Sie ist mehr als die mächtigste Industriellenfamilie, die Deutschland je gesehen hat. Ein Mythos umweht die 80 Jahre von Essen aus schaltenden und waltenden Krupps. „Krupp“, das steht für eine Unternehmerdynastie mit sozialer Firmenphilosophie und zugleich für ein frühes Musterbeispiel eines globalisierten Konzerns. Doch auch mit weniger honorigen Etiketten kann man diese Familie und deren Stahlwerke belegen: Waffenfabrikanten, Nazi-Sympathisanten, Kriegsgewinnler, wenn nicht Kriegsverbrecher. Die Chronik der Krupps ist ein Stoff, der nach Verfilmung schreit. Seit fast 30 Jahren geisterten immer wieder Projekt-Pläne durch die Sender. Aber erst Oliver Berben und Carlo Rola trieben die Idee vom großen Krupp-Mehrteiler in Realisierungsnähe – und das ZDF schlug zu. Fünf Jahre Arbeit, allein drei Jahre wurde die Geschichte entwickelt, 88 Drehtage an 68 Locations waren erforderlich, 68 Schauspieler und über 2000 Komparsen wurden engagiert. Krupp – der Name verpflichtet zur Qualität.
Der Film konzentriert sich auf den Konflikt zwischen Bertha Krupp (1886-1957) und ihrem Sohn Alfried Krupp von Bohlen und Halbach (1907-1967). An einem Abend des Jahres 1957 kommt es zum schicksalsträchtigen Disput zwischen den beiden. Der Sohn wirft seiner Mutter vor, Schuld an seinem verpfuschten Leben zu haben. Die 71-Jährige erleidet einen Herzinfarkt. In der Vorahnung des Todes lässt sie ihr Leben noch einmal Revue passieren. Sie erinnert sich an ihren Vater, den kränkelnden Schöngeist, der sich häufig von Essen nach Italien absetzte – nicht nur des Klimas wegen. Bertha erinnert sich an ihre sozial engagierte Mutter, die der Kaiser in die Psychiatrie einweisen ließ. Später kreisen die Gedanken der Heldin um ihren Ehemann Gustav Krupp von Bohlen und Halbach, der die Firma mit preußischen Tugenden und Rüstungsaufträgen der russischen und deutschen Machthaber aus der Krise führte. Berthas größte Aufmerksamkeit und Sorge galt stets ihrem Sohn Alfried: „Du darfst keinen Fehler machen, Alfried, jeder andere, du nicht. Du bist die Nummer 1.“ Unter der Last, ein Krupp zu sein, leidet der Sohn sein ganzes Leben.
„Wir haben uns bewusst auf die Familie Krupp, auf die Menschen konzentriert“, betont Regisseur Rola. Das fing bereits bei der Recherche an. Material gab es für ihn und Autor Christian Schnalke reichlich, doch sie haben sich vor allem mit Menschen unterhalten, die die Krupp-Familie kannten. Und so ergab sich eine Geschichte, die weitgehend aus der Innensicht erzählt wird. Lucchino Visconti, dessen Bildsprache Rola mehrfach nachzuahmen versucht, hat es bei seinem Film „Die Verdammten“ über die Kongruenz zwischen Hitlers und Krupps Imperium nicht anders gemacht. Doch der TV-Mehrteiler wirkt gegenüber dem Dekadenzdrama von 1969 wie eine überdimensionierte Seifenoper aus der Welt des hüftsteifen Großbürgertums, in dem sich altbackene Dramaturgie und theatrales Spiel unsinnlich vereinen. Es rascheln die Roben, es klappern die Orden. Figuren erklären sich und ihre Vita, während Iris Berben sich im fiebernden Monologisieren ergeht. Schwer ihr Atem, schwer das Interieur. Die Dramaturgie ächzt unter der Last eines Mythos’, dem alle gerecht werden wollen – allein es fehlt die Haltung. So kommt es, dass der Film so blutleer wirkt wie seine Prota-gonisten. Im Falle Krupp aber kann es mit einer küchenpsychologisch angereicherten Chronik der laufenden Ereignisse nicht getan sein.
„Als Kind dachte ich, Essen gehört den Krupps“, erinnert sich Iris Berben, deren Mutter und Brüder bei Krupp gearbeitet haben. „Das Ganze ist groß, dass man es schwer klein kriegt“, sagt Autor Schnalke. 11,5 Millionen Euro zeugen von einer Gigantomanie, die der Glaubwürdigkeit der Geschichte geschadet hat. Auch wenn die Dokumentation „Krupp – Mythos und Wahrheit“ die politische Ambivalenz der Krupps hervorhebt, so muss doch die Zulässigkeit einer solch einseitigen Herangehensweise hinterfragt werden. Dass der Spielfilm allenfalls ins Guinness-Buch der Rekorde eingehen, nicht aber Fernsehgeschichte schreiben wird, macht das Projekt doppelt überflüssig. Da nutzt es wenig, dass Heino Ferch, Valerie Koch, Barbara Auer und vor allem Benjamin Sadler, dessen beiläufiger Schauspielstil bei aller Strenge dem bedeutungsschweren Großen und Ganzen des Films etwas entgegensetzt, in ihren Rollen überzeugen, dass Rola einige gelungene Bildideen hatte und dass die Ausstatter nicht nur fleißig, sondern etliche Szenenbilder auch gelungen sinnträchtig waren. Wie zuletzt Heinrich Breloer mit den „Buddenbrooks“, so scheitern nun auch Berben und Rola mit der Familie Krupp. Ende der Siebziger wäre die antiquierte Ästhetik noch durchgegangen, die Soap-Dramaturgie indes nicht. „Krupp – Eine deutsche Familie“ kommt 30 Jahre zu spät.