Seit du da bist

Manuel Rubey, Gedeck, Tinnefeld, Michael Hofmann. Kleines (Autoren-)Filmwunder

Foto: BR / Oberon / Alfons Kowatsch
Foto Rainer Tittelbach

„Seit du da bist“ gelingt etwas, was es im deutschen Fernsehfilm gar nicht und im Kino immer seltener gibt: ein Film, der wie seine Hauptfigur liebevoll vor sich hin mäandert, trotzdem ganz bei sich ist & eine seltsame Magie entwickelt. Als ob sich der Alltagskomik-Strukturalist Jacques Tati und der Beziehungsrealist Eric Rohmer in Wien verabredet hätten… Der Film erzählt von Spielarten der Liebe, von den Spielarten der Kunst, von Musik und Malerei und ihrer Beziehung zum Geld. Er erzählt – wenn man so will – auch von Spielarten des Zusammenseins, der Freundschaft zwischen Erwachsenen und Kindern, von einem guten „Vater“ und einem weniger guten. Michael Hofmann zeigt, lässt reden, die Bilder laufen, er erzählt im besten Kino-Sinne. Das ist mal ironisch, unheimlich komisch, mal melancholisch, traurig, aber stets lebensbejahend – und die Schauspieler sind allesamt zum Niederknien.

Im Club der polnischen Versager fühlt sich der brotlose Künstler Jarek (Manuel Rubey) zuhause. Hier jobbt er, hier hat er seine Freunde. Als er seine Ex Alina (Katharina Schüttler) wieder trifft, erweitert sich notgedrungen sein Horizont. Sie hat endlich eine Festanstellung gefunden und möchte diese nicht sofort wieder aufs Spiel setzen. Und weil Jarek ihr nichts abschlagen kann, fährt er nun künftig ein Mal in der Woche Alinas Tochter Lilia (Allegra Tinnefeld) zum Geigenunterricht ans andere Ende von Wien. Ausgerechnet Lilia. Das Mädchen ist ein Quälgeist, besserwisserisch, altklug, einfach ätzend. Sie hatte immer schon etwas gegen Jarek. Aber sie hat keine andere Wahl, also arrangiert sich das Mädchen. Und sie merkt, ganz so übel ist dieser „Versager“ ja doch nicht. Auch Jarek findet sich mit der Situation ab: Seine Ausflüge in die feine Vorstadt werden für ihn zur willkommenen Abwechslung. Die drei Kinder der Geigenlehrerin hat er bald ins Herz geschlossen und auch sie mögen ihn – und in jene Clara (Martina Gedeck) hat er sich regelrecht verliebt, zunächst in ihre Musik, dann in sie, den Liebreiz dieser zwanzig Jahre älteren Frau. Ihr Grobian-Gatte Bertschi (Robert Palfrader) sieht das alles gar nicht gern. Dass er ein renommierter Kunstmäzen ist, macht das Verhältnis der beiden Männer aber keineswegs unbeschwerter.

Seit du da bistFoto: BR / Oberon / Alfons Kowatsch
„Hast du immer noch keine Bilder verkauft?“ Früchtchen Lilia (Allegra Tinnefeld) kennt die wunden Punkte von Jarek (Manuel Rubey), der sein Auto verkaufen musste. Und da sie ihn noch immer nicht mag, provoziert sie, wo es nur geht.

„Seit du da bist“ gelingt etwas, was es im deutschen Fernsehfilm gar nicht und im Kino immer seltener gibt: ein Film, der wie seine Hauptfigur liebevoll vor sich hin mäandert, trotzdem ganz bei sich ist und eine seltsame Magie entwickelt. Es ist ein Film, der sich nur schwer mit Begriffen fassen und auf ein Thema, einen tieferen Sinn oder eine Moral reduzieren lässt. Wie sich der Held immer wieder den Gesetzen des Kunstmarktes und dem Egoismus des modernen Beziehungslebens entzieht, so kann auch diese poetische, luftig erzählte Tragikomödie nicht in die üblichen Schubladen gesteckt werden. Der Film erzählt von Spielarten der Liebe, der Liebe in Gedanken, und von den Spielarten der Kunst, von Musik und Malerei und ihrer Beziehung zum schnöden Mammon. Er erzählt – wenn man so will – auch von Spielarten des Zusammenseins, der Freundschaft zwischen Erwachsenen und Kindern, von einem guten „Vater“, der allerdings keiner ist, und einem nicht so guten Vater, der vor allem eines ist: ein wenig netter Mensch. Autor-Regisseur Michael Hofmann erzählt alles so unaufdringlich, mit einer solchen Selbstverständlichkeit, dass sich daraus 90 unkonventionelle Filmminuten ergeben: die Charaktere unwiderstehlich, die Schauspieler hinreißend und die Geschichte alltagsnah und streng strukturiert zugleich. Hofmann zeigt, er lässt die Bilder laufen, anstatt zu erklären. Seine Filmsprache erinnert an die Hoch-Zeit des europäischen Autorenfilms. Als ob in der Praterstadt der Alltagskomik-Strukturalismus eines Jacques Tati mit dem Beziehungs-Realismus von Nouvelle-Vague-Begründer Eric Rohmer kurzgeschlossen worden wäre. Und ein bisschen Wiener Schmäh ist auch dabei.

Seit du da bistFoto: BR / Oberon / Alfons Kowatsch
Zwei Wunderkinder unter sich. Die Ausnahmeschauspielerin Katharina Schüttler stand bereits mit elf Jahren vor der Kamera. Allegra Tinnefeld drehte bereits mit neun Jahren ihren ersten Film. „Seit du da bist“ ist ihr zweiter Film – und schon eine Hauptrolle. Sie ist ein Glücksfall für Hofmanns Film, auch weil sie die schwierigen Geigenspiel-Parts selbst übernehmen konnte. Mit dreieinhalb Jahren hat sie ihren ersten Geigenunterricht erhalten und gilt in der Branche als echtes Wunderkind!

In „Seit du da bist“ geht es – ähnlich wie in den handelsüblichen TV-Dramödien – um Annäherungsprozesse, doch da Hofmann nicht die im Fernsehen so beliebten dramaturgischen Fallhöhen aufbaut, muss hier auch niemand geläutert werden. Und natürlich geht es immer wieder auch um die aktuelle Politik der Generationen, in denen sich sowohl der Arbeitsmarkt als auch die neuen Lebensbedingungen (weniger traditionelle Familien, mehr alleinerziehende Erwachsene) spiegeln. Lange nicht hat man in einem deutschen Film Momente kindlicher Befindlichkeiten so unaufdringlich verdichtet gesehen wie hier. Oft genügen die Bilder: die hinterfotzigen Frechdachsblicke, die traurigen Augen, ein paar Tränen, die Angst vorm Alleinsein. Und dann das ständige, sich verantwortlich fühlen. „Ist deine Unterhose noch okay?“, fragt in einer Szene die Mutter. „Und deine?“, fragt die Tochter ernsthaft zurück. Und als die Kleine hört, dass die gemeinsame Urlaubsreise schon gebucht ist, will sie wissen, ob sie denn auch schon bezahlt wurde. Im Schlussteil werden die Ängste des Kindes konkreter. Lilia sorgt sich um die Mutter: „Jetzt bleibt mir nur noch der Alkohol“, habe sie zu einer Freundin gesagt. Das Mädchen gibt sich die Schuld dafür, dass ihre Mutter wieder ihren Job verloren hat. „Es wäre besser, wenn ich tot bin, dann würde ich wenigstens keine Probleme mehr machen.“ Ein Satz wie ein Messerstich ins Herz – auch, weil diese Szene unverhofft kommt, weil sie pur präsentiert wird, ohne Pathos, nur der Pole und das Kind, allein in einem dunklen Zimmer. Aber das Mädchen rappelt sich auf – und ihre Willenskraft färbt sogar ab auf den liebenswerten Zauderer. „Mit Nummer sicher kommst du nirgendwohin, mein Kind“, diesen Satz ihrer neuen Geigenlehrerin knallt sie ihm zum Abschied einfach hin. Was diesem Kind abverlangt wird, macht der Film immer wieder spürbar; wahrscheinlich sensibilisiert er für diese kleine Heldin des Alltags sogar mehr als jeder gut gemeinte Themenfilm.

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Dieses bürgerliche Leben hat für den brotlosen Künster Jarek (Manuel Rubey) durchaus einen gewissen Reiz. Nur dieser selbstgefällige Bertschi (Robert Palfrader) passt nicht ins Bild. Auch Clara (Gedeck) entgehen die Unarten ihres Gatten nicht.

Die Situationen wiederholen sich, in den Unterschieden, oft sind es nur Nuancen, entsteht kunstvoll und alltagsnah das, was man Geschichte nennen könnte. Groß und klein auf dem Motorrad, dieses Bildmotiv kehrt immer wieder, aber die Gesichtsausdrücke wechseln. Jareks Warten im Haus der schönen Geigenlehrerin verändert sich von Woche zu Woche. Halten ihn zunächst deren Kinder zum Narren, liebt er bald diese unorganisierte Zeit, die später mit Spielen, Smoothies mixen und anderem Schabernack gefühlt und vom Erscheinen der Geigenlehrerin gekrönt wird. Sensibel strukturiert ist aber nicht nur die Narration, wunderbar klar und trocken sind auch die Wortwechsel, mal länger (siehe roten Kasten), mal kürzer. Jarek: „Du findest mich noch immer so richtig scheiße?“ Lilia gnadenlos: „Ja.“ Oder: „Warum haben Sie das Angebot meines Mannes eigentlich nicht angenommen?“, fragt Clara, „Sie müssen verrückt sein.“ Die Antwort ist ein ebenso strahlendes wie lapidares „Ja“. Und manchmal entwickeln sich Dialoge zu einer Art verstecktem Running Gag: „Ist das dein neuer Papa?“, fragt eine Mitschülerin. „Nein, Mamas vorletzter Freund.“ Beim zweiten Abholen kommt dieselbe Frage, jetzt aber lautet die Antwort: „Das war noch nie mein Papa und wird es auch nie sein. Wann kapierst du das endlich mal!?“ Und die Freundin kapiert’s (so fast!) und sagt beim dritten Mal: „Lilia, du wirst abgeholt, dein Ex-Typ ist da.“ Man bekommt in der ersten Hälfte des Films als Zuschauer das Schmunzeln einfach nicht aus dem Gesicht. Dazu gibt es Jazz mit Easy-Listening-Note (die Nouvelle Vague lässt auch hier grüßen) – passend zum sich treiben lassen und gespannt darauf sein, was da wohl noch so alles kommen mag.

Lilia muss bei Jarek übernachten, weil ihre Mutter ausgegangen ist
Lilia (weist auf ein Gemälde): „Wer ist das?“
Jarek: „Eine Ex-Freundin – nach deiner Mutter.“
Lilia: „Hast du wegen ihr Mama verlassen?“
Jarek: „Nein, wir haben uns erst danach kennengelernt.“
Lilia: „Ihr habt euch wegen mir getrennt, stimmt’s?“
Jarek: „Nein.“
Lilia: Gib’s doch zu, du Feigling! Weil ich so eklig zu dir war.“
Er lächelt.
Lilia (blickt zum Bild): „Warum habt Ihr euch getrennt? Hatte sie auch ein Kind? Wollte sie eins?“
Jarek: „Das geht dich gar nichts an.“
Lilia: „Sie wollte welche, stimmt’s?“ Sie blickt ernst. „Was hast du eigentlich gegen Kinder?“
Jarek: „Nichts, gar nichts.“
Lilia: „Dann schau dir doch mal deinen Gesichtsausdruck an.“

Seit du da bistFoto: BR / Oberon / Alfons Kowatsch
Musiklehrerin Clara präsentiert ihre kleinen Talente. Der Gatte darf ein bisschen dazu mit dem Schellentamburin rasseln. Gedeck, Tinnefeld, Palfrader

Dass „Seit du da bist“ auch ohne das, was man gemeinhin „Handlung“ nennt, so vorzüglich funktioniert, liegt natürlich auch an den Schauspielern. Selbst die Nebenrollen sind mit Katharina Schüttler und Robert Palfrader prominent und perfekt besetzt. Und Martina Gedeck, die ja ebenso nur die zweite Geige spielt (auch wenn Arte und BR das gern anders „verkaufen“), ist mit ihrer leicht entrückten Darstellung die ideale Projektion für diesen von Kunst beseelten Maler. Den Traumtänzer spielt Manuel Rubey als charmanten Mann, der sich nicht traut und sich dafür lieber (an)treiben lässt, im Notfall auch von Dreikäsehochs. Sein (unglücklich) verliebtes Strahlen durfte er schon in „Braunschlag“ aufsetzen. Konnte der sich in der Serie noch gegen Palfraders Bürgermeister durchsetzen, schlägt dieser hier dem verliebten Trottel das Gesicht blutig. Dass Hofmanns Film so unterhaltsam ist und zugleich die – dem Leben abgelauschten – Subtexte einen so sehr berühren, das ist maßgeblich dem Ausnahmetalent Allegra Tinnefeld zu verdanken: Die Kleine spielt wie eine Große. Köstliches Understatement gelingt ihr so gut wie Schmerz oder altkluge Kindermundrhetorik, ja sogar mit Ironie muss sie spielerisch klarkommen. Eine Schmunzelszene höchster Güte ist das erste Aufeinandertreffen des verhinderten Malers und der verhinderten Ausnahmegeigerin. Doch die Krone setzt dem absurden Dialogwechsel zwischen Rubey und Gedeck nach einer Minute Tinnefeld auf: … „Entschuldigen Sie, ich bin Jarek Dudek, ich bin der Ex-Freund von Alina und sie hat mich gebeten, Lilia zum Geigenunterricht zu bringen.“ Das muss die Kleine aber richtig stellen: „Das stimmt schon wieder nicht: Er ist der vorletzte Ex von meiner Mutter.“ Jarek: „Das ist korrekt, vielen Dank.“ Lilia: „Gerne.“ Wunderbar! (Text-Stand: 9.4.2016)

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Fernsehfilm

ARD Degeto, Arte, BR

Mit Manuel Rubey, Martina Gedeck, Allegra Tinnefeld, Katharina Schüttler, Robert Palfrader, Daniel Wagner, Veronika Polly

Kamera: Jo Molitoris

Szenenbild: Veronika Merlin

Kostüm: Christine Ludwig

Schnitt: Bernd Euscher

Produktionsfirma: Oberon Film, good friends Filmproduktion, epo-film

Produktion: Alexander Funk, Moritz von der Groeben

Drehbuch: Michael Hofmann

Regie: Michael Hofmann

Quote: ARD: 3,69 Mio. Zuschauer (12% MA); Wh. (2022): 3 Mio. (13,1% MA)

EA: 05.05.2016 20:15 Uhr | Arte

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