Und noch ein Film über einen zum Islamisten mutierten jungen Deutschen, diesmal als Vater-Sohn-Drama angelegt: „Macht euch keine Sorgen“ spielt in einer intakten Mittelschichts-Familie. Reihenhaus, gepflegter Garten, die Eltern sind berufstätig, haben drei Kinder und führen eine harmonische Ehe. Am Frühstückstisch wird mit Marie, dem jüngsten Kind, gebetet. Ihren Sohn Jakob wähnen Stefan und Simone Schenk im Spanien-Urlaub, doch dann stehen Beamte des Landeskriminalamts (LKA) vor der Tür. Vermutlich habe sich Jakob in Syrien dem Islamischen Staat (IS) angeschlossen, eröffnen sie den ungläubigen Eltern. Die versuchen nun verzweifelt Jakob zu erreichen, forschen in seinem Umfeld nach, befragen den Imam der örtlichen Moschee – und holen sich Rat bei einer Expertin (in einer Szene, die wie der Informationsblock fürs Publikum wirkt). Der älteste Sohn David, der bereits ausgezogen ist, wirft den Eltern vor, Jakob immer zu verständnisvoll behandelt zu haben. Aber jetzt gilt es, alles zu tun, um ihn zu retten. Gemeinsam wird gegoogelt: „How to get to the IS“.
Wie Jakob zum Islamisten wurde, wird nur in Ansätzen erzählt
Im Mittelpunkt dieses intensiven und differenzierten Dramas stehen also das familiäre Umfeld, die Sorge um den verlorenen Sohn, die Überforderung und Ratlosigkeit, die Selbstzweifel und Schuldgefühle. Dass Jakob (Leonard Carow) zum Islam übergetreten ist, wussten die Eltern und begegneten dem mit Toleranz. „Der Islam ist nicht das Problem“, sagt der Vater (Jörg Schüttauf) auch jetzt noch. Und die Mutter (Ulrike C. Tscharre) findet es „trotzdem richtig, dass wir unseren Kindern grundsätzlich vertrauen“. Es ist müßig, dem Film vorzuwerfen, dass Jakobs Wandlung zum Konvertiten und gar zum IS-Anhänger nur in Ansätzen erzählt wird. Diese Schlüsselfrage, die etwa in dem Zweiteiler „Brüder“ ausführlich behandelt wurde, wird hier bewusst auf das Nötigste reduziert. Das Buch von Kathi Liers & Jana Simon setzt nicht nur zeitlich anders an, es hält sich auch konsequent an die Perspektive des Vaters, der einsehen muss, dass er die Entwicklung Jakobs nicht wahrgenommen hat. Insofern entspricht es der inneren Logik des Films, dass es nur eine einzige Rückblende gibt – eine Erinnerung des Vaters an eine scheinbar banale Episode: Jakob nimmt mehrfach Anlauf, um die Schwelle zur Toilette zu überschreiten. „Ich muss die Toilette mit links betreten“, erläutert er dem Vater. Denn links sei die schlechte Seite, und in der Toilette herrsche der Scheitan (der Teufel).
„Diese Geschichte bezieht sich auf mehrere verschiedene reale Fälle und deren Begleitumstände. Ich habe viel zu dem Thema recherchiert und Gespräche mit IS-Rückkehrern, deren Angehörigen, Sozialarbeitern, Extremismus-Experten und den Sicherheitsbehörden geführt. Es war eine intensive Arbeit. Dieses Drehbuch ist das Ergebnis – eine Art Zusammenführung – dieser Recherchen und ihrer filmischen und fiktionalen Verdichtung.“ (Drehbuchautorin Jana Simon)
„Es war uns wichtig, die Geschichte in einer ganz durchschnittlichen deutschen Familie anzusiedeln. Wir hoffen, damit eine größere Aufmerksamkeit und Sensibilität füreinander innerhalb der Familien anzuregen und das Vorurteil ,So etwas kann doch nur den Anderen passieren!‘ auszuräumen. Oder zumindest in Frage zu stellen.“ (Drehbuchautorin Kathi Liers)
„Jana Simon und Kathi Liers haben mehrere reale Fälle von Rückkehrern recherchiert und da ist nichts eindeutig. Es wäre naiv zu behaupten, dass, nachdem die jungen Menschen aus Syrien und vom IS zurückkommen, sie auf einmal von der Gehirnwäsche, die sie dort erlebt haben und den Nachwirkungen von traumatischen Kriegs-Erlebnissen befreit sind. Es braucht Zeit und eine Verarbeitung mit Hilfe psychologischer Beratung. Das einzige, das in unserem Film eindeutig sein kann, ist, dass am Ende Vater und Sohn bereit sind, miteinander zu reden.“ (Regisseurin Emily Atef)
Vater und Sohn auf einem abenteuerlichen Rettungs-Trip
Die knapp 1000 aus Deutschland nach Syrien ausgereisten IS-Unterstützer stammen nicht nur aus zerrütteten oder prekären Familienverhältnissen, sondern aus allen Schichten. Deutlich zu machen, dass es jeden treffen kann, war ein Anliegen der Macher. Dennoch erscheint es nicht vollends nachvollziehbar, dass diese Bilderbuchfamilie die Radikalisierung eines ihrer Kinder so gar nicht mitbekommen haben will. Offenbar ist der unsichere Teenager Jakob einem Freund aus der Nachbarschaft, zu dem er bewundernd aufblickt, in den Heiligen Krieg gefolgt. Dann endlich meldet sich Jakob per SMS – in einem befremdlichen Tonfall: „Hallihallo! Mir geht es super! Ich bin unter den besten Menschen, die es gibt. Macht euch keine Sorgen!“ Irgendwann später ruft er seinen Vater sogar an. Nun klingt er verängstigt, man hört Schreie im Hintergrund. Stefan Schenk beschließt, in den Nahen Osten zu fahren, um Jakob mit dem letzten Ersparten frei zu kaufen. David (Leonard Scheicher) reist mit. Es beginnt ein abenteuerliches Intermezzo in einem nicht näher bezeichneten Land im Grenzgebiet zu Syrien (im authentischen Look in Jericho gedreht): Den empfohlenen Kontaktmann können Vater & Sohn nicht auf Anhieb auftreiben. Zermürbendes Warten, Hitze, Staub, ein versuchter Raub-Überfall, dann die überraschende Wende. Jakob ist wieder da, müde, ausgezehrt und stumm.
Die Mutter zitiert die Bibel, der Vater hat den aktiven Part
Der Inszenierung von Emily Atef („Wunschkinder“ / „3 Tage in Quiberon“) gelingt es vor allem, die Auswirkungen und Konflikte innerhalb der Familie überzeugend zu erzählen. Die Mutter bleibt zwar etwas im Schatten, ist aber diejenige, die in den Gesprächen mit dem Imam und später mit den beiden Lehrerinnen von Marie Contra gibt. Sie verteidigt ihr Erziehungskonzept vom Grundvertrauen in die Kinder mit einem (verkürzten) Bibelvers aus den Galater-Briefen: „Die Kraft aber des Geistes ist die Liebe, Friede, Güte. Gegen all dies steht kein Gesetz.“ Es wäre also unfair zu behaupten, die von Ulrike C. Tscharre gespielte Simone Schenk werde ausschließlich auf die typische Rolle der passiven, weinenden und verzweifelten Mutter reduziert. Der Vater übernimmt überwiegend den aktiven Part, ist aber ebenfalls keine klischeehafte Figur. Stefan Schenk ist voller Selbstzweifel und unterdrückter Ängste, die er mit Tabletten bekämpfen will, was nur nebenbei angedeutet wird. Jörg Schüttauf spielt ihn als einfachen, ehrenwerten Familienvater aus der Mittelschicht, ein Sachbearbeiter im Bürgerbüro der Stadtverwaltung, der etwas naiv und leichtgläubig wirkt, nur mäßig gut Englisch spricht, aber entschlossen ist, seinem Sohn Jakob zu helfen.
Auch der Vater wird misstrauisch: Ist Jakob ein Terrorist?
In der besonders überzeugenden zweiten Hälfte des Films werden die Ereignisse nach Jakobs Ankunft in Deutschland erzählt. Der IS-Rückkehrer wird festgenommen und verhört. Wegen seines „Heimwehs“ habe er Syrien wieder verlassen, behauptet Jakob. Die Spannung, ob er nicht vielleicht doch mit einem Terror-Auftrag versehen vom IS laufen gelassen wurde, wird geschickt aufrecht erhalten. Leonard Carow überzeugt vollkommen als in sich gekehrter, einsamer junger Mann – als Terroristen kann man ihn sich zwar kaum vorstellen, aber die Ungewissheit über Jakob trägt den Film bis zum Ende, das noch eine mehr oder weniger überraschende Pointe bereit hält. Die Eltern wollen ihrem Sohn Zeit lassen und wieder Vertrauen schenken. Sie stehen unter Druck, die Zeitungen berichten, die Nachbarn sind verängstigt. Und Jakobs Schweigsamkeit und Heimlichtuerei sind keine Hilfen, nähren auch das Misstrauen des Vaters. Im Gegensatz zum packenden „Brüder“-Thrill entfaltet sich die Spannung leise und unaufgeregt, so dass man fast erleichtert ist, wenn einer Mitspielerin beim Badminton mal der Kragen platzt und Jakob zur Rede stellt. Insgesamt vermeidet der sehenswerte Film jedoch leichtfertige Schuldsprüche. (Text-Stand: 23.3.2018)