“Akzeptieren lernen, dass man nicht auf einer Seite stehen muss, sondern auch in einem Zustand leben kann, in dem man nicht weiß, was zutrifft.” Für Christian Görlitz ist das das Thema von “Mord im Haus des Herrn”. Ein Pastor soll seine Ehefrau ermordet haben. Seine Gemeinde kann es nicht glauben, die Öffentlichkeit indes hat längst den Schuldspruch gesprochen. Der Film selber versucht, nicht vordergründig auf Wahrheitssuche zu gehen. Görlitz plädiert sogar in diesem Fall dafür, “auf das Suchen nach der Wahrheit zu verzichten.”
Eine junge Pastorin ist vom Bischof beauftragt worden, sich für ein mögliches Disziplinar-Verfahren ein Bild des Angeklagten zu machen. Sie hält den Mann für schuldig. Doch je mehr sie erfährt bei ihren Recherchen über diesen empfindsamen Menschen und politisch engagierten Pastor, umso größer werden ihre Zweifel. Die Kirche aber lässt ihn fallen. Grund ist sein nicht vorbildlicher Lebenswandel. Seine Frauengeschichten stehen denn auch im Mittelpunkt des Prozesses – nicht der Mordfall, nicht die Suche nach stichhaltigen Indizien.
Foto: ZDF / Ines Gellrich
“Ich habe diesen Film gemacht, weil ich glaube, dass Wahrheit nicht als absolutes Gut existiert”, sagt Christian Görlitz. Die Wahrheit eines Gerichtsurteils sei eine Bestimmungsleistung der Menschen. In diesem Sinne ist “Mord im Haus des Herrn” kein justizkritischer, sondern ein philosophischer Film. Die junge Pastorin sagt am Ende, gefragt nach der Schuld des Helden, “ich weíß es nicht.” Ob das Gericht das entsprechende Urteil fällen wird, “im Zweifel für den Angeklagten”, lässt der zweifache Grimme-Preisträger, der sich in Filmen wie “Das Böse” oder “Freier Fall” schon desöfteren mit der Frage der Schuld beschäftigt hat, bewusst offen. Görlitz ist ein kluges, dicht, in Rückblenden erzähltes Kammerspiel gelungen. Der Film bricht mit den Regeln des Krimis und des Justizdramas gleichermaßen; der Regisseur bringt jedoch das Kunststück fertig, die biografische Rückschau auf den Helden mit den Gefängnisgesprächen und der Gerichtsverhandlung auf höchst fesselnde Weise zu kombinieren. Der Zuschauer wird hineingerissen in einen Strom der Blicke, der Assoziationen, der Gedanken, der Mutmaßungen und Verdächtigungen.
Ein Aufgebot an großen Namen erleichtert einem den Zugang zu diesem eher wortlastigen, düsteren Film. Selbst für kleinere Rollen konnte Görlitz Schauspieler wie Barbara Auer, Ulrike Kriener, Tina Engel und Gerd Wameling gewinnen. In der weiblichen Hauptrolle brilliert einmal mehr Julia Jäger. Das Gesicht aber, das den Film trägt und das einem in Erinnerung bleiben wird, gehört Rudolf Kowalski (“Bella Block“). Der Schauspieler, der immer gut ist, aber nie allzu auffällig, war die Idealbesetzung für Görlitz‘ offene Schuldfrage: “Er ist einer, dessen Ausstrahlung alle Möglichkeiten zulässt.” Das Schwierigste sei für ihn gewesen, “schauspielerisch keine Indizien zu liefern – weder für eine Verurteilung noch für einen Freispruch und trotzdem glaubwürdig zu bleiben”, so der Schauspieler. (Text-Stand: 2002)