Manchmal meint es das Schicksal gut mit den Menschen. Objektiv betrachtet mag der Tod von Agnethas Mutter eine betrübliche Botschaft sein, aber die beiden Frauen hatten seit zwanzig Jahren keinen Kontakt mehr. Außerdem kommt die Nachricht des plötzlichen Ablebens zum denkbar günstigsten Zeitpunkt: Agnetha ist kaufsüchtig, in ihrer Wohnung ist vor lauter Kartons kaum noch Platz, und jetzt steht ein Gerichtsvollzieher vor der Tür; also bleibt nur die Flucht über den Balkon. Kürzlich hat Agnetha Post von einer Schweriner Notarin erhalten, die ihr nun eröffnet, dass sie in den Genuss der stattlichen Summe von über 300.000 Euro kommt. Mutter Naima hat das Erbe jedoch mit einer Bedingung verknüpft: Die Tochter soll ihre sterblichen Überreste quer durch Norddeutschland zu jener ostfriesischen Insel bringen, auf der sie beide einst gelebt haben. Zum letzten Willen gehören außerdem vier Umschläge mit Koordinationen; diese Stationen soll Agnetha aufsuchen.
Foto: NDR / Boris Laewen
Das Konzept der NDR-Serie klingt nach einem typischen Roadmovie, schließlich lebt die Filmgattung von der Selbst-Erfahrung: In Wirklichkeit ist jeder dieser Trips eine Reise zu sich selbst. Hier hieße das: Agnetha (Alwara Höfels) überwindet den Tochter/Mutter-Konflikt, um endlich zu einem selbstbestimmten Leben zu finden. Tatsächlich kommt es im Verlauf der Fahrt zu entsprechenden Zwiegesprächen mit der Stimme von Naima (Andrea Sawatzki) in ihrem Kopf. Zielführend sind sie allerdings nicht, weil sie prompt nach den alten Mustern verlaufen: Die Mutter stichelt, die Tochter trotzt.
Schon der zwanzigsekündige Prolog deutet jedoch an, dass sich „Reisen mit Muddi“ (Buch: Valentin Holch und Barbara te Kock) in eine gänzlich Richtung entwickeln wird: Eine harmlose Strandszene endet buchstäblich mit Knalleffekt, als ein Eiswagen explodiert. Tatsächlich macht Agnetha im Verlauf der Fahrt einige Entdeckungen, die die Überführung zu einem lebensgefährlichen Abenteuer werden lassen: Offenbar hat Naima einen schwunghaften Drogenhandel betrieben; die Tochter muss sich ihr Erbe mit einer letzten Fuhre selbst verdienen. Außerdem ist die Mutter Opfer jenes Auftaktanschlags geworden, und Bernd (Bernhard Schütz), ein Killer mit Stil, ist nun auch Agnetha auf den Fersen.
Soundtrack: Abba („Money, Money, Money”, „Dancing Queen”, „Take A Chance On Me”, „Knowing Me, Knowing You”, „Mamma Mia“, „Waterloo”, „The Winner Takes It All“), The Doors („This Is The End”)
Foto: NDR / Boris Laewen
Dass die Rahmenhandlung ebenso gut das Zeug zum Thriller hätte, macht einen großen Reiz der sechs Episoden aus, denn Ingo Rasper hat die Drehbücher konsequent als Comedy umgesetzt. Der Regisseur steht für eine Vielzahl meist vortrefflicher Komödien. Eine seiner letzten Arbeiten war „Sterben ist auch keine Lösung“ (2023) mit Walter Sittler als unheilbar krankem Rentner, der sein Ableben mit Hilfe einer Schwarzen Witwe (Sawatzki) beschleunigen will. Diese Art Humor prägt auch „Reisen mit Muddi“, selbst wenn die Serie vordergründig ein Fest für Abba-Fans ist: Naima war ein glühender Fan der schwedischen Topstars (daher Agnetha); jede Folge trägt den Titel eines ihrer vielen Welthits. Mitunter wird es allerdings recht makaber: Ein Hospiz heißt „This is the end“, und das Finale auf dem Friedhof, als selbstredend jemand anders in dem für die Mutter bestimmten Grab landet, ist für eine heitere Serie ziemlich brutal.
Weil der Weg nicht nur Richtung Ostfriesland führt, sondern auch in die Vergangenheit, begegnet Agnetha immer wieder ihrem jungen Alter Ego. In tiefes Orange getauchte grobkörnige Rückblenden liefern die Erklärung für den Zwist zwischen Mutter und Tochter: Naima war einst Mitglied der Bhagwan-Sekte; das Mädchen war ein Gruppensex-Ergebnis. Die Mutter konnte mit dem Kind nichts anfangen und hat es in die Obhut einer Freundin (Adriana Altaras) gegeben. Deren Gärtnerei liegt ebenfalls auf der Route, doch die erste Station ist ein Bauernhof mit üppiger Hanf- und Pilzplantage. Hier wird der Sarg, in dem neben der Urne noch viel Platz ist, mit jener Ware gefüllt, in deren Genuss auch Agnetha einige Male und nicht immer freiwillig kommt.
Buch und Regie würzen die Geschichte mit diversen witzigen Missgeschicken, die Dialoge sind ohnehin amüsant, die flotte Musik (Paul Eisenach) sorgt für Tempo, und Episodengäste wie Bettina Stucky und David Bredin ergänzen die Handlung um jeweils eigene Humorfarben. Sehr sympathisch sind auch die visuellen Effekte: Die Titel der jeweils 25 Minuten kurzen Folgen sind in die Landschaft integriert, und eine über die Bilder gelegte handgezeichnete Karte verfolgt den Weg, den der Leichenwagen und sein Verfolger nehmen. Angesichts des sehr vergnüglichen Gesamteindrucks ist es auch nicht weiter schlimm, dass sich ausgerechnet das Finale etwas zieht.
Foto: NDR / Boris Laewen