„Kann Boxen der Aggressionsbewältigung dienen oder werden Aggressionen des Boxers initiiert?“ Der Kölner Psychologieprofessor Neu lebt ganz für seine Studie über die aggressionspräventiven Möglichkeiten des Boxsports. Sein Experiment mit Ex-Knackis gerät in Gefahr, als sein Boxtrainer erschossen wird. Sina, das Wut-Girlie, das als letztes mit dem Opfer geboxt hat, taucht ab; sie rast aus der Boxhalle, rennt Staatsanwalt Dr. Engler vors Auto, macht sich sogleich mit dessen schnittigen Cabrio aus dem Staub und ist fortan die Hauptverdächtige. Doch auch die anderen ausnahmslos vorbestraften und gewaltbereiten jungen Erwachsenen, die an der Studie teilnehmen, verhalten sich verdächtig und schweigen sich aus. Sogar das Alibi von Professor Neu scheint zu wackeln. Dann steht plötzlich der Vorwurf gegen den Ermordeten im Raum, er habe Sina vergewaltigt. Offenbar hat der Professor etwas davon gewusst, hat aber geschwiegen, um sein Projekt nicht zu gefährden. Um den Jungs auf den Zahn zu fühlen, steigt Simmel als Boxtrainer undercover in den Ring.
Der 13. Krimi-Einsatz von Mariele Millowitsch und Hinnerk Schönemann, „Marie Brand und das Mädchen im Ring“, taucht ab in die Niederungen menschlicher Triebstruktur und in die Höhenlagen akademischer Forschung, erzählt von Hormonbomben und Aggressionsbündeln. Wenig kriminalistisch und psychologisch feinsinnig werden die unterschiedlichen Welten kurzgeschlossen. Brand und Simmel machen das, was sie können. Er haut drauf und rennt hinterher, gibt den einen oder anderen Oneliner zum Besten und darf sich gelegentlich fast so eindrücklich wundern wie einst Stan Laurel alias „Doof“. Sie liest im Kaffeesatz, assoziiert wild und erinnert sich an ihre Tage als Rockerbraut & Psychologie-Aspirantin. Das ist Gebrauchs-TV ohne große Inspiration – Szene klebt an Szene, trotz Bizeps Simmel und flotter Schnitte wirkt das alles wenig dynamisch, auch eine durchgängige Tonlage fehlt dem Film. Das liegt weniger an Regisseur Josh Broecker – als an der Geschichte mit ihren heterogenen Locations, Milieus, Stimmungen. Entsprechend gestaltet Kameramann Stan Mende abwechslungsreiche Bilder: viel Anthrazit-Look, oft im Dunkel stehen die Adrenalin-Junkies, aber es gibt auch Sonnentage, an denen die Kölner Cops ihre coolen Sonnenbrillen rausholen.
Beim Boxen könne man seine Grenzen ausloten, betont Simmel. „Marie Brand und das Mädchen im Ring“ lotet wenig aus. Die Dialoge sind zwar weitgehend angenehm knapp, aber da ist auch viel Steh-Satz dabei („Wir glauben nicht, wir sammeln Fakten“). Besonders versatzstückhaft wird die Wissenschaft des menschlichen Erlebens von den Autoren eingesetzt: Psychologie verkommt hier zum schlagwortartigen Lexikonwissen, mit dem der werte Herr Professor und die Frau Kommissarin gern um sich werfen. Psychologie wird allenfalls benutzt, um eine bestimmte „Aura“ herzustellen, den Figuren fehlt es indes an einer tieferen Grundierung ihres Verhaltens. „Ich hab nichts zu verlieren“, sagt die unter Mordverdacht stehende junge Frau und zieht eine Waffe. (Text-Stand: 10.1.2014)