Ungläubig starren Margot Spindler (Barbara Auer) und ihr Mann Paul (Joachim Król) am Ende des zweiten Teils von „Preis der Freiheit“ auf die Mattscheibe. Das Fernsehen zeigt, wie die Menschen nach der Öffnung der Grenze am 9. November 1989 die Berliner Mauer erklommen haben. Aus dem Off ist die Erzählerstimme von Markus Welsch (Jonathan Berlin) zu hören: „Und während sich plötzlich Tausende in den Armen lagen, war’s für uns der Untergang.“ Der Kommentar ist eigentlich überflüssig, denn dieses Empfinden steht Margot deutlich ins Gesicht geschrieben. Sie ist die rechte Hand von Alexander Schalck-Golodkowski, der hier – wie sollte es anders sein – von Thomas Thieme gespielt wird. Allerdings hat Thieme nur relativ wenige Auftritte: Der illustre DDR-Devisenbeschaffer Schalck geistert als meist unsichtbares Genie, das all seine Geschäfte und sein weit verzweigtes Firmen-Imperium im Kopf hat und sich nur mit den nötigsten Anweisungen einmischt, durch die 300 TV-Minuten. Schalck leitete die geheime „Kommerzielle Koordinierung“ (KoKo) im DDR-Ministerium für Außenhandel, deren ungeheuerliche Geschichte hier in den Mittelpunkt rückt. Das unterscheidet den historischen ZDF-Dreiteiler bei allen Ähnlichkeiten doch deutlich von anderen Produktionen, auch wenn in „Deutschland 86“ der Waffenhandel der DDR und in „Weißensee“ das Beiseiteschaffen des Vermögens der herrschenden DDR-Eliten nach der Wende ebenfalls Thema waren.
Zeitgeschichte aus der Perspektive starker Frauenfiguren
Dicke Geldbündel in Tüten, Goldbarren, die palettenweise in Lkws geladen werden – die DDR pleite? Sieht nicht so aus. Der Dreiteiler beginnt mit hektischem Betrieb in der KoKo. Am 8. Dezember 1989 fürchtet die geheime Abteilung um ihre „Rücklagen“, denn Demonstranten rücken an. Markus wird als „Ablenkungsmanöver“ mit einem Koffer zum Haupteingang geschickt und fängt sich dort einen Kinnhaken ein, während im Inneren die Flucht organisiert wird. Margot will sich mit ihrem Auto dünne machen, wird aber von Demonstranten umringt und aus dem Wagen gezerrt. Die ranghohe Genossin befreit sich mit Hilfe einer Pistole, zielt auf die Menge – und damit auch auf ihre Schwester Lotte Bohla (Nadja Uhl), die auf der anderen Seite steht, womit schon mal die erste Front im Familien-Drama geklärt wäre. Wie die Sache ausgeht, erfährt man nach dem zweiten Drittel des dritten Teils, denn nun führen Drehbuch und Regie das Publikum erst einmal ins Jahr 1987 zurück. Der junge Markus, ein hoffnungsvoller Hochschulabsolvent, dessen Stimme aus dem Off die Handlung immer mal wieder aus rückblickender Perspektive einordnet, tritt seinen Dienst bei der KoKo an – und Else feiert Geburtstag. Else (beängstigend streng: Angela Winkler) ist die Matriarchin und störrische Stalinistin in dem Familiendrama, das sich – noch ein wesentlicher Unterschied zu anderen Produktionen – aus der Perspektive starker Frauenfiguren entwickelt.
Die dritte Schwester macht im Westen Karriere
Eine Geburtstagsrunde ist natürlich perfekt, um die Sippe vorzustellen und einen ersten Einblick in die Konflikte zu geben. Margot ist Elses Vorzeigetochter: „Du bist immer genau da, wo man dich braucht“, sagt die alte Dame, die manchmal jedoch ganz undamenhaft aus der Haut fährt und sehr böse sein kann, was dem Finale eine originelle Pointe beschert. Lotte – Else wird später sagen: „Du bist viel zu weich“ – führt einen kleinen Buchladen, ist mit Umwelt-Aktivist Jörg (Steve Windolf) befreundet und sorgt für ihren pubertierenden Sohn Ingo (Michelangelo Fortuzzi). Silvia, die dritte Tochter, ist tot. Jedenfalls hat man dies ihren beiden Kindern Christa (Janina Fautz) und Roland (Aaron Hilmer) erzählt. Sie wurden von Margot und dem gutmütigen Paul, Leiter des VEB Kühlautomat, groß gezogen. Als Roland aufsteht und „auf Mutti“ anstoßen will („Morgen wäre auch ihr Geburtstag“), kommt es zum Streit. Silvia ist ein Reizthema. Und wie sich schon bald herausstellen wird, lebt sie im Westen, heißt jetzt Ina Winter (Nicolette Krebitz) und macht gerade als hohe Beamtin im Ministerium für innerdeutsche Beziehungen Karriere. So darf sie neuerdings auch über den Preis für den Freikauf von Häftlingen und Ausreise-Antragstellern aus der DDR verhandeln. Ihr Gegenüber ist Margots engster Mitarbeiter Ilja Schneider (Oliver Masucci), ein geschmeidiger Wanderer zwischen den Welten. Margots Gegenspieler auf DDR-Seite ist Stasi-Offizier Norbert Krimling (Godehard Giese), denn dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) sind das Eigenleben der KoKo und die Geschäfte mit dem Westen suspekt. Die – ähnlich wie in „Weißensee“ – beinahe durchweg starken Figuren lassen trotz eines zum Teil schwer nachvollziehbaren Ränkespiels keine Langeweile und keinen Leerlauf aufkommen.
Mutter-Sohn-Drama zwischen Umwelt-Aktivisten und Neonazis
Natürlich auch dank eines erlesenen Ensembles, allen voran Barbara Auer (die schon vor 24 Jahren in Frank Beyers Erich-Loest-Verfilmung „Nicolaikirche“ eine Hauptrolle spielte) und Nicolette Krebitz. Deren vielschichtige Darstellung der beiden Schwestern, die sich fremd geworden sind, die sich nun als politische Akteure im geteilten Land gegenüberstehen und gleichzeitig mit der innerfamiliären Teilung umgehen müssen, lässt mühelos vergessen, dass diese Konstellation doch etwas an den Drehbuch-Haaren herbei gezogen ist. Nadja Uhl als Dritte im Bunde der ungleichen Schwestern gibt in einem eigenständigen Handlungsstrang die Normalbürgerin, die sich nicht mehr abfinden will mit den Verhältnissen. Lotte mischt in Jörgs Umweltgruppe mit, der im zweiten Teil ein schöner Coup gelingt, aber das Innenleben der DDR-Opposition bleibt eher blass und im erwartbaren Rahmen. Interessanter ist Lottes Figur in ihrer Rolle als alleinerziehende Mutter, denn ihr Sohn Ingo gerät nach einer Verhaftung im Gefängnis in Kontakt mit Neonazis. In einer beklemmenden, symbolisch aufgeladenen Szene mit Gegenwartsbezug marschieren die Faschos mit „Sieg Heil“-Gebrüll in eine Kirche, in der die Oppositionellen ausgelassen tanzen. Ein mächtiges Kreuz prangt in der Bildmitte, und das Licht flutet durch die großen Fenster, aber auch die Kirche bietet keinen Schutz – und wieder ist es am Ende des ersten Teils Nadja Uhl, die wie zu Beginn bei der Konfrontation mit Lottes linientreuer Schwester fassungslos und stumm auf den prügelnden Ingo blickt.
„Neben den glückhaften Momenten der friedlichen Revolution legen wir den Finger in noch offene Wunden und zeigen die tiefen emotionalen, wirtschaftlichen und ideologischen Gräben, die einer wirklichen Annäherung zwischen Ost und West immer noch entgegenstehen. Wir zeigen den Verfall korrupter Eliten, die nie belangt wurden, weil sie den Westen mit ihrem Wissen erpressen konnten, und zeigen: Mit der Wende kamen nicht nur Freiheit, Demokratie und der Rechtsstaat, es kam mit dem Run auf die D-Mark auch die Zeit entgrenzter Märkte und kapitalistischer Gier, die die Hoffnung vieler auf Reformen unter sich begrub.“ (Gabriela Sperl, Produzentin)
Mut zur Lücke, das Sich-Abwenden der Jugend, viel Gold und Liebe nur nebenbei
Auffällig ist, dass Drehbuch und Regie Mut zur Lücke zeigen und, statt möglichst viele Details zu erklären, die Zuschauer zum Mitdenken (und Mitfühlen) herausfordern. Manche Frage bleibt offen: Warum ist Lotte alleinerziehend? Warum ging Silvia in den Westen? Blieb ihr nichts Anderes übrig, als die Kinder zurück zu lassen? Auch andere Motive werden meist nur unterschwellig „angespielt“, bleiben aber bis zum Schluss wichtig: Wie ist es wirklich um die Ehe von Margot und Paul bestellt? Woher kommt Elses Härte? Lotte und Ingo, Margot und Krimling, Ina und Ilja – die Handlung von „Preis der Freiheit“ wird gewissermaßen pärchenweise vorangetrieben und sorgt dabei für erhebliche Temperaturschwankungen. Sehr warmherzig wird etwa die Geschwisterliebe der beiden vermeintlichen Waisenkinder Christa und Roland erzählt. Christa ist gerade in die Partei eingetreten und hat sich mit den Verhältnissen arrangiert, Roland vermisst seine Mutter und wird von einem Freund zum Fluchtversuch animiert. Die Träume und das Sich-Abwenden der jungen Generation spielen hier ebenfalls eine bedeutende Rolle. Man kann darin leicht Parallelen zur Gegenwart mit den Klima-Protesten entdecken. Und die Liebe? Noch im ersten Teil lernen sich Markus und Christa, die beide an ihren Arbeitsplätzen die „Mädchen für alles“ sind, kennen. Auf Romantik setzt der Dreiteiler allerdings nur nebenbei, auf Sex ganz und gar nicht. Zwar sieht man Margot und Ilja zu Beginn im Büro in eindeutiger Pose, die aber wohl vor allem die Funktion hat, die Machtverhältnisse – der Mann kniet vor der Frau – zu veranschaulichen. In der Folge spielt die Affäre nur latent eine Rolle. Iljas aufdringliches Macho-Gehabe wiederum wirkt bisweilen bedrohlich, lässt Ina aber kalt. Die weiblichen Figuren sind und bleiben starke, eigenständige Persönlichkeiten, auch die Bar-Chefin in West-Berlin, die von Florence Kasumba in knappem Outfit gespielt wird. Da spielt auch Farbsymbolik eine Rolle: Der goldene Glitzerfummel, den sie beim ersten Auftritt trägt, passt bestens zur Story, zu den gehorteten Goldbarren bei der Koko und zum goldfarbenen Mercedes, mit dem der Ost-Anwalt die freigekauften DDR-Bürger ins Aufnahmelager Gießen begleitet. Im Club treffen sich die Geheimdienstler und Unterhändler aus West und Ost auch mit den Chefs der westlichen Firmen, um die geheimen Geschäfte anzubahnen.
Machtspiele hinter den Kulissen und wirtschaftspolitische Hintergründe
Das fiktionale Familiendrama wird mit realen historischen Ereignissen verwoben, etwa mit dem Rockkonzert vor dem Reichstag an Pfingsten 1987, mit dem in den Westen geschmuggelten Film „Bitteres aus Bitterfeld“ und auch mit dem ersten FCKW-freien Kühlschrank, den eine DDR-Firma gemeinsam mit Greenpeace auf den Markt brachte (freilich erst 1993). Neben Schalck-Golodkowski sind als reale Figuren noch Günter Mittag (Ralf Dittrich), ZK-Sekretär für Wirtschaftsfragen, und Gerhard Schürer (Milan Peschel), Vorsitzender der Planungskommission beim Ministerrat der DDR, dabei. Die erste Reihe – Honecker, Krenz, Mielke, auch Kohl – sind allenfalls in einigen sparsam eingesetzten O-Tönen und Archivschnipseln zu sehen oder hören. Vielmehr erzählt der Dreiteiler die Wendezeit über die Machtspiele hinter den Kulissen und widmet sich viel detaillierter als andere Produktionen den wirtschaftspolitischen Hintergründen. Stark auch, wie das zynische Spiel auf beiden Seiten entlarvt wird. Um Devisen zu erhalten, entsorgte die DDR den Giftmüll des Westens, dem die Folgen für die Menschen „drüben“ eher egal waren. Auch liegt nahe zu vermuten, dass Menschen in der DDR schon deshalb verhaftet wurden, um sie an die BRD verkaufen zu können. Ina findet Iljas Preistreiberei „würdelos“, aber Margot kann auch mit einigem Recht behaupten: „Ihr liebt uns doch eingesperrt – als Billiglohnland.“
Der historische Mehrteiler verzichtet auf die übliche Einheits-Jubelpose
Einen nachhaltigen Eindruck hinterlässt außerdem mal wieder Fabian Hinrichs, der als Abteilungsleiter im Bonner Finanzministerium sehr überzeugend die „Stradivari unter den Arschgeigen“ gibt, wie seine Figur Hartmann über sich selbst sagt. Dieser Hartmann verkörpert in manchmal etwas plakativen Dialogen die westdeutsche Strategie der „Übernahme“ der DDR, um eine schnelle Vereinigung beider Staaten zu sichern. Ina warnt, und da klingen dann sehr offenkundig die Erfahrungen der vergangenen 30 Jahre an: „Das würde den Menschen doch den Boden unter den Füßen wegziehen.“ Jedenfalls kann man diesem historischen Mehrteiler, produziert unter anderem von der in diesem Genre erfahrenen Gabriela Sperl („Mitten in Deutschland: NSU“, „Tannbach“), nicht vorwerfen, den 30. Jahrestag des Mauerfalls in purer Jubelpose zu begehen. Eher schon halten sich die Macher an einen Satz des hier des öfteren zitierten römischen Historikers Tacitus: „Machtgelüste sind die entsetzlichsten aller Leidenschaften.“ (Text-Stand: 13.10.2019)