Private Baustellen beleben die Fälle
Die Vier von der Berliner Vermisstenstelle werden in der vierten Staffel von „Letzte Spur Berlin“ nicht nur wieder mit rätselhaften Fällen konfrontiert, sie bekommen auch privat mehr denn je zu bewältigen. Bei Oliver Radek (Hans-Werner Meyer) ist es seine Ehe, die auf dem Prüfstand steht; seine Frau Anke (Gesine Cukrowski) will nicht länger Spielball seiner obsessiven Berufsauffassung sein. Sandra Reiß (Susanne Bormann) gelingt es, das traumatische Erlebnis ihrer Entführung, die in der dritten Staffel erzählt wurde, recht schnell zu verarbeiten; und sie stürzt sich in ein Abenteuer mit ihrem Psychiater (Max von Pufendorf), aus dem sich mehr entwickeln könnte. Der Beruf soll künftig nicht mehr ihr ganzes Leben bestimmen. Bei Mina Amiri (Jasmin Tabatabi) sind es Erlebnisse mit ihrer Ursprungsfamilie, die ihr zwischenzeitlich den Boden unter den Füßen wegziehen: die Krebskrankheit ihrer Mutter (Özay Fecht) und eine Jahrzehnte alte Familienfehde, die plötzlich wieder aufbricht. Und für Daniel Prinz (Florian Panzner), der einst seinen Dienst in der Vermisstenstelle antrat, weil er von seinem Vater (Horst Kotterba) bereits als Kind verlassen wurde, bleibt dieser „Erzeuger“ die Achillesferse des Kriminaloberkommissars. Und auch der Neue, Mark Lohmann, schleppt einen Sack voller Probleme mit sich herum: „Ich bin Mark und ich bin süchtig“, sind seine letzten Worte in seiner Einstands-Folge „Sprachlos“.
Foto: ZDF / Frédéric Batier
Serienkiller = Sargnagel von Radeks Ehe?
Gleich zu Beginn in der Doppelfolge „Monster“ holt den zur Maßlosigkeit neigenden Chef der Vermisstenstelle ein alter Fall ein. Der todkranke Serienmörder Uwe Lehmann (Peter Schneider), den Radek vor Jahren nach einem nervenaufreibenden Katz-und-Mausspiel überführen konnte, hat schon damals die Beziehung zwischen ihm und seiner Frau schwer belastet. Daraufhin tauschte er seinen Job bei der Mordkommission gegen die Vermisstenstelle beim LKA ein. Lehmann wurde für acht Morde an jungen Frauen und Mädchen zu lebenslanger Haft verurteilt. Offenbar gehen aber noch sieben weitere Ritualmorde auf sein Konto. Bevor der Mann stirbt, will er noch seinen Sohn kennenlernen. Als Gegenleistung verspricht er, Radek die Namen der sieben weiteren Teenager zu nennen, die er getötet hat. Dass Lehmanns Sohn als Baby gestorben sein soll, wollen die Kommissare der Frau des Serienmörders nicht abnehmen. Bald gibt es Hinweise dafür, dass der Killer einen Handlanger haben muss. Und dann verschwindet tatsächlich wieder ein Mädchen. In seiner Verzweiflung zieht Radek sogar seinen Sohn mit in den Fall hinein. Für seine Ehe der Anfang vom Ende.
Markantes Team in ausgefeiltem Look & Design
Auch wenn sich Orkun Ertener & Co anfangs doch reichlich inspirieren ließen von der US-Serie „Without A Trace“ und sogar Look und Ikonografie sich verdächtig eng an dieses amerikanische Vorbild anlehnten (wie ttv-Autor & Serienkenner Harald Keller feststellte) – so ist die ZDF-Serie „Letzte Spur Berlin“ nicht zuletzt durch das Charisma ihrer Hauptcharaktere, die Präsenz ihrer Darsteller und durch die Kraft ihres markanten Miteinanders bereits in der ersten Staffel zu einer der ansehnlichsten deutschen Krimiserien geworden. In Staffel 4 (gesichtet wurden Folge 1, 2, 6, 8) wirkt alles noch eine Spur ausgefeilter & perfekter: auf der einen Seite der physische Realismus-Touch auf den Straßen von Berlin, auf der anderen Seite das ausgefeilte Production Design mit seinem hohen Wiedererkennungswert. Innenszenen – auch wenn in ihnen einmal mehr als üblich gesprochen wird – wirken nicht zugetextet, weil sie über ausreichend optische Reize verfügen: da ist der obligate Leuchttisch, an dem die Fälle aufgerissen werden, da sind die Monitore, da ist das stilvolle Lichtdesign im Verhörraum. Das parallele Agieren der Ermittler ergibt einen dichten Montageteppich und eine flotte Taktung der Szenen. Überflüssige Erklärungen, die einst das Markenzeichen deutscher Serien waren, gibt es nicht (das Verhalten spricht für sich). Man ist als Zuschauer gut grundinformiert, kann sich aber immer auch ein Stück weit selbst ein Bild machen.
Foto: ZDF / Frédéric Batier
Bert Tischendorf über seinen Mark Lohmann:
„Mark ist direkt, er nimmt die Menschen so wie sie ihm gegenübertreten. Er liebt alles, was nach Leben riecht, ist quasi süchtig danach! Wenn sich etwas nach Abenteuer anhört, will er es haben, als würde er sich davon ernähren. Angst vor Dreck hat er nicht, denn er weiß: der gehört dazu. Und wenn er auf die Fresse fliegt, dann rutscht ihm ein Lachen heraus.“
Horizontales Erzählen als marginaler Zusatzreiz
Inszeniert sind die Serienfolgen auf handwerklich hohem Niveau, mit einer Vorliebe für einen stimmigen visuellen Fluss. Allein in der Kurzatmigkeit und dem Nicht-Ausspielen manch beeindruckender Szene unterscheidet sich die Machart von „Letzte Spur Berlin“ von der eines Reihen-Krimis. Das Wichtigste aber bleiben die Geschichten, in denen erfreulicherweise Morde allenfalls – wie in „Monster“ – nur eine indirekte Rolle spielen. Die Geschichten entschlüsseln sich erst nach und nach aus den Vermisstenfällen. So stehen Verhaltens- statt Mordmotive und Tatverdächtige im Zentrum der Ermittlungen. Dramaturgisch sind die Folgen mit ihren erklärenden Rückblenden und mehreren Erzählsträngen intelligenter gebaut als durchschnittliche deutsche Whodunit-Krimis. Auch die Forcierung der Privatgeschichten dürfte vornehmlich diese dramaturgische Funktion erfüllen: die Etablierung von ästhetischer Dichte und die entsprechende Wirkung beim Zuschauer. Die privaten Momente werden so moderat in die Krimiplots eingeflochten, dass sie die Fallgeschichten deutlich beleben, die Serie aber nicht zu einem horizontalen „TV-Roman“ umschreiben. (Text-Stand: 29.3.2015)