Sturköpfe

Alwara Höfels, Peter Haber, Dominique Lorenz, Pia Strietmann. Schärfung der Sinne

Foto: Degeto / Hendrik Heiden
Foto Rainer Tittelbach

Der ARD-Fernsehfilm „Sturköpfe“ erzählt von zwei Menschen, die nicht sehen wollen, dass sie sich an einem Scheideweg befinden. Ein Geschäftsmann um die 60, der sein Augenlicht verloren hat, was ihn verbittert und einsam macht. Eine Reha-Lehrerin um die 30, die noch immer bei ihrer lebensunfähigen Mutter lebt und die mit dem Umsorgen anderer ihre eigenen Ängste verdrängt. Der Film von Pia Strietmann nach dem lebensklugen Buch von Dominique Lorenz umgeht das Erwartbare und hütet sich vor wohlfeilen (Läuterungs-)Lösungen. Diese Degeto-Tragikomödie ist filmästhetisch meisterlich, Peter Haber und Alwara Höfels sind eine Traumbesetzung und das Ende ist ein großer FernSeh-Hör-Moment. TV mit Nachhall!

Verbittertes Arschloch trifft auf Helfersyndrom
Zwei Menschen vor einem neuen Lebensabschnitt. Sissi Fischbacher steht kurz vor ihrer Zulassung als Reha-Lehrerin für Blinde & Sehbehinderte. Weil sie wegen ihrer unbeherrschten Art durch die Prüfung gefallen ist, bekommt sie nun ihre letzte Chance – eine echte Bewährungsprobe: die Intensivbetreuung eines erblindeten Stahlfabrikanten. Jener Theo Olsson war offenbar schon immer hart wie Krupp-Stahl, jetzt ist er auch noch zynisch und verbittert. Der Mann ist gewohnt, das Sagen zu haben – und so fordert er: kein Mitleid, keinen Esoterikkram, sich auf keinen Fall blamieren müssen! Erst nachdem Olsson gegen alle Türen und Wände in seiner Luxusvilla gelaufen ist, akzeptiert er die Regeln seiner Lehrerin, lernt das Haus kennen und seine noch vorhandenen Sinne zu schärfen. Doch Olsson ist ungeduldig. Er will ein Chef sein, auf den sich seine Mitarbeiter verlassen können, kein blinder hilfloser Mann. Sissi kann das zwar verstehen, doch wo er sagt es muss, sagt sie es geht nicht: Wer blind ist braucht Geduld! Irgendwann platzt ihm der Kragen. Er will raus aus dem Haus, will endlich den Umgang mit dem Blindenstock lernen, will sein Lieblingslokal besuchen. Olsson macht seine Sache gut, doch als er sich hinreißen lässt, Sissi ein paar Ratschläge für ihr verkorkstes Leben zu geben, kontert sie mit einer Beleidigung („einsames Arschloch“), die ihm beinahe das Leben kostet und das Ende der Reha-Maßnahme bedeuten dürfte.

SturköpfeFoto: Degeto / Hendrik Heiden
Schweres Schicksal des Erblindeten (Peter Haber). Die junge Trainerin (Alwara Höfels) kann sich dennoch manchmal ein Lächeln nicht verkneifen. Dem Film tut diese Tonlage gut.

Blinde Einsamkeit und die Leere der Lehrerin
Der ARD-Fernsehfilm „Sturköpfe“ erzählt von zwei Menschen, die nicht erkennen, dass sie sich an einem Scheideweg befinden und so weitermachen wollen wie bisher, obwohl das kein guter Lebensweg wäre. Da ist der Mann um die 60, der seit fast 30 Jahren allein lebt, der außer einer aufopferungsbereiten Haushälterin und einem vermeintlichen Versagersohn keinen Kontakt zu anderen Menschen pflegt und für den jetzt, ohne Augenlicht, seine Einsamkeit deutlicher denn je zutage tritt. Und da ist die energische, aber in punkto Partnerschaft ängstliche Frau um die 30, die noch bei ihrer emotional labilen Mutter wohnt, die sich vor dem Leben drückt und die offenbar von Erzieherin auf Reha-Lehrerin umgeschult hat, weil sich ihre Leere mit diesem Beruf anspruchsvoller füllen lässt. Obwohl oder gerade weil beide grundverschieden sind, tun sie einander so gut. Sie schmeißen sich gegenseitig Wahrheiten an den Kopf. Und weil sie Sturköpfe sind, folgt gelegentlich der verletzenden Rede die noch verletzendere Gegenrede, bevor die beiden mit sich selbst in Klausur gehen. „Sie begegnen sich ehrlich und wahrhaftig, ohne Umwege“, beschreibt Alwara Höfels die Situation. „Das führt zu großen Konflikten, ist aber gleichzeitig die Chance auf Erkenntnis.“ Sich erkennen und aneinander wachsen ist das Interaktionsmodell der beiden Dickschädel. Das mag sehr pädagogisch klingen – im Rahmen einer Geschichte, in der es um Lernprozesse geht, ist das aber durchaus angebracht. Neben den Hauptfiguren hätte Sissis männerfixierte Mutter den größten „Reifungsbedarf“, doch sie ist und bleibt erfahrungsresistent. Einen guten Durchblick dagegen hat Olssons Sohn Jens; der ist schließlich Realschullehrer, aus Überzeugung.

Tragikomödie, die den Zuschauer zu entlasten weiß
Die Ausgangssituation macht aus „Sturköpfe“ ein Drama, das sich nicht mit der zuletzt bei den Freitagsfilmen der ARD-Degeto so beliebten Tonlage der Dramödie arrangieren mag, die Probleme in unterhaltsamer Gangart präsentieren. Die Gegensätze werden hier weniger versöhnlich miteinander konfrontiert. Wenn Genre-Begriff – dann Tragikomödie! So gut auch Filme wie „Nichts für Feiglinge“, „Mona kriegt ein Baby“ oder „Alleine war gestern“ sind, so richtig ist doch diese Entscheidung für diese Geschichte. Dass der Film von Pia Strietmann („Tage die bleiben“) nach dem lebensklugen Drehbuch von Dominique Lorenz das Erwartbare umgeht und sich vor dramaturgisch aufgesetzten Lösungen hütet, ist eine Besonderheit im Degeto-Freitagsfilm – auch der erfreulichen Post-Jurgan-Ära. So hat man dann als Zuschauer am Ende deutlich das Gefühl, nicht nur einer dieser typischen Läuterungsgeschichten beigewohnt zu haben. Das andere Bemerkenswerte ist: Auch ohne die Dramedy-Muster zu bedienen, besitzt dieser Film durchaus komische, vom Thema entlastende Momente: die neckischen Augen-Blicke zwischen Sissi und Jens; die ohne Mann orientierungslose Mutter mit ihrem Friseur- und Beauty-Laden, diesem Little Shop of Kitsch. Aber auch die Ausflüge des Blinden sind immer für ein Schmunzeln beim Zuschauer gut, ohne dass dabei der Gehandikapte belächelt oder die Ernsthaftigkeit der Situation unterminiert würde.

SturköpfeFoto: Degeto / Hendrik Heiden
„Sie haben Ihre Männerangst überwunden“. Mit der Liebe wird das aber wohl nichts! Darin unterscheidet sich „Sturköpfe“ grundsätzlich von anderen Degeto-Dramödien. Alwara Höfels unterstreicht unter Pia Strietmanns Regie ihre Klasse.

Soundtrack: Bonnie Tyler („Total Eclipse of the Heart“), Foreigner („I want to know what Love is“), Santana („Samba Pa Ti“), Phil Collins („One more Night“)

Verstehende Figuren statt Versöhnungsdramaturgie
Mal schwenkt Olsson seinen Blindenstock wie einen Golfschläger, mal landet er zwischen den langen Beinen einer verdatterten Passantin, mal will ein Hündchen nicht von ihm lassen. Gelegentlich kommt, gerade wenn es ernst wird, lakonischer Witz ins Spiel. Als der Vater am Ende seinen Sohn in der Schule besucht, eine Szene ohne falschen Schmus, merkt der Blinde beiläufig an: „Deine Jungs scheinen motiviert zu sein.“ Der Satz wird vom Sohn nicht kommentiert. Der Zuschauer muss ihn allerdings mit einem Lächeln quittieren. Denn zu sehen waren zuvor nur durch die Turnhalle rennende Mädchen. Eine der schönsten Szenen des Films beginnt mit einer Landschaftstotalen. Ein Herbstbild, eingehüllt in Nebel. Sissi, Olsson und dessen Limousine. Ein gewaltiger Baum, eine Art Lebensbaum. Danach gibt es den Umschnitt in den Wagen: „Der Blick hier, über das Land, diese Weite, das fehlt“, seufzt der Fabrikant. Sissi (die nur Nebel sieht): „Das ist wirklich ein sehr beeindruckender Blick.“ Immer gibt es Überraschungen, kleine Irritationen. Warum wohl hat die Heldin das gesagt? Sicher nicht um den Mann lächerlich zu machen, sondern um ihn zu bestätigen. Für den Zuschauer ist es ein Zeichen ihres zunehmenden Wohlwollens diesem Mann gegenüber, auch wenn sich das Verhältnis der beiden in der nächsten Szene schon wieder umkehren kann.

SturköpfeFoto: Degeto / Hendrik Heiden
Zurück in der Firma. Darauf hat Olsson hingearbeitet. Obwohl ihn sein Sohn stützt, ein schwerer Gang. Der Manager wird umdenken müssen… Höfels, Haber, Möhring

Filmästhetisch meisterlich & Haber/Höfels traumhaft
Der Film verfolgt einen wahrhaftigen Realismus. Die eigenwilligen Charaktere und ein zu bewältigendes Problem, einen Blinden fit zu machen für den Alltag, ein Problem, das sich nicht mit Dramaturgie oder Wohlfühlstrategien lösen lässt, bestimmen die Geschichte. Dass der Blinde etwas wahrnimmt von Sissis Leben, das sie nicht „sieht“, weil sie es verdrängt – diese Blindheit der Sehenden, ist natürlich auch ein Thema des Films. Doch die Autorin hat solche Metaphern und psychologischen Projektionen nicht penetrant ins Drehbuch geschrieben. Die Sätze sind dagegen klar, sie charakterisieren präzise die Figuren und die jeweilige Befindlichkeit. Die Frau macht schon mal einen Joke, bringt ein entlastendes Lächeln ins Spiel, macht aber wie ihr Gegenüber auch klare Ansagen. Die Sätze des Schweden sind frei von relativierenden Füllseln, sie sind knapp, direkt und ehrlich. Diese nackten Dialoge trägt Peter Haber mit einem entsprechend bestimmenden Ton vor. Sein Deutsch mit Akzent verstärkt diesen Effekt der harten Kommunikation. Den schwedischen Schauspieler zu besetzen war überhaupt eine glänzende Idee. Haber spielt seine Figur konsequent durch, macht keinerlei Kompromisse der Dramaturgie wegen, setzt kein falsches Lächeln auf. Bei uns ist er nur dem „Kenner“-Publikum (beispielweise als Kommissar Beck) bekannt – und so hinterlässt das Spiel insgesamt einen authentischeren Eindruck, als wenn ein deutscher Star-Mime, George, Habich oder Milberg, die Rolle übernommen hätte. Die Reaktion beim Zuschauer hätte da durchaus sein können: „Jetzt spielt der auch mal einen Blinden.“ Als Gegenpart ideal ist Alwara Höfels, eine Schauspielerin, die wie kaum eine andere die augenzwinkernde Selbstkommentierung beherrscht und der man diese bodenständige Ironie ihrer Figur einfach abnimmt. Und dann dieses Lachen. Das wirkt mitunter nicht gespielt (wie bei der „coolen Anmache“ mit dem Blindenstock), das wirkt spontan und gibt ihrer Figur eine liebenswerte Frische. Ihre Meisterinnen finden die beiden in Regisseurin Pia Strietmann und Kamerafrau Eeva Fleig. Filmästhetisch dürfte „Sturköpfe“ der interessanteste Film sein, der in den letzten Jahren auf dem ARD-Freitagstermin gezeigt wurde. Die Schlussszene ist traumhaft schön, sie nimmt das Motiv der Schärfung der Sinne auf und transzendiert es zu einem großen FernSeh-Hör-Moment. Ein Ausklang mit Nachhall. (Text-Stand: 9.11.2015)

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Fernsehfilm

ARD Degeto

Mit Alwara Höfels, Peter Haber, Sönke Möhring, Johanna Gastdorf, Gundi Ellert, Stefan Merki, Johannes Herrschmann

Kamera: Eeva Fleig

Szenenbild: Maximilian Lange

Kostüm: Florian Noll

Schnitt: Dirk Grau

Musik: Martin Stock

Produktionsfirma: Hager Moss Film

Produktion: Kirsten Hager, Anja Föringer

Drehbuch: Dominique Lorenz

Regie: Pia Strietmann

Quote: 3,53 Mio. Zuschauer (11,8% MA)

EA: 04.12.2015 20:15 Uhr | ARD

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