Ein Mann kehrt nach einigen Jahren in der Fremde in seine brandenburgische Heimat zurück und entdeckt gemeinsam mit drei Freunden eine Marktlücke: In der spärlich besiedelten Gegend gibt es offenbar eine Menge sexuell unterforderte attraktive Frauen. Das ist die Geschichte der vor wenigen Wochen ausgestrahlten Sat-1-Komödie „Unsere Jungs – Auch Strippen will gelernt sein“, aber so beginnt auch „Milk & Honey“, nach „Club der roten Bänder“ die zweite eigenproduzierte Serie von Vox. „Unsere Jungs“ ist die Adaption eines holländischen Kinofilms, dem auch die Vox-Serie nachempfunden sein könnte; tatsächlich basiert sie jedoch auf einer Produktion des israelischen Pay-TV-Senders Yes, deren Titel übersetzt „Johnny und die Ritter von Galiläa“ lautet. Wie schon bei „Club der roten Bänder“, mit einem guten Dutzend Preisen ausgezeichnet, setzt der Sender auf eine reizvolle Mischung: hinter der Kamera erfahrene Profis wie Peter Gersina („Der Lehrer“) oder Edzard Onneken („Hotel Heidelberg“), vor der Kamera frische Gesichter. Die Serie wird Vox zwar keinen neuen Preisregen bescheren, weil den Geschichten über die Callboys im Vergleich zu den schwerkranken Protagonisten von „Club der roten Bänder“ der Themenbonus fehlt, aber die Rechnung geht auch diesmal auf: Die einzelnen Folgen sind kurzweilig, das Kern-Ensemble ist gut zusammengestellt. Das Licht erinnert mit seiner Sonnenuntergangsstimmung an den Look früherer ZDF-Vorabendserien, doch spätestens die fast betont unerotischen Sexszenen in den Folgen drei & vier verdeutlichen, dass „Milk & Honey“ kein Familienfernsehen sein soll.
Foto: RTL / Talpa / Waisburd
Blickfang sind natürlich die vier Männer, und die können sich in der Tat sehen lassen. Das gilt vor allem für den athletischen Nik Xhelilaj. Er stammt aus Tirana, ist vor Jahren als Titeldarsteller in „Der Albaner“ (2010) für den deutschen Film entdeckt und damals als „European Shooting Star“ geehrt worden, aber seine größte Rolle durfte er gleich dreimal spielen: als Winnetou in dem gleichnamigen RTL-Dreiteiler (2016). Hauptdarsteller ist jedoch Artjom Gilz. Er sieht nicht aus wie Zehnkämpfer, ist aber gut gebaut und vor allem sympathisch. Heimkehrer Johnny war eine Weile in China und muss sich nach dem Tod des Vaters um seine Teenager-Schwester Charlie (Marlene Tanczik) kümmern, denn wenn er das nicht tut, dann tut es eine Frau (Heike Jonca) vom Jugendamt. Der elterliche Hof ist allerdings völlig heruntergekommen, die Imkerei, die der Vater betrieben hat, wirft schon lange nicht mehr genug Geld ab. Arian (Xhelilaj), theoretisch für die Bienen zuständig, betreibt deshalb ein ungleich florierenderes Nebengewerbe. Johnny kommt ihm auf die Schliche, als eine attraktive Kundin ihn zur „Spezialverkostung“ nach Hause bestellt und am nächsten Morgen ein Umschlag mit 120 Euro neben dem Frühstückskaffee liegt. Umgehend setzt er Arian vor die Tür, aber als das komplette Inventar zwangsvollstreckt wird, findet er die Idee plötzlich ganz reizvoll. Er überredet seine beiden alten Freunde Kobi (Deniz Arora) und Michi (Nils Dörgeloh), mit ihm als Stripper aufzutreten. Ihr erster Job – auch das eine Parallele zu „Unsere Jungs“ – als strippende römische Legionäre beim Junggesellinnenabschied ist zwar noch etwas unbeholfen, aber die Damen sind begeistert; bis auf Andrea (Anne Weinknecht), Michis Frau, die unter den Gästen ist und nichts vom neuen Job ihres Mannes wusste.
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Das lässt sich alles gut anschauen und wäre im Grunde ähnlich wenig der Rede wert wie die sympathische, aber auch schnell wieder vergessene Sat-1-Komödie, wenn sich die Serie nicht im weiteren Verlauf wandeln würde. Die kluge Konzeption zeigt sich erst nach mehreren Folgen: Die Drehbücher setzen immer wieder neue Themen und sorgen auf diese Weise regelmäßig für übergreifende Handlungsbögen, weshalb jede Episode die Neugier auf die Fortsetzung weckt. Im Unterschied zu den Kollegen aus „Unsere Jungs“ lassen sich die Männer von „Milk & Honey“ (so heißt ihre Firma) auch anfassen. Die Kundinnen sind keineswegs nur Frauen jenes Typs, von dem einer der Männer meint, dass sie für Sex doch nicht bezahlen müssten; ähnlich wie einst Richard Gerne als „Ein Mann für gewisse Stunden“ („American Gigolo“, 1980) machen sie die Erfahrung, dass Sex auch ganz schön anstrengend sein und unangenehme Nebenwirkungen haben kann, wenn man wie Johnny unter einer Wespenallergie leidet und beim Schäferstündchen im Wald einen allergischen Schock kriegt.
Was zunächst heiter und zwanglos beginnt (und zumindest musikalisch dank der entspannten Gitarrenklänge von Dynamedion auch so bleibt), baut mit zunehmender Dauer Einiges an Konfliktpotenzial auf. Die Geschichten werden gewissermaßen erwachsener; diverse Ent- und Verwicklungen könnten sie jederzeit ins Drama umschlagen lassen. Das gibt ihnen eine reizvolle subtile Spannung: Andrea ringt sich angesichts von vielen unbezahlten Rechnungen und einem Leben im Rohbau dazu durch, ihren Michi bei Milk & Honey mitmachen zu lassen, was ihm wiederum im Gegensatz zu seinen Freunden gar nicht leicht fällt. Der rehabilitierte Arian bekommt die Scheidungspapiere seiner Frau, bangt nun um die Aufenthaltserlaubnis und muss seine Anwältin mit Sex bezahlen. Kobi hat ein bizarres Erlebnis auf nächtlicher Landstraße, als eine herbe Pick-up-Besitzerin eine Autonummer bei Vollgas will. Johnny wiederum trifft beim Date mit Kundin Sylvia auf seine Ex-Freundin (Katharina Schlothauer, „Die Protokollantin“), und natürlich funkt es wieder, aber die hat einen Neuen und erwartet ein Baby, wie sich beim „Pärchenabend“ herausstellt, denn Johnny hat Sylvia kurzerhand zu seiner Freundin erklärt. Dass Birte Hanusrichter, Titelheldin und Star der RTL-Anwaltserie „Jenny – echt gerecht“, ähnlich wie einige andere bekannte Mitwirkende eine kleine Nebenrolle übernommen hat, belegt den Stellenwert von „Milk & Honey“ (und Sylvias beschlagene Brille beim Sex die Liebe der Macher zum Detail). Nebenher hat Charlie, die sich kurzerhand zur Managerin des Quartetts erklärt hat, typische Teenagerprobleme in der Schule und verliebt sich zu allem Überfluss in Arian. Marlene Tanczik agiert in all’ diesen Facetten gleichermaßen glaubhaft und mit großer Spielfreude, avanciert mehr und mehr zum heimlichen Star der Serie und drängt sich nachdrücklich für erste Hauptrollen auf.