München im Ausnahmezustand. Das Oktoberfest zieht alle in seinen Bann. Fast alle. Ludwig Schaller (Alexander Held) verabscheut dieses aufgebrezelte Gewese. Der Wiesn zugeneigter ist dagegen sein Chef Zangel (Christoph Süß); und der zeigt sich ganz besonders seiner verheirateten Nachbarin (Bernadette Schnabel) zugetan. Doch der Mord an Josef Kleint (Nikolaus Paryla), der auch im Haus wohnt, stört das geplante Schäferstündchen. Der vereinsamte alte Mann, früher Hausmeister an der Musikhochschule, hatte kurz zuvor noch Besuch von Uli Schmidbauer (Martin Feifel), seinem Nachfolger und „Freund“. Der wollte mit Kleint offenbar nicht nur Oktoberfest in dessen vier Wänden feiern, sondern der schwer verschuldete Mann interessierte sich für etwas, was an der Wand des Rentners hängt bzw. hing: ein offenbar echter Paul Klee – „Stuhl im Aufbruch“, obwohl eigentlich „entartet“, ein Stück tiefbraune Beutekunst. In den Kellern der geschichtsträchtigen Musikhochschule scheint es noch mehr solcher Schätze zu geben. Es ist Schaller, der mal wieder den richtigen Riecher hat. Die Intuition von Angelika Flierl (Bernadette Heerwagen) lässt hingegen zu wünschen übrig, und Harald Neuhauser (Marcus Mittermeier) hat nach einem Riesen-Wiesn-Filmriss genügend eigene Probleme. Und so bringen deren uninspirierte Befragungen des Leiters der Musikhochschule Michael Knöpfle (Anian Zollner), seiner bevorzugten Studentin Stella Bast (Judith Neumann) und dem Versicherungsexperten für Kunstgegenstände Zillenbrook (Jan Messutat) wenig Erkenntnisse. Schaller hat schon mehr Glück: Er nimmt sich die bärbeißige Schwester des Toten (Elisabeth Orth) vor. Die flüstert ihm was – und kippt selig vom Stuhl.
Foto: ZDF / Jürgen Olczyk
Auch die siebte „München-Mord“-Episode ist ein launiger, flüssig erzählter und entsprechend sehr kurzweiliger Krimi, der immer ein Augenzwinkern für den Zuschauer parat hält und nonchalant wie „Harry“ Neuhauser daherzukommen scheint. Einmal mehr spiegelt sich die Tonlage dieser Premium-Samstagskrimi-Reihe im ZDF wunderbar im Filmtitel, den man sicherlich nicht so schnell vergessen wird: „Die ganze Stadt ein Depp“. Die für die Reihe so typische beiläufige, nie übertriebene Ironie ist aber schwere Arbeit, wenn der Krimi noch Krimi bleiben soll. Und so ziehen die drei Außenseiter-Kommissare diesmal „gefühlt“ ein kleines Bisschen zurück in Sachen Schräglage (nur Schaller darf seinen liebeshungrigen Chef und dessen Nachbarin in den Kellern des Führerbunkers als Hitler und Eva Braun turteln „sehen“), während Zangel und sein begnadet komischer Darsteller, der Kabarettist Christoph Süß, dem Affen etwas mehr Zucker geben darf. Er bekommt sogar den markanten Einstieg, in dem er einige bayerische – geradezu valentinesken – Lebensweisheiten zum Besten gibt: „Während der Wiesn ist der Münchner genau so, wie er immer gern wäre, wenn er sich nur trauen tät … Aber man muss sich auch trauen wollen.“ Wiederum gelingt es den Machern – dieses Mal sind für die Krimi-Gaudi das Autorenduo Matthias Kiefersauer/Alexander Liegl und der Österreicher Sascha Bigler (Regie) verantwortlich – kaum Witze auf Kosten seines Trios zu machen, wie es beispielsweise viel zu häufig im „Tatort“ Münster der Fall ist. Trotz Komik, die ja immer ein Stück weit auch Distanz bedeutet, bleiben Schaller & Co liebenswert. Selbst wenn das Oktoberfest-like im Dirndl gewandete „Fräulein“ Flierl über ihre weibliche Unsichtbarkeit klagt und ihr Versuch, einen Wiesn-Tisch im Festzelt zu bekommen, lächerlich anmutet – so hat man doch stets ein bisschen Mitleid mit dieser Frau, der das Schicksal einer mittelalten Jungfer zu drohen scheint. Und dann noch dieser attraktive Kollege, der alle Frauen bekommt, täglich an ihrer Seite. Gerade zur Wiesn-Zeit weckt das Begehrlichkeiten. „Du hast mich doch auch mal geküsst – mach ich da irgendetwas falsch – grundsätzlich?“
Foto: ZDF / Jürgen Olczyk
Peinliche Missverständnisse in einem Krimi nicht albern oder deplatziert erscheinen zu lassen, das ist auch eine Kunst. Obwohl solche Fehlschlüsse in „Die ganze Stadt ein Depp“ länger ausgespielt werden als beispielsweise im „Tatort“ aus Weimar, wo es oft nur kleine ironischen Spitzen sind, geht in „Die ganze Stadt ein Depp“ das Spiel mit diesen komischen Accessoires auf. „Danke fürs Nageln“, liest Flierl unter einem Foto des Hausmeisternachfolgers in der Wohnung des Toten und hat hier völlig falsch kombiniert, wenn sie dachte, die beiden hätten ein Verhältnis miteinander gehabt. Mit ihrer Falschannahme veranlasst sie den mit Beutekunst handelnden Hausmeister schließlich aber zu klareren Worten: War der Tote gerade noch „der beste Ausbilder“, so ist er nun „ein ekelhafter alter Sack“. Die Komik ist in diesem Krimi also nicht nur unterhaltsamer Selbstzweck, sondern sie beeinflusst öfter auch die Handlung. Im Idealfall bedient dann auch schon mal eine Figur wie Tim Seyfis geschäftiger Hehler mit seinem bayerischen Deutsch-Amerikanisch köstlich beide Genres. Eine Marke ist auch jene feingeistige Musikstudentin, die urplötzlich zur Kampfmaschine wird, um sich aufdringliche Mannsbilder vom Leibe zu halten. Für Erheiterung ohne Krimibezug sorgt ein anderes Missverständnis. Wieder ist Flierl mit von der Partie. „Pack schon mal die Flöte aus“, sagt sie, die sich mal wieder ihrer Ukulele-Leidenschaft erinnert. Doch der blonde Flötist will kein musikalisches Vorspiel und zieht mit seiner „Flöte“ blank. In dieser ulkigen Szene gibt die Kommissarin sich selbst die Antwort auf ihre Frage „Mach ich da irgendetwas falsch?“
Die Genre-Tonlagen, die Stimmungen, das weißblaue Ambiente, der Flow der Szenen, die Charakteristik der Hauptfiguren – es passt alles bestens zusammen bei diesem unaufgeregten Samstagskrimi der schnell lieb gewonnenen ZDF-Reihe, bei dem man wie schon bei den vorangegangenen sechs Episoden zögert, ihn Kriminalkomödie zu nennen. Und obwohl der Krimiplot dieser „München-Mord“-Ausgabe eigentlich ein mehr als gewöhnlicher Whodunit und keine Episodenfigur Krimi- oder Drama-technisch besonders auffällig ist – so stimmt doch das Gesamtpaket. Zu dem gehört last but not least auch das tragende Handlungsmotiv Münchner Führerbunker. Dieser wurde von Menschen nie benutzt, dessen Luftschutzkeller diente aber als Lager für Beutekunst. Der Bunker befand sich im Keller des sogenannten „Führerbaus“; heute hat tatsächlich die Münchner Musikhochschule in diesen Gemäuern ihren Sitz. Auch solche Details sind eine stimmige historische Fußnote, die diesen Wer-war’s-Krimi verdichten, genauso wie die ironischen Wiesn-Verweise. (Text-Stand: 25.8.2018)