„Outside the box“ denken heißt ausgetretene Pfade verlassen, ungewöhnliche Lösungen ersinnen. Das ist auch bitter nötig, als ein Assessment-Center der etwas speziellen Art komplett aus dem Ruder läuft. Bei dieser Art Stresstest werden die Teilnehmer, beispielsweise Bewerber für einen begehrten Job, in Form von Rollenspielen mit Extremsituationen konfrontiert; „Survival of the fittest“, nur die Stärksten kommen durch. Das ist auch das Ziel eines Camps in Südtirol, an dem vier junge Mitarbeiter einer Unternehmensberatung teilnehmen. Unter Anleitung eines Drill Sergeants sollen sie in Übungen Teamgeist, Willensstärke und Durchsetzungsfähigkeit beweisen. Teil des abgekarteten Spiels ist auch eine Geiselnahme, die allerdings einen anderen Verlauf nimmt als erwartet: Das eigens zu diesem Zweck engagierte italienische Schauspielerpärchen macht ernst, die Munition in den Gewehren ist echt. Die beiden wollen eine Million Euro, und die Strippenzieher der Veranstaltung haben ein gewaltiges Problem: Die Veranstaltung sollte das schwächelnde Unternehmen wieder nach vorn bringen. Damit eine Handvoll ausgewählter Journalisten live verfolgen kann, wie das Quartett die Herausforderungen bewältigt, sind auf dem Gelände und an der Kleidung der Teilnehmer Kameras angebracht. Verzweifelt versuchen der Personalchef & die PR-Managerin, die Gäste in dem Glauben zu lassen, alles verlaufe weiterhin nach Plan.
Das ZDF zeigt „Outside the Box“ von Philip Koch im Rahmen seiner Reihe „Shooting Stars – Junges Kino im Zweiten“ und daher erst um 23.15 Uhr, was ausgesprochen schade ist; das satirische Drama würde vermutlich auch als „Fernsehfilm der Woche“ montags um 20.15 Uhr funktionieren. Schon allein die Besetzung ist regelrecht verschwenderisch: Samuel Finzi (Personalchef) und Lavinia Wilson (PR-Frau) spielen die Drahtzieher, Hanns Zischler verkörpert den skrupellosen Firmenbesitzer Bickstein; in kleinen Rollen wirken zudem Frederick Lau als Techniker und Kida Khodr Ramadan als Bicksteins Mädchen für alles mit. Das zentrale Quartett ist mit Vicky Krieps, Volker Bruch, Stefan Konarske und Sascha Alexander Geršak nicht ganz so prominent, aber ebenfalls interessant besetzt. Die Luxemburgerin Krieps zum Beispiel ist hierzulande durch ihre Titelrolle als Fliegerin in dem ZDF-Film über „Elly Beinhart“ bekannt geworden und dreht mittlerweile auch in Hollywood („Der seidene Faden“), Konarske war von 2012 bis 2017 Teil des Dortmunder „Tatort“-Teams, und Volker Bruch, Hauptdarsteller der ARD/Sky-Serie „Babylon Berlin“, hat sich vor einigen Jahren mit dem Kriegsmehrteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“ in der ersten Liga etabliert. Er spielt als scheinbar schwächstes Glied der Viererkette die zentrale Rolle: Frederick, seit drei Jahren in der Firma, aber immer noch der „Junior“, wird schon bei der ersten Aufgabe – ein Boot hat nur Platz für drei Passagiere – unbarmherzig von den anderen aussortiert, was ihn quasi automatisch zum Sympathieträger macht. Niemand weiß, dass er Bicksteins Sohn ist.
Die Konstellation erinnert in gewisser Weise an Kochs Debüt, „Picco“ (2011), ein grausamer Gefängnisfilm, in dem ein junger Häftling (Constantin von Jascheroff) nur eine Wahl hat: Wenn er von den Mitgefangenen nicht als Opfer betrachtet werden will, muss er zum Täter werden. „Outside the Box“ erzählt zwar eine ganz andere Geschichte, aber auch hier überlebt nur der Stärkere. Darauf stimmt schon der Prolog mit seinen Impressionen aus der Waldtierwelt ein. Er endet mit einem kleinen Schockmoment, als der Bus mit den vier Teilnehmern eine Kröte überfährt; wenn das ein Spezialeffekt war, ist er perfekt gelungen.
Foto: ZDF / Walker&Worm
Kritiken zum Kinostart:
Was der deutsche Film leisten könnte, wenn er nur wollte, zeigt dieser mit viel Sinn für schwarze Situationskomik angerichtete Actionthriller mit allem, was man am amerikanischen Mitbewerber so schätzt, aber auch einer gesunden Portion Gesellschaftssatire. Geboten ist eine zünftige Menschenjagd, deren besonderer Reiz hier nicht im Vergießen von Blut (obwohl es auch das gibt), sondern in der ironischen Brechung liegt (Opfer halten Täter für Mitarbeiter einer Real-Life-Show). Kann man als Genrefreund gut gucken. (Blickpunkt:Film)Farce über das auf größtmögliche Verwertbarkeit des „Humankapitals“ gerichtete Gebaren der neoliberalen Arbeitswelt, deren Sprache und blinde Leistungsgläubigkeit. Ein spielfreudiges Ensemble und der groteske Fortgang der Handlung sorgen für ebenso witzige wie dramatische Momente. Im letzten Drittel rutscht die Satire in Klamauk ab, was ihr einiges an Schwung nimmt. (Filmdienst)
Knapp 90 Minuten später schließt Koch den Kreis mit einem lakonischen Epilog, als es einem zwischenzeitlich von Frederick geretteten Entenküken an den Kragen geht. Während dieser Schlusspunkt zur makabren Haltung des Films passt, wirkt ein anderer Moment grotesk und deplatziert: Als Bickstein die Wahrheit über die Ereignisse im Camp erfährt, zerquetscht er wütend sein unschuldiges Schoßhündchen. Sohn Frederick dagegen wächst als Filmheld über sich hinaus: Er kann fliehen, findet eine Waffe und dreht den Spieß um. Aber dann entgleitet ihm die Situation, und er kehrt an den Ausgangspunkt zurück. Es wiederholt sich der Moment der Auslese, doch diesmal ist es keine Übung: Die Entführer wollen ein Zeichen setzen; die Geiseln müssen untereinander ausmachen, wer erschossen werden soll. In der Konfrontation mit dem drohenden Tod ist kein Platz mehr für Spielchen, nun lassen die bis dahin überheblichen Teilnehmer die Maske fallen und beginnen, sich gegenseitig zu zerfleischen.
Soundtrack: Son of Dave („Shake a Bone“), Los Zafiros („He Venido”), Apollo Sunshine („We are Born when We Die”), Ernst Reijseger with Mola Sylla & Serigne C.M. Gueye („Jangelma”)
Ausgerechnet bei dieser dialogreichen Auseinandersetzung, immerhin eine Art Schlüssel-Szene, agieren nicht alle Darsteller souverän, aber das bleibt die einzige Ausnahme. Ansonsten ist „Outside the Box“ eine bissige Abrechnung mit einer Berufsgruppe, die sich ohne Anglizismen gar nicht mehr verständigen könnte; Koch, der das Drehbuch gemeinsam mit Anna Katrin Schneider geschrieben hat, brauchte nicht mal zu übertreiben, um diesen typischen Jargon zu karikieren. Ungleich grimmiger ist allerdings die Zeichnung der Figuren im Hintergrund. Gerade mit PR-Frau Vanessa treibt der Film ein perfides Spiel: Um gegenüber den Journalisten den Schein zu wahren, muss sie ihren Chef um die geforderte Million erleichtern und dafür gleich zweimal erotisches Interesse heucheln. Dafür genügt Koch eine kurze Einstellung: hinten der Chef, strahlend wie ein Honigkuchenpferd, vorn die alles andere als glücklich dreinschauende Vanessa. Die Musik ist ziemlich cool, und zum Glück hat Koch darauf verzichtet, die Geschichte allzu sehr im Stil von „Found Footage“-Filmen wie „Blair Witch Project“ (1999) oder „Paranormal Activity“ (2007) mit dem Material aus den Überwachungskameras zu erzählen. Trotzdem hat der Film aus der Redaktion des Kleinen Fernsehspiels bei der Kinoauswertung 2016 kaum Zuschauer gefunden. (Text-Stand: 2018)