„Hoabn’s Abitur?“, fragt der Chef im Reisebüro. „Net so recht.“ Selbst für die Mittlere Reife hat es bei Tscharlie, dem Vorstadtstrizzi, nicht gereicht. Er spricht von „Dreiviertelreife“. Wie’s halt so ist bei einem, der nichts gelernt hat, aber begeisterungsfähig ist, sich nicht entmutigen lässt und endlich auch mal jemand sein will. Als Cowboy nach Sacramento zu reiten – das wäre das Größte für ihn. „Logisch!“ Dass daraus nichts wird, ja, dass nicht eine einzige „Riesensach“ von Dauer ist bei Tscharlie – auch das ist logisch. Denn jener Karl Häusler, so um die 30, lebt noch bei seiner Großmutter – und lässt sich von ihr aushalten. Er versucht sich als Reisebüromitarbeiter, als Musikagent, als Antiquitätenhändler, er verkauft Autos, übernimmt die Sanierungsmethoden der „Ausbeuter“, er entwickelt ein todsicheres System für Pferdewetten und eröffnet die ebenso „todsicher rentable“ Boutique „Tscharlies Tschiens“. Weil jeder Misserfolg Tscharlies zugleich auch Freiheit bedeutet, empfindet der Lebenskünstler aus München Lehel sein Scheitern aber nie wirklich als tragisch.
Foto: BR / Intertel Television
„Münchner Geschichten“ ist die erste Serie von Helmut Dietl („Kir Royal“). Eine Vorabendserie über die kleinen Leute aus der Münchner Vorstadt und ihre Träume vom Glück. Für Günther Maria Halmer war diese Serie Segen und Fluch zugleich: sein Tscharlie machte den Schauspieler im Fernsehen der (nur!) zwei Vollprogramme rasch populär, dafür kam er nur schwer vom Rollen-Typus Hallodri los. Die Vorabendserie brachte es zwar nur auf eine Neun-Folgen-Staffel, doch diese wurde innerhalb von zehn Jahren fünf Mal wiederholt. Auch in den letzten Jahren konnte man die Serie immer mal wieder im BR sehen und ein Wiedersehen feiern mit legendären Schauspielern: der großen Therese Giehse in der zweiten Hauptrolle als eigenwilliger Großmutter, die das Leben zu nehmen weiß, und einzigartigen bayerischen Urgesteinen wie Hans Brenner, Ruth Drexel, Herbert Fux oder Gustl Bayrhammer. Für nostalgische Aha-Erlebnisse sorgen auch Zeitgeist-Gesichter wie Ingrid Steeger, Monika Lundi oder Towje W. Kleiner. Außer Halmer gehört nur noch Michaela May zu den noch lebenden Darstellern, die den Sprung ins Seniorenfach erfolgreich geschafft haben. Der Dialekt kommt wunderbar zum Einsatz. „Münchner Geschichten“ ist kein „Komödienstadel“, die Sprache, dieser Spiegel von Mensch und Milieu, funktioniert in der Serie ähnlich wie bei einem Besuch in München. Schön auch, wie die Politik jener Jahre, insbesondere der Altstadtsanierungsboom, der das Kleine-Leute-München nach und nach zerstört, sich beiläufig durch die meisten Geschichten zieht. Auch die Häuslers trifft der Modernisierungsschub: ade Fünf-Zimmer-Wohnung! Die Großmutter geht ins Altersheim und Tscharlie nimmt sich ein Ein-Zimmer-Appartement im angesagten Schwabing.
Foto: BR / Intertel Television
„Münchner Geschichten“ entstand 1974. Entsprechend muss man sich selbst als film-, fernseh- und zeitgeistinteressierter Zuschauer „einsehen“ in diese Serie mit ihrem episodischen, undramatischen, szenischen Erzählstil, der geprägt ist von relativ langen, totalen Einstellungen und einer am Realitätsgehalt der Situation orientierten, für heutige Verhältnisse wenig mitreißenden Filmsprache. Man spürt aber ohnehin recht schnell, dass der Charme dieser frühen Dietl-Serie aus den Charakteren kommt – insbesondere Halmers Tscharlie, der als Vorläufer vom „Monaco Franze“ zu sehen ist. Denn irgendwas geht immer, weiß er – und gibt seinem Spezl Gustl Nachhilfe im Frauen aufreißen. Am besten probiert man’s gleich am Vormittag: „Wenn die Männer bei der Arbeit sind, dann haben die Hausfrauen sozusagen ihre romantische Stunde… Da san s’ wie entfesselt.“ (Text-Stand: 4.7.2012)