Das „Herzkino“ im ZDF steht für harmlose Unterhaltung, damit die Zielgruppe die Sorgen des Alltags hinter sich lassen kann; so lautet zumindest das Vorurteil. Die Sonntagsfilme sind zwar zuweilen durchaus dramatisch, aber um Politik machen die Geschichten stets einen großen Bogen. Deshalb fällt „Stürmische Zeiten“, die siebte Episode aus der Reihe „Marie fängt Feuer“, ganz erheblich aus dem Rahmen: weil es hier praktisch nur um Politik geht. Zunächst muss jedoch ein Brand gelöscht werden, schließlich ist die von Christine Eixenberger verkörperte oberbayerische Titelheldin bei der freiwilligen Feuerwehr. Die Kfz-Werkstatt des beliebten türkischstämmigen Altay (Vedat Erincin) brennt allerdings völlig ab. Weil der Betrieb finanzielle Probleme hatte, macht alsbald ein böses Gerücht die Runde: Altay soll das Feuer selbst gelegt haben. Urheber der üblen Nachrede ist ein Mitglied des Gemeinderats. Dieser Mann ist im übertragenen Sinn der wahre Brandstifter: Sepp Steiner hat angeblich ein Ohr für die Sorgen seiner Mitbürger und brüstet sich damit, auch solche Wahrheiten auszusprechen, die die Bürgermeisterin (Katharina Müller-Elmau) lieber verschweigt. Das Drehbuch von Hans Hofer lässt keinerlei Zweifel daran, dass dieser von Rainer Furch betont unsympathisch gespielte Lokalpolitiker im Gemeinderat aus gutem Grund rechtsaußen sitzt. Steiner ist mit seinen widerlichen Stammtischparolen eine durch und durch negative Figur, aber durchaus dem Leben abgeschaut; und somit natürlich ein perfekter Antagonist für Marie.
Bewertung: „Stürmische Zeiten“: 3,5 Sterne, „Lügen und Geheimnisse“: 3 Sterne
Die Heldin wiederum ist nicht minder klischeehaft und entspricht womöglich noch stärker als in den bisherigen Filmen dem Typus der Helferin mit Herz. Dabei geht es in ihrem eigenem Leben drunter und drüber: Sohn Max (Moritz Regenauer) ist sauer, weil Marie ihm verschwiegen hat, wer sein Vater ist. Philipp (Julian Looman), der von seiner Vaterschaft nichts wusste, ist extra nach Wildegg gezogen, um in der Nähe von Max sein zu können. Marie wiederum kümmert sich zwar aufopferungsvoll um Altay und seine Familie, vernachlässigt darüber jedoch ihre Beziehung mit Tischler Stefan (Stefan Murr); der Verlobte ist ohnehin eifersüchtig auf Philipp und findet Trost bei Bardame Rita (Nicole Gerdon). Das ist die übliche emotionale Gemengelage, wie sie das ZDF auch in den anderen Reihen aus Oberbayern (von „Lena Lorenz“ bis „Tonio & Julia“) oder die ARD in vergleichbaren Freitagsfilm-Produktionen („Die Eifelpraxis“, „Praxis mit Meerblick“) beherzigen: Weil sich Marie überall einmischt, bleibt fürs eigene Dasein keine Zeit mehr. Aus Autorensicht ist das ganz praktisch, denn ihr Beziehungsstatus ist auf diese Weise ständig im Unklaren.
Hans Hofer, der die letzten vier Filme der Reihe inszeniert hat, war an „Stürmische Zeiten“ jedoch nur als Drehbuchautor beteiligt war, bettet die verschiedenen Erzählebenen in ein Gesamtbild, das dank Marcus Weilers Umsetzung allen Konflikten zum Trotz insgesamt sehr gefällig ist. Dafür sorgen nicht zuletzt die Stippvisiten bei Maries Eltern: Mutter Irene (Saskia Vester) hat ihre Küche auf Roh- und Schonkost umgestellt, Vater Ernst vermisst seinen geliebten Schmorbraten; Wolfgang Fierek hat mit Abstand die witzigsten Dialoge des Films. Lustig ist auch Katharina Müller-Elmau, die als Bürgermeisterin schon allein durch die Art, wie sie ihre Handtasche trägt, an die Frau vom Jugendamt in den Pippi-Langstrumpf-Verfilmungen erinnert (Fräulein Prusselius alias Prusselise). Schauspielerisch gibt es ohnehin keinen Grund zur Klage. Christine Eixenberger verkörpert Marie als Menschen, den jeder gern zur Freundin hätte, zumal man ihr stets ansieht, was gerade in ihr vorgeht.
Soundtrack: (1) Meghan Trainor („No Excuses“), Sufjan Stevens („Death With Dignity”), Ed Sheeran („What do I Know?”), Amy Winehouse („Back To Black”), Majed Salih („Brainosaurus”), John Lennon („Instant Karma”), Rudimental feat. Jess Glynne, Macklemore & Dan Caplen („These Days”), Bob Dylan („Simple Twist Of Fate”); (2) Queen („Don’t Stop Me Now”), Woodkid („I Love you”)
Im zweiten neuen Film, „Lügen und Geheimnisse“ (Buch: Stefan Kuhlmann), ändert sich das Vorzeichen etwas, und das nicht nur, weil es auch mal regnet. Erneut wird eine Familie von einem Schicksalsschlag getroffen: Auf einem Bauernhof steht plötzlich eine Biogasanlage in Flammen. Die Feuerwehr hat den Brand rasch unter Kontrolle, aber die kleine Tochter muss mit schweren Vergiftungssymptomen ins Krankenhaus. Wie schon in „Stürmische Zeiten“ verläuft der Einsatz allerdings ziemlich entspannt. Anderswo wäre ein Satz wie „Die Luft ist rein“ ein Hinweis darauf, dass gleich eine ordentliche Explosion folgen wird, aber hier hat die Truppe alles unter Kontrolle. Weil Marie nicht locker lässt, um die Ursache für die Vergiftung herauszufinden, wandelt sich der Film ein bisschen zum Krimi. Da Nicholas Reinke als Bauer schon gleich zu Beginn verdächtig dreinblicken muss, ist sowieso klar, dass er Dreck am Stecken hat. Davon abgesehen hat Weiler auch diese Episode sehr brav inszeniert. Kameramann Klaus Merkel, ein Experte für schöne Aufnahmen, sorgt in beiden Filmen für viel Augenfutter, auch wenn die Gestaltung gerade der Zwischenbilder ziemlich einfallslos ist; die Kameraflüge über den Ort, vorzugsweise bei tiefstehender Sonne, sehen aus, als seien sie alle am selben Tag aufgenommen worden. Die sanfte Musik des Duos Dürbeck & Dohmen ist ein weiteres untrügliches Signal dafür, dass niemand wirklich Schaden nehmen wird, weder am Leib noch an der Seele, selbst wenn die Themen nicht nur wegen des Umweltskandals durchaus ernster Natur sind: Dem Nachbarn des Biobauern sterben aufgrund der Mais-Monokultur die Bienenvölker, und Maries Großmutter glaubt, sie habe Parkinson; von der Beziehungskrise zwischen Marie und Stefan ganz zu schweigen.
Trotz dieser Konflikte ist „Stürmische Zeiten“ der deutlich ungewöhnlichere Film; die Wortgefechte mit dem mutmaßlichen AfD-Politiker wirken wie ein Einbruch der Wirklichkeit. Natürlich kriegt Hofers Drehbuch schließlich doch noch die Kurve: Marie organisiert eine Veranstaltung gegen Hetze und Diskriminierung, an der sich mit Ausnahme ihres Gegenspielers sämtliche handelnden Personen beteiligen. Die nächtlichen Bilder der Demo gegen Rechts mit Kerzen und Laternen setzt einen perfekten Schlusspunkt unter den ersten Film. Der zweite endet dagegen ausgesprochen unversöhnt, aber es gibt Hoffnung: Im Frühsommer werden zwei weitere Filme gedreht. (Text-Stand: 20.4.2019)