Ein Gerichtsmediziner gut gelaunt bei der Arbeit. Das Skalpell blitzt, der Kaffee dampft verdächtig. Wenig später gibt es zwei Tote im Obduktionssaal. Jener Dr. Bergengruen scheint den morgendlichen Kaffee nicht vertragen zu haben. Nicola May, seine Sekretärin tritt daraufhin den schnellstmöglichen Fluchtweg an, wird aber von Kommissar Simmel gestellt. Der spielt den psychologischen Betreuer und landet mit der etwas schusseligen Assistentin im Bett, derweil sich Marie Brand um ihren Ehemann sorgt: der stellt das Geschirr in den Kühlschrank und vergisst auch sonst so einiges. Da ist es gut, dass sie bei ihren Ermittlungen auf den Demenz-Spezialisten Dr. Jacobsen trifft. Der hat Geheimnisse und eine Frau, die den Toten geliebt hat. Ein Mordmotiv also. Doch es gibt eine weitere Spur: Der Ermordete war Alkoholiker und Gutachter für die Staatsanwaltschaft. Gab es vielleicht Fehlgutachten?
Die vor einem Jahr gestartete ZDF-Reihe um das Kombinationsgenie Marie Brand und ihren Sonnenbrillen-Cop Simmel (was im Zusammenhang mit dem Bild, das Hinnerk Schönemann abgibt, verdächtig nach Simpel klingt) erfindet den TV-Krimi nicht neu, gewinnt aber deutlich an Klasse, je besser man die deutsche Krimi-Landschaft kennt. „Marie Brand und…“ bereichert das Genre mit einer unspektakulären und zugleich ungewöhnlichen Tonart. Der vierte Film der Reihe ist linear erzählt, ohne ästhetische Raffinessen, dafür flüssig mit viel Kölner Atmo inszeniert. Autor Wolfgang Stauch und Regisseur Florian Kern betonen weniger die Genre-Spannung, sondern setzen auf das spielerische Miteinander von Figur und Schauspieler, von kleinen, wunderbaren Buchideen und dem Alltagsrhythmus des Ermittelns.
In „Marie Brand und das mörderische Vergessen“ wird die Dramaturgie des Und-dann-und-dann immer wieder aufgebrochen durch beiläufige und umso nachhaltigere Szenen: die alte Frau, die alles, was in ihrem Leben passiert, aufschreibt, weil sie es sofort vergisst oder der demenzkranke Mann, der seine Frau sucht oder sich von den Russen verfolgt fühlt. Auch der Showdown lebt von einem klugen Schachzug mit Blick auf die ZDF-Klientel: so wird die obligatorische Fall(er)klärung aufgelöst in eine Szene voller Action.
Wo andere Krimis mit der Brechstange Sozialkritik verabreichen, geht Marie Brand zur Befragung kurz entschlossen mit dem Chefarzt in den OP. Das mag ein Gag sein, sagt aber nebenbei auch etwas über unser Gesundheitswesen aus. Mariele Millowitsch hat – gerade unter Fernsehkritikern – sicher nicht nur Freunde, aber wie bei ihr Rolle und privates Image zusammengehen, das muss ein Traum sein für jeden, der serielles Fernsehen für die 50+-Generation macht. Und auch Hinnerk Schönemann als Cop (diese Körperhaltung!) ist eine sichere Bank: Er darf dort weiter machen, wo er in „Dr. Psycho“ aufgehört hat.