Im Kinderfernsehen wird das Lernziel am Schluss gern noch mal zusammengefasst. Das gilt allerdings in erster Linie für Info-Magazine. Zumindest aus erwachsener Sicht wirkt es ziemlich pädagogisch, wenn auch ein Spielfilm auf diese Weise endet, weil eine ohnehin allzu didaktisch konzipierte Nebenfigur die Botschaft noch mal in Worte fassen muss: „Sind wir denn alle wahnsinnig geworden? Das ist ja wie vor achtzig Jahren! Es hat genauso angefangen damals. Ham’ wir denn gar nichts gelernt? Genau die gleiche Dummheit, genau der gleiche Hass. Menschen werden erniedrigt, geschlagen, getötet. Nur weil sie anders sind! Woll’n wir das? Woll’n wir das wirklich?“
Foto: ZDF / Leitwolf / Christine Schroeder
Abgesehen davon, dass es vor achtzig Jahren nicht angefangen, sondern aufgehört hat, ist die alte Frau, die diesen Appell proklamiert, die einzige uneingeschränkt positive Figur des Films. Das Verhalten aller anderen ist geprägt von Vorurteilen. Diese Voreingenommenheit will „Sprengstoff“ (Buch: Sebastian Grusnick, Thomas Möller) aufbrechen; das ist erst mal ehrenwert. Die Handlung, in deren Rahmen sich die 14-jährige Anne (Johanna Götting) auch dank des Einflusses ihrer Nachbarin Clara (Nicole Heesters) schließlich eines Besseren besinnt, ist plausibel und nachvollziehbar erzählt. Die Umsetzung ist jedoch allzu spannungsarm, und auch im Kinderfernsehen dürfen Botschaften gern etwas subtiler verpackt werden; die Zielgruppe bekommt sie trotzdem mit, zumal sich der lange Kurzfilm (knapp 45 Minuten) an die ganze Familie richtet.
Gelungen ist allerdings die Idee, alle Beteiligten zwangsweise an einem Ort zusammenzuführen und auf diese Weise die beiden Themenkomplexe „80 Jahre Kriegsende“ und „Migration“ miteinander zu verknüpfen: Weil bei Baggerarbeiten eine Weltkriegsbombe entdeckt worden ist, muss ein Wohnviertel evakuiert werden. Die Turnhalle, in der sich die Menschen versammeln, befindet sich in der Nähe einer Flüchtlingsunterkunft. Dort erzählt Clara, dass sie als Achtjährige ebenfalls auf der Flucht war, nachdem ihr Elternhaus bombardiert worden ist. Als eine Mutter überzeugt ist, dass „die Flüchtlinge“ ihren Kinderwagen gestohlen haben, folgt Claras erste Ermahnung: „So hat’s damals auch angefangen. Nur waren damals die Juden Schuld.“ Immer werde ein Schuldiger gesucht, „und jetzt sind es eben die Geflüchteten.“
Foto: ZDF / Leitwolf/Christine Schroeder
Der Konflikt beginnt jedoch viel früher: Weil Anne zu spät zum Leichtathletiktraining kommt, vergisst sie, ihr Fahrrad abzuschließen. Dummerweise hat sie es vor einem „Zu verschenken“-Karton abgestellt; der mit Mutter und Schwester aus Afghanistan geflohene Faried (Zahel Anwary) freut sich, gilt aber nun prompt als Fahrraddieb. Am Ende geht ihm Annes Vater (Tim Porath), angestachelt von Tobi (Noah Kraus), einem älteren Mitschüler seiner Tochter, sogar an den Kragen. Weitaus wirkungsvoller als ein bloßer Appell ist erfahrungsgemäß ein Sinneswandel. Anfangs sind Anne und Faried noch neutrale Figuren. Das ändert sich, als sie im Hundertmeterlauf gegen ihn gewinnt. Der Junge, der ausgezeichnet Deutsch spricht, weil sein Vater Dolmetscher war, ist offenkundig kein guter Verlierer und tut sinngemäß kund, dass Mädchen überhaupt keinen Sport treiben sollten. Das findet Anne verständlicherweise doof. In der Turnhalle stellt sie allerdings fest, dass Faried gar nicht so übel ist. Im Gegensatz zu einem Erwachsenen, der die ganze Zeit bloß meckert, packen die beiden Teenager sofort mit an, als Hilfe benötigt wird.
Damit sich die Handlung nicht nur in der Halle abspielt, schaut der Film zwischendurch immer wieder mal in der Baugrube vorbei; ein ZDF-Reporter (Sherif Rizkallah) hält die Menschen auf dem Laufenden. Obwohl Claras entlaufener kleiner Hund die Entschärfung zwischenzeitlich sabotiert, kommt auch auf dieser Ebene keinerlei Spannung auf, zumal eine erfahrene Kampfmittelräumerin (Nina Petri) in aller Ruhe eine Stulle isst, während sich ihr unerfahrener junger Kollege (Yannik Heckmann) am Zünder zu schaffen macht. Abgesehen von zwei cleveren Szenenwechseln zu Beginn und am Schluss sind gelegentliche Zeitlupenstudien die einzigen Inszenierungsakzente, aber die jungen Mitwirkenden hat Regisseur Linus Liyas bei seinem Regiedebüt ausnahmslos gut geführt.