Vitas, ein junger Mann aus Litauen, verlässt die Fähre, telefoniert und taucht wenig später unter den Schaulustigen am Tatort eines Mordes auf. Werftarbeiter Leschek wurde in seinem Auto auf einem Parkplatz erschossen aufgefunden. Als Kommissarin Nina Petersen Vitas mit wachsendem Interesse befragt, bedroht er sie mit einer Pistole und schlägt sie nieder. Überwachungskameras zeigen, wie sich Leschek und Vitas am Stralsunder Hafen getroffen hatten. Der flüchtende Litauer scheint sich auf einem Rachefeldzug zu befinden. Leschek brachte für eine Hilfsorganisation regelmäßig Medikamente und andere Hilfsgüter in das baltische Land. Begleitet hatte ihn Paul Warnke, ein Polizist. Doch bevor die Polizei bei den Warnkes klingelt, hat Vitas bereits dessen Frau entführt, um an ihren Mann heranzukommen.
Martin Eigler und Sven S. Poser bleiben auch im vierten „Stralsund“-Film ihrem Prinzip treu. Wieder sorgt eine Geiselnahme für Thrill, doch die Action bleibt schwach dosiert – immerhin kommt der in dieser Reihe obligatorische Hubschrauber bei einer Verfolgungsjagd zum Einsatz. Klug eingesetzt wird die moderne Kommunikationstechnik: Alle aus dem Ermittler-Team, ob im Büro oder im Einsatz, sind per Knopf im Ohr immer miteinander in Kontakt. Das hält das Tempo hoch und erscheint auch nicht aufdringlich. Vielmehr ist es wohltuend, dass nicht ständig irgendein Handy gezückt wird. Nur Nina Petersens Freund und Kollege Benjamin erhält ab und zu eine SMS, was schon beinahe altmodisch wirkt.
Im Vordergrund bleiben jedoch die Psychologie und die Beziehungen der Figuren. Der junge Vitas wird im Verlauf der Handlung immer angespannter, nervöser, und es entwickelt sich ein Duell mit Paul Warnke, der die Angelegenheit behutsam in seine Richtung zu lenken versucht. Am Ende ist nicht mehr ganz klar, wer Geisel und wer Geiselnehmer ist – ein hübsch eingefädelter Rollentausch. Eigler und Poser nehmen sich in den Szenen mit Vitas (Mateusz Dopieralski) und Warnke (Jörg Schüttauf) die Zeit, um die schleichende Machtverschiebung glaubwürdig zu erzählen. Der Spannung tut das keinen Abbruch, auch nicht, dass die Zuschauer der Polizei oft einen Schritt voraus sind. Während der Ausgang von Vitas vermeintlichem Rachefeldzug offen bleibt, recherchiert das Ermittlerteam nach und nach die Hintergründe. So entsteht ein Ensemble-Krimi, in dem keine der Rollen nur Staffage ist.
Die vorausgegangenen Ereignisse in Litauen, die nun in Stralsund blutige Folgen haben, werden – bis auf ein Überwachungsvideo aus einem Supermarkt – nicht inszeniert. Damit bleibt der Film konsequent im vorgegebenen Handlungsrahmen von Zeit und Ort, allerdings sind auch einige „erklärende“, recht konventionelle Krimi-Dialoge notwendig. Eher klassisch wird außerdem der Schluss inszeniert, bei dem das Gute doch noch siegt.
Foto: ZDF / Georges Pauly
Die gut besetzte ZDF-Reihe leidet darunter, dass nur eine Folge im Jahr ausgestrahlt wird. So sind die persönlichen Beziehungen im vierköpfigen Ermittler-Ensemble vielen Zuschauern sicher nicht mehr präsent: Etwa, dass der durch eine Beinprothese behinderte Karl Hidde (Alexander Held) eigentlich schon einmal durch seinen Chef Gregor Meyer (Michael Rotschopf) entlassen werden sollte. Aber das herrlich blasierte Spiel Rotschopfs lässt Hiddes Abneigung auch ohne dieses Vorwissen glaubwürdig erscheinen. Ob Wackernagels Nina Petersen nun wirklich schwanger war und ob Benjamin seine Spielschulden zurückzahlen konnte, das erfährt man allerdings wohl frühestens in einem Jahr. (Text-Stand: 22.1.2013)