versinnlichung – zum „Erfühlen“ einiger Beziehungen. Ein bisschen Geduld braucht man also für „Tannbach“, sicher auch, weil der Kalte Krieg und weil grauer Dorfalltag zwischen LPG-Tristesse und Familien-Tyrannei natürlich nicht so sexy sind wie beispielsweise eine Ku’damm-Tanzschule Mitte der 1950er Jahre. Erst wenn genügend Handlungsstränge angelegt und vielfältige Informationen im Spiel sind, kann ein solches mächtiges TV-Opus zu atmen beginnen. Und erst wenn die privaten Konflikte ausreichend etabliert sind, fühlt man sich als Zuschauer zu Hause. Nach einer Stunde ist das spätestens der Fall. Dann erzählt sich Alexander Dierbachs Film nach dem Drehbuch von Silke Zertz („Wir sind das Volk – Liebe kennt keine Grenzen“) plötzlich wie von selbst. Denn alle Figuren wecken Interesse, die Besetzung auch der neuen Rollen überzeugt und die Performance der Schauspieler ist kraftvoll, der Zeit angepasst, und das Ensemble agiert in einer Tonlage.

Tannbach II – Schicksal eines DorfesFoto: ZDF / Julie Vrabelova
Eine ambivalente (multifunktionale) Figur: Horst Vöckler (Robert Stadlober) ist ein Mann, der die Gefahr liebt. Ein schwuler BND-Agent – warum nicht?! So schlägt Autorin Zertz gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe. Sein Lover Walter Imhoff (Jonathan Berlin), der sich in eine lieblose Ehe geflüchtet hat, ist ein Opfer des §175.

Das Prinzip Hoffnung: Kommt Zeit, kommt Einsicht – nur manchmal spät
Die neuen Charaktere bringen frischen Wind in die Geschichte. Anna Loos’ Rosemarie sorgt für ein bisschen Farbe und Frauenpower anno 1960 und bildet mit Heiner Lauterbachs Grafen das westliche Pendant zu Confurius’ LPG-Beauty Anna und ihren Männern. Eine der spannendsten Figuren hat Zertz mit dem Ost-Pfarrer Wolfgang Herder geschaffen, konzentriert von Clemens Schick gespielt. Der Gottesmann trägt eine schwere Schuld aus Nazi-Deutschland mit sich herum, hat aber seine Lehren daraus gezogen und predigt, zunächst im Westen, jetzt im Osten, die Idee des friedlichen Zusammenlebens. Er ist ein kritischer Geist, das Mensch gewordene Prinzip Hoffnung, das eine solche Geschichte aus politisch und zwischenmenschlich grauen(vollen) Zeiten einfach braucht. Weitere Lichtgestalten lässt der Kalte Krieg nicht zu. Am ehesten wird der Zuschauer noch mit Henriette Confurius’ Anna Erler mitgehen können. Zwar scheint sie als überzeugte Sozialistin lange Zeit die unmenschliche Politik des Regimes nicht wahrhaben zu wollen, aber für diese Frau gilt: Sie will das Gute, ihre Nähe zu Pfarrer Herder und die zunehmende Distanz zu ihrem Genossen Herrmann macht sie schließlich im Verlauf der fast fünf Filmstunden mehr und mehr zur tragischen Sympathiefigur. Maßgeblich zur flüssigen, nie überdramatischen und schon gar nicht überdramatisierten Erzählweise trägt die Vielschichtigkeit der Charaktere bei. Autorin Zertz hat offenbar nicht nur großen Wert darauf gelegt, die schwierigen politischen Zeiten sich in den Figuren spiegeln zu lassen, sondern wollte auch keine ihrer Figuren von vornherein abqualifizieren. So verliert der Pfarrer seinen Heiligenschein oder darf „Apparatschik“ Hermann immer wieder Anna aus der Patsche helfen. Selbst Stadlobers Vöckler scheint gelegentlich Gefühle zu entwickeln. Auch seine Mutter, als schwer kranke, oft gekrümmt laufende und doch aufrechte Frau von Martina Gedeck eindrucksvoll gespielt, zu Unrecht im Stasi-Knast, ist keineswegs nur Opfer, sie hat schließlich in „Tannbach I“ ihren Sohn an die Amerikaner verraten. Dass der Stasi-Offizier Robert Leonhardt (präzise wie immer: Rainer Bock) sich in die ebenso mutige wie bescheidene Frau verliebt, färbt schließlich auch auf ihn ab – und in seiner Verehrung für diese Frau wird er auf einmal ganz nachdenklich („Alle sehnen sich nach Freiheit … und es kommt immer nur Feindschaft dabei heraus“), wie so mancher im zweiten Teil „Frieden aus Stein“. Als Einziger nicht ambivalent angelegt ist Alexander Helds Franz Schober. Der ist und bleibt ein Ekel, ein Tyrann, ein böser Machtmensch. Mit dem Ergebnis: Zertz lässt ihn nicht ungestraft sein Gift verspritzen.

Tannbach II – Schicksal eines DorfesFoto: ZDF / Julie Vrabelova
Auch ein Stasi-Major kann ein Herz haben. Die zurückgezogen lebende Hilde Vöckler (Martina Gedeck) hat Robert Leonhardt (Rainer Bock) in ihr Leben gelassen.

Randnotizen der Dekade: zwischen harten Politfakten und emotionalem Zeitgeist
Die Charaktere sind – wie immer in historischen Mehrteilern – beispielhaft für ihre Dekade, der Eindruck, bloße Stellvertreter zu sein für Themen und Trends der Zeit, kommt aber erfreulicherweise nicht auf; dafür werden die Figuren zu multifunktional eingesetzt, ist ihre Psychologie zu mehrdimensional. Es gibt einige Randnotizen der Geschichte, vornehmlich die Alltagskultur betreffend, die Zertz Nebenfiguren zuschreibt, aber auch die haben nichts von Funktionsträgern, sondern sie erschließen lebendig und sinnlich den Horizont der Zeit; darüber hinaus machen sie die Narration dichter. So wird beispielsweise kurz der Aufstand der Jugend in Gestalt der aufmüpfigen Christel Schober (Mercedes Müller) gezeigt, der allerdings vom männlichen Familienclan gewaltsam niedergeschlagen wird. Das Ergebnis: Die Rock-&-Roll-Deliquentin wird – über den Kopf der machtlosen Mutter hinweg – ins Erziehungsheim eingewiesen. Schläge im Namen des Herrn, auch davon ist kurz die Rede; angenehm beiläufig wird dieses dunkle und erst spät aufgearbeitete bundesdeutsche Nachkriegskapitel in die Handlung eingebaut. Gleiches gilt für das Verbot von Homosexualität und die Folgen: Schuld, Scham, Verfolgung, Verhaftung und heterosexuelle Ehen, die für beide Partner zur Hölle werden. Auch reaktionäre Gegenkräfte kommen zum Zug: so die politische Bedeutung der Vertriebenenverbände, die auf ein Deutschland pochten in den Grenzen von 1937. Auch der Prager Frühling und die Angst der NVA-Soldaten gegen ihre „sozialistischen Brüder“ vorzugehen ist sicherlich mehr als eine Fußnote der DDR-Geschichte. Und für jüngere Zuschauer dürfte es wie ein Witz klingen, dass westdeutsche Firmen im Osten preiswert produzieren ließen und so noch größere Gewinne machten, mit Waren, die sich die, die sie hergestellt haben, nicht leisten konnten. Dafür kam in jenen Jahren das Pakete verschicken in die DDR auf: Bescherung im Sommer, Bohnenkaffee und Schokolade waren die Renner. Im Westen mangelte es dagegen an Gleichberechtigung: Wer hätte gedacht, dass Ehefrauen noch 1968, ohne das Einverständnis ihres Mannes kein eigenes Konto führen konnten.

Fazit: Mehr noch als die ersten Teile ist „Tannbach II – Schicksal eines Dorfes“ inhaltlich eine echte Fleißarbeit. Dramaturgisch wirkt das Ganze sogar noch geschlossener als der vielbeachtete Auftakt. Dass die Zeiten schlecht stehen für die Liebe und sich die Dramen des Kalten Krieges mehr im Geheimen abspielen und die Filme etwas weniger aktionsgeladen sind (Tote ja, aber keine Todesschüsse auf Hauptfiguren), dazu der kühle Trauerflor-Look der ersten 90 Minuten macht die neuen Teile ein bisschen schwerer zugänglich. Die Recherche-Leistung, die geschichtliche Relevanz & filmische Qualität sind aber mindestens ebenso groß.

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Mit Henriette Confurius, Heiner Lauterbach, Anna Loos, Martina Gedeck, Robert Stadlober, Jonas Nay, Alexander Held, Johanna Bittenbinder, Clemens Schick, Rainer Bock, Florian Brückner, Eli Wasserscheid, Mercedes Müller, Maximilian Brückner, Jonathan Berlin

Kamera: Ian Blumers

Szenenbild: Knut Loewe

Kostümbild: Esther Amuser

Schnitt: Simon Blasi

Musik: Fabian Römer

Redaktion: Caroline von Senden, Solveig Cornelisen

Produktionsfirma: Wiedemann & Berg Television, Wilma Film

Produktion: Gabriela Sperl

Drehbuch: Silke Zertz – nach einer Drehbuchvorlage der Episode „Schatten des Krieges“ von Josephin & Robert von Thayenthal

Regie: Alexander Dierbach

Quote: 1. Teil: 5,29 Mio. Zuschauer (16,3% MA); 2. Teil: 5,73 Mio. (18% MA)

EA: 08.01.2018 20:15 Uhr | ZDF

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