Das hat der Belegschaft des Retouren-Centers in Mecklenburg-Vorpommern gerade noch gefehlt: ein Kontrollfreak aus der Konzernzentrale, der ganz große Pläne mit der wenig rentablen Filiale im wilden Osten hat. Die Strategie „seid ineffektiv“, die die Geschäftsführerin Susanne Krombholz (Stefanie Stappenbeck) an ihre Mitarbeiter ausgibt, erweist sich bald als das falsche Mittel gegen den Eindringling Oliver Drittenpreiss (Wanja Mues). Ist da etwa der Plan, den die fixe Yvonne Breuer (Birgit Berthold), die rabiate Vietnamesin Ahn Chow (Mai-Phuong Kollath) und der trottelige Ronny (Vincent Krüger) verfolgen, „ab in den Schredder“, langfristig die bessere Lösung? Eines ist klar: Die Lage ist ernst, die Arbeitsplätze wackeln, dem Retouren-Center droht das Aus, wenn nicht größer gedacht und effizienter gearbeitet wird. Das dürfte dann wohl auch das Ende eines schönen Nebenverdienstes bedeuten: Denn anstatt die verschmähten Waren zu schreddern, werden sie von den Mitarbeitern heimlich weiterverkauft. Ausgerechnet die Polin Agnieszka, genannt „Aggi“ (Izabella Gwizdak), die bei dieser gut funktionierenden Kreislaufwirtschaft nicht mitmacht, wird von Drittenpreis fälschlicherweise als Diebin entlarvt, derweil die anderen ein vielleicht letztes Mal versuchen, Kasse zu machen. Welcher Dummkopf schreddert schon funktionstüchtige Waschmaschinen oder eine Ladung nagelneuer Spielkonsolen?!
Foto: NDR / O-Young Kwon
Der Titel der Comedy-Serie „Retoure“ ist auf jeden Fall schon mal äußerst „aktuell“ und spießt ein durchaus alltagsrelevantes Thema auf. Die Serie von Katharina Walther & Florian Mengel (Buch) und Torsten Wacker (Regie) hält den wild bestellenden und ebenso ungebremst die Waren zurücksendenden Konsumenten den Spiegel vor, packt dabei aber nicht die Moralkeule aus. Obwohl die Deutschen „Retouren-Europameister“ sind, wird dieses Thema bisher nicht vertieft. Die Serie beginnt mit drei Folgen à 30 Minuten, in denen eher der neokapitalistische Online-Handel sein Fett abbekommt. In Gesamtlänge und Ausstrahlungs-Modus ist „Retoure“ also vergleichbar mit den ARD-Comedys to go, die im Frühjahr an den Start gingen. Was die Qualität betrifft, kann von denen nur „Saubere Sache“ (WDR) mit dieser von der Kinescope Film für den NDR produzierten Serie mithalten. Dass es einen Nachschlag geben muss, wird am Ende überdeutlich. Drehten sich die Cliffhanger zuvor um das Schicksal des „Fremdlings“, der ja eine DDR-Vergangenheit hat (Folge 1: Soll er durchkommen? Folge 2: Wird er durchkommen?), ist es am Ende die Geschäftsführerin, dessen verräterisches „Arschgeweih“ Drittenpreiss ein schwaches Licht aufgehen lässt. Ob es schwach bleibt, ob Krombholz‘ Job in Gefahr ist oder ob sich Protagonistin und Antagonist verbünden gegen den wahren Feind oder sie sich weiterhin gegenseitig ausspionieren und jeder heimlich sein eigenes Süppchen kocht – all‘ das wird hoffentlich bald ein Nachschlag beantworten.
Der ist dann hoffentlich auch wieder so unverschämt effektiv – sprich: ökonomisch erzählt – wie die ersten 90 Minuten: keine nervigen Komödien-Stimmen aus dem Off, kein Schnitt auf Pointe, keine Erklärungen, nicht zu viel Dialog, nicht zu viel Gefühl. Dafür eine Exposition, die in die Handlung springt und bei der das Comedy-geneigte Publikum einfach nur hinschauen (und hinhören) muss. Da sieht man dann eine Geschäftsführerin, die privat wie beruflich eine liebenswerte Chaotin ist – und die in Kombination mit ihrer Darstellerin, Stefanie Stappenbeck, Vieles mitbringt, was diese Figur Screwball-Comedy-verdächtig macht. Gleiches gilt für den linkischen Controller aus dem Westen: Der fährt mit einem monströsen Schwanzersatz in MeckPomm ein und droht, die ostdeutsche Solidargemeinschaft zu überrollen, fällt allerdings immer wieder auf die eigene Nase. Dass diese Rolle für Wanja Mues der erste Ausflug ins komische Fach ist, mag man kaum glauben. Und man mag es kaum schreiben: Tempo und Timing sind und bleiben das Wichtigste für eine solche Comedy. Diese Binsenweisheit unterstreicht Regisseur Wacker mit einer Montage, die hier einmal nicht als typischer Comedy-Retter in höchster Not schwache Dialoge und andere Drehbuch-Mängel überspielen muss, sondern die die konfliktträchtigen Gegensätzpaare verbindet und den Zuschauer sofort in die Situationen hineinzieht, aus denen sich rasch eine Geschichte ergibt.
Foto: NDR / O-Young Kwon
Nicht nur zu Beginn, sondern auch später fast in jeder Sequenz, übernimmt die Musik dramaturgisch eine herausragende Funktion. Sie macht Tempo, sie kommentiert das Gezeigte, ironisiert es mitunter und setzt so immer wieder komische Akzente. Der Score klingt mitunter wie eine Light-Version der Surfer-Easy-Listening-Instrumentals, die Tarantino gern in seinen Filmen verwendet – und der Sound treibt die Handlung, die sich selbst erzählt, zusätzlich an. Die wenigen Original-Songs (Deichkind, Nina Simone, Santo & Johnny) passen auch sehr gut ins Bild. Und dass Sound-Zitate wie aus „Der weiße Hai“, „2001 – Odyssee im Weltraum“ oder „Für ein paar Dollar mehr“ besonders originell wirken, wenn sie in einen völlig anderen Kontext eingebaut werden, weiß ein Comedy- wie Dramedy-erfahrener Regisseur wie Torsten Wacker („Mord mit Aussicht“, „Magda macht das schon“, „Süperseks“) natürlich auch.
Und es gibt weitere Quellen der Komik: die einerseits dominante, andererseits bedürftige Mutter (typisch Marie Anne Fliegel – klasse!) von Oliver Drittenpreis, die in jeder arbeitsfreien Minute ihres Sohnes gern Screen-füllend per Smartphone in dessen Leben quatscht. Sie ist es auch, die ganz beiläufig und dramaturgisch clever die nicht immer ruhmesreiche Vorgeschichte des vermeintlichen Visionärs ausplaudert. Und auch ein Weggefährte aus Olivers ostdeutschen Jugendjahren, Micha (Tom Keune), der König der Gabelstapler, weiß einiges über Olivers Nehmerqualitäten zu berichten. Und so findet ein altes DDR-Prinzip Eingang in das Interaktionsgebaren der beiden Hauptfiguren: Vertrauen bringt nichts, Kontrolle ist das einzig Wahre. Und so schlägt in dem Retouren-Center bald die Zeit der Überwachungskameras. Zum Schluss noch ein Wort zum Dialogwitz: Wenn Sätze nicht auf Pointe getrimmt sind, hat das den Vorteil, dass Pointen nicht danebengehen können. Wenn die Sätze jedoch aus der Zeichnung der Figuren abgeleitet werden und mit den jeweiligen Situationen übereinstimmen und dazu noch die Filmsprache ihr Bestes gibt, kann eine Komik entstehen, die ohne aufgesetzte Äußerlichkeiten auskommt. „Retoure“ macht’s vor.
Foto: NDR / O-Young Kwon