Kommt ein Vogel geflogen

Hammelstein, Friedrichs, Stefanie Fies, Christian Werner. Marlene hatte andere Pläne

29.11.2024 20:15 Arte TV-Premiere
05.01.2025 23:25 ARD
06.01.2025 03:00 ARD
06.02.2025 20:15 One
Foto: SWR / Patricia Neligan
Foto Tilmann P. Gangloff

Die sehenswerte Tragikomödie „Kommt ein Vogel geflogen“ (SWR, Arte / Kurhaus) erzählt eine Geschichte, die so bizarr ist, dass sie schon wieder wahr sein könnte. Ein in der Kita ausgegrenztes stotterndes Mädchen schließt Freundschaft mit einem Papagei, der aus dem von ihrer Mutter geleiteten Tierheim entfernt werden musste: Der Vogel gibt fortwährend Nazi-Parolen von sich. Prompt kommt es zu einem Politskandal. Als dann auch noch die jüdischen Großeltern zu Besuch kommen, eskaliert die Krise vollends.

Manchmal ist eine erfundene Geschichte so bizarr, dass sie einfach wahr sein muss: „Kommt ein Vogel geflogen“ handelt von einem kleinen Mädchen, das wegen seiner Stotterei im Kindergarten gehänselt und ausgegrenzt wird. Kein Wunder, dass Sarah lieber ihre Mutter zur Arbeit begleitet. Birgit Singer leitet ein Tierheim, dessen Zukunft jedoch auf der Kippe steht: Geht es nach den Plänen des amtierenden Bürgermeisters, soll das Tierasyl einem Kurhotel weichen. Weil die nächste Wahl bevorsteht, machen die anderen Parteien den drohenden Abriss zum Wahlkampfthema; und Birgit steckt mittendrin. Ausgerechnet jetzt kommt ein Störenfried ins Spiel, der die politischen Auseinandersetzungen beflügelt und den Zusammenhalt von Familie Singer vor eine ultimative Zerreißprobe stellt: Zum Nachlass eines Verstorbenen gehört unter anderem ein sprachbegabter Ara. Der Vogel könnte zum Star des Wahlkampfs werden und das Tierheim retten, aber er ist alles andere als gesellschaftsfähig: Papagei Marlene gibt ständig nationalsozialistische Parolen von sich.

Kommt ein Vogel geflogenFoto: SWR / Patricia Neligan
Sarah (Pola Friedrichs) tut der geschwätzige Vogel gut. Dank ihrer Plaudereien mit dem Papagei, dem sie neue Wörter beibringt, macht das stotternde Mädchen, das in der Kita gehänselt und ausgegrenzt wird, erkennbare Fortschritte.

Das satirische Potenzial ist offenkundig, und tatsächlich hat der Film durchaus heitere Momente, aber Stefanie Fies (Buch) und Christian Werner (Regie) betonen vor allem die dramatische Seite: Sarah, von der kleinen Pola Friedrichs inklusive des Stotterns sehr natürlich verkörpert, schließt umgehend Freundschaft mit dem Tier. Dass Marlene, wie ihre Mutter (Britta Hammelstein) es formuliert, dauernd „schlimme Sachen“ sagt, ist ihr ziemlich egal. Birgit wiederum beobachtet mit Erstaunen, wie gut der Vogel Sarah tut: Dank ihrer Plaudereien mit dem Papagei, dem sie neue Wörter beibringt, macht das Mädchen erkennbare Fortschritte. Weil aber die Besten nicht in Frieden leben können, wenn’s einem bösen Nachbarn (Holger Stockhaus) nicht gefällt, wird alsbald publik, wen die Singers da beherbergen.

Schon allein dieser Teil der Geschichte wäre abendfüllend, aber Stefanie Fies setzt in ihrem ersten Langfilmdrehbuch nach einigen Episoden für die ZDF-Serie „Letzte Spur Berlin“ noch eins drauf: Birgits Mann Nathan (Hans Löw) ist Jude. Er praktiziert seinen Glauben zwar nicht, doch nun kommen seine Eltern zu Besuch. Vater Eli (Michael Wittenborn) ist ein ausgesprochen entspannter Typ, aber Mutter Mirjam (Ulrike Krumbiegel) vermutet hinter jeder missverständlichen Äußerung Antisemitismus; Marlene muss also weg. Der Versuch, den Vogel im Wald auszusetzen, scheitert jedoch; und eine finale Lösung bringt Birgit nicht übers Herz, zumal der Ara selbstverständlich unter Artenschutz steht. Derweil nimmt die politische Auseinandersetzung immer kuriosere Züge an: Als die lokalen Medien auf die Story aufmerksam werden, gelten die Singers plötzlich als Neonazis. Prompt gibt es bis hin zum Fackelaufmarsch vor ihrer Haustür Solidaritätsbekundungen von einer Seite, mit der sie nun wirklich nichts zu tun haben wollen.

Kommt ein Vogel geflogenFoto: SWR / Patricia Neligan
Das Medieninteresse ist groß an dem gefiederten „Adolf“-Fan. Britta Hammelstein & Andreas Nickl in „Kommt ein Vogel geflogen“

Es ist ohnehin beeindruckend, wie viele Facetten Fies dem eigentlich überschaubaren Handlungskern abgewinnt, zumal es zwischen Birgit und Nathan zu einer veritablen Ehekrise kommt. Dass sie ihr Studium abgebrochen hat, damit er promovieren kann, wird dabei auch zum Thema. Für zusätzliche Spannungen sorgt die übergriffige Mirjam, die Sarah für „zurückgeblieben“ hält. Obwohl sich die Geschichte in eine zunehmend düstere Richtung entwickelt, ist „Kommt ein Vogel geflogen“ immer wieder witzig. Dafür sorgt nicht nur das unsägliche Geschwätz des Papageis, sondern auch Nathans ironisch überspitzte Mutter mit ihrem „jüdischen Getue“, wie ihr Mann das mal bezeichnet. Gerade mit den Entwürfen von Mirjam und Marlene begeben sich Fies und Werner natürlich auf dünnes Eis, zumal der Nazi-Ara ein Fall für den Verfassungsschutz ist. Tatsächlich landet der Vogel schließlich vor Gericht; mit der entsprechenden Urteilsverkündung beginnt der Film auch. Die folgenden hundert Minuten schildern, was sich in den vier Wochen zuvor zugetragen hat.

Das Drumherum hat sich die Autorin ausgedacht, aber das Detail mit dem Papagei, der im unverkennbaren Tonfall Adolf Hitlers „Sieg Heil“ ruft, ist authentisch: Der Vogel kam in ein bayerisches Tierheim und durfte wegen des drohenden Straftatbestands der Volksverhetzung nicht vermittelt werden; das wäre das gleiche, wie Birgits Anwaltfreund (Anton von Lucke) erklärt, als ob man einen verbotenen Tonträger verbreiten würde.

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Kaufen bei

und tittelbach.tv unterstützen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kinofilm

Arte, SWR

Mit Britta Hammelstein, Pola Friedrichs, Hans Löw, Ulrike Krumbiegel, Michael Wittenborn, Anton von Lucke, Uygar Tamer, Andreas Nickl, Holger Stockhaus

Kamera: Aleksandra Medianikova

Szenenbild: Christian Strang

Kostüm: Tini Fetscher

Schnitt: Monika Schindler, Melanie Schütze

Musik: Christopher Colaço, Philipp Schaeper

Redaktion: Jan Berning (SWR), Daniela Muck (Arte)

Produktionsfirma: Kurhaus Production

Produktion: Christoph Holthof, Daniel Reich

Drehbuch: Stefanie Fies

Regie: Christian Werner

EA: 29.11.2024 20:15 Uhr | Arte

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach