Erst die Alpträume, jetzt auch noch Halluzinationen – Motorradfreak Erik (Jürgen Vogel) fürchtet, wahnsinnig zu werden. Ein düsterer Mann verfolgt ihn, mit seiner Kapuzenjacke und den zynischen Macho-Sprüchen passt der so gar nicht in das neue Leben des Stadtflüchtigen, der gerade dabei ist, sich mit seiner Werkstatt und Freundin Julia (Petra Schmidt-Schaller) auf dem Land eine Existenz aufzubauen. Der Fremde nennt sich Henry (Moritz Bleibtreu) – und er tut so, als ob er Erik besser kennen würde als der sich selbst. „Das ist alles nicht echt, das ist bald alles vorbei“, prophezeit er dem zunehmend Verunsicherten, der sogar eine Geistheilerin (Valerie Tscheplanowa) aufsucht, um den Quälgeist loszuwerden. Keiner außer Erik kann Henry wahrnehmen. Ist er ein Schatten der Vergangenheit? Das Ergebnis einer Verdrängung? Noch weitere, nicht weniger üble Gestalten tauchen im Dorf auf. Diese allerdings sind real. Und vielleicht sind sie sogar noch gefährlicher als dieser Kapuzenjackenträger. Der brutalste Mensch aus Eriks früherem Leben aber ist Gangsterboss Keitel (Georg Friedrich), ein durchgeknaller Sadist, der noch eine Rechnung mit dem Aussteiger offen stehen hat.
Foto: ZDF / Stephan Rabold
„Fight Club in der deutschen Provinz: Für den Kinofilm ‚Stereo’ liefern sich Moritz Bleibtreu und Jürgen Vogel ein grausames Duell. Ein Thriller über Wille und Trieb. Großes verschwitztes Testosteron-Theater.“ (Spiegel online)
„’Stereo’ ist ein labyrinthisches Spiel mit den Identitäten und ein fiebriger Psychotrip in verborgene Sehnsüchte und Triebe, der auch den Zuschauer mit seinem Gewaltpotenzial konfrontiert.“ (Die Welt)
„Erlenwein versucht etwas zu zwanghaft, mit immer unglaublicheren Wendungen zu überraschen – auf Kosten der Milieu- und Charakterzeichnung. Andererseits – dass ein deutscher Film, ein Genrefilm dazu, die Bodenhaftung verliert: Ist das nicht die eigentliche, die gute Nachricht? Ist es nicht wunderbar, dass ‚Stereo’ nichts wissen will vom deutschen Erzählkino, dass Erlenwein mit seinem Film den Exzess feiert, das Überschnappen, die Hysterie und das Berauschen am Trash?“ (Zeit online)
Foto: ZDF / Stephan Rabold
Ist hier einer im Clinch mit sich selbst? Ist der von Jürgen Vogel großartig nuanciert gespielte sympathische Motorradschrauber, in dem sich langsam die Gewissheit breit macht, dass da noch ein Alter Ego in ihm wütet, nicht gemacht für diese Art von Zweisamkeit? Maximilian Erlenwein („Schwerkraft“) erzählt in „Stereo“ nur vordergründig von einem Mann, der vergessen will und in die Idylle flüchtet. Unter der Oberfläche entwirft der Autor-Regisseur ein subtextreiches Szenario, das sich zunehmend zu einem diabolischen Mystery-Thriller auswächst. Im Schlussdrittel jagt der entfesselte Genrefilm seiner Bestimmung entgegen. Entkommt im Intro der Held mit dem Motorrad dem Großstadt-Inferno, um glückselig in der Provinz zu landen, rast Vogels faustisches Wesen mit seinem vermeintlichen Mephistopheles nach einer Filmstunde in die Stadt zurück, um das zu tun, was ein Mann tun muss. Der Plot verdichtet sich zu einem surreal anmutenden urbanen Alptraum. Die Sonne verschwindet. Die Nacht beherrscht die Szenerie. Die Unterwelt regiert. Und die Gewalt bricht sich Bahn.
„Stereo“ ist einer der viel zu seltenen Versuche, Action nicht im testosterongeschwängerten Til-Schweiger-Geballere aufgehen zu lassen. Gleichsam verzichtet Erlenwein noch mehr als in seinem vielversprechenden Debüt „Schwerkraft“ darauf, das Genre Arthaus-like zu überintellektualisieren. Der Filmemacher selbst bezieht sich auf den Hollywoodklassiker „Mein Freund Harvey“, in dem James Stewart von einem imaginierten Hasen verfolgt wird. Regie führte Henry Koster; das Schattenwesen in „Stereo“ heißt nun sicher nicht zufällig „Henry“. Inspiration holte sich Erlenwein gewiss auch bei modernen US-Klassikern des intelligenten Männerfilms: David Finchers Knochenbrecher-Thriller „Fight Club“ und John Woos Melo-Action-Psycho-Mix „Im Körper des Feindes“. Für deutsche Verhältnisse (und das entsprechende Low-Budget von 3 Mio. Euro) ist „Stereo“ schon ziemlich nah dran an seinen Vorbildern. Auch Erlenwein sind Plot und Production Design wichtiger ist als die Psychologie seiner Charaktere. Für solch einen Höllenritt gar nicht verkehrt! (Text-Stand: 25.5.2016)