Henry Hübchen, der Neue in Schwerin, kommt heute mit einem Paukenschlag. Nicht dass er laut einfallen würde in das so friedlich scheinende Mecklenburg-Vorpommern, vielmehr ist sein Einstieg in die ARD-Reihe ein bemerkenswerter Einstand auf ästhetisch hohem Niveau. “Verloren” ist ein stiller, nachdenklich machender “Polizeiruf 110”. Ein Ausnahmekrimi.
Einsamkeit in all ihren Varianten. Da treibt ein Boot mit Leiche, feierlich aufgebahrt zwischen Blumen und Gemüse, herrenlos durchs Wasser. Und da ergreift ein Mädchen die Flucht vor ihren Eltern, weil die sich nichts mehr zu sagen haben und sie sich ungeliebt vorkommt. Die Spuren beider “Fälle” laufen auf dem Hof eines kauzigen Einsiedlers zusammen. Und schließlich ist da Tobias Törner, der Ex-Großstadtbulle, der Berlin bewusst den Rücken kehrt. “Er mag nicht mehr in die Abgründe menschlichen Grauens blicken, er hat Angst, dadurch zerstört zu werden”, so die Autorin Beate Langmaack. Dieser Mann will in der Abgeschiedenheit wieder zu sich kommen. Doch zunächst ist er einfach nur allein.
Foto: NDR / Domonkos
“Verloren” ist für Hübchen, der sein “Polizeiruf”-Engagement mit professioneller Abgeklärtheit angeht, “ein Film über die Einsamkeit von Menschen in dieser so überkommunikativen Welt”. Beate Langmaack schrieb die ideale Vorlage für Andreas Kleinert, der sich mit existenziellen Stoffen (“Mein Vater”) und Depri-Dramen (“Wege in die Nacht”) als zweiter Ost-Regisseur von Rang neben Andreas Kleinert einen Namen gemacht hat. Unter seiner Regie wird aus einem kreativ verhinderten Krimi ein atmosphärischer, bildgewaltiger Fernsehfilm, der sich eingräbt ins Gedächtnis des Zuschauers. Nur auf diese Weise, ist Kleinert sich sicher, werde der bereits zu DDR-Zeiten mehr an menschlichen Entwicklungen statt an der Fall-Aufklärung interessierte “Polizeiruf 110” in der “nahezu bedrohlichen Krimi-Schwemme” bestehen. Und aus dem neuen Kommissar wollte er weder einen Leisetreter noch einen zweiten Schimanski machen – wenngleich er den Neuen schon reichlich fluchen lässt und ihm neben dem Dreitagebart noch mehr Verlebtes und zugleich Desillusioniertes mit auf den Weg gibt. T.T. ist gebrochen, sensibel und doch ein ganzer Kerl, und er weiß um das Grauen in der Welt.
Ein Krimi ohne Mord. Dafür mit moralisch-philosophischem Tiefgang. Das Andersartige (großartig verkörpert von Martin Lüttge), das Kranke muss nicht böse sein. Gefahr droht manchmal an ganz anderen, viel aufgeräumteren Ecken des Alltags. “Verloren” ist ein filmisches Poem über die Einsamkeit. Stets bringt Kleinert die Geschichte auf ein Bild: wenn er Hübchen alias Törner in einer Landdisco zu Techno-Beat und Laserstrahlen hüpfen und zucken lässt, dann bringt er die Seelenlage seines Helden auf den Punkt. Außer Uwe Steimles Hinrichs geht es fast allen Protagonisten so in diesem “Polizeiruf”. Dennoch – der Film mischt seine eher nachdenkliche Tonlage mit allerhand Humorigem auf. Wenn beispielsweise Hinrichs so vor sich hin sinniert: “Mord wäre schön, wir haben hier selten mal was Richtiges.”