Jede Gegend hat ihre Mythen und Legenden, die seit Jahrhunderten von Generation zu Generation weitergegeben werden. Für die einen sind es bloß Ammenmärchen, aber für andere werden die Erzählungen zur bitteren Realität, wenn der Kraxelmann böse Buben und Mädchen in sein Versteck verschleppt oder die Perchta Sünder dazu bringt, sich Steine in den Mund zu stopfen, bis sie daran ersticken. Da die Polizei derartige Erklärungen mysteriöser Verbrechen selbstredend für Humbug hält, tut sich ein Gespann zusammen, das die besten Voraussetzungen mitbringt, um sich solchem Spuk in den Weg zu stellen: ein Psychologe und ein protestantischer Priester. Dass Pfarrer Franz Hartl (Peter Ketnath) der aktuelle Lebensgefährte der Ex-Frau (Bettina Zimmermann) von Stefan Schwab (Michael Kessler) ist, sorgt nur anfangs für Irritationen. Als Experte für Dinge, die man nicht erklären kann, ist der Gottesmann zwar ein naheliegender Partner, allerdings entpuppt er sich zudem als unerschrockener Abenteuer, der bei Bedarf auch mal einen Colt Peacemaker zückt.
Foto: Paramount+
Die Serie „Kohlrabenschwarz“ basiert auf der gleichnamigen Hörspielreihe von Tommy Krappweis und Christian von Aster, die wichtigsten Mitwirkenden waren auch dort schon dabei. Das Etikett „Mystery“ wird der dritten deutschen Eigenproduktion des Streamingsenders Paramount+ allerdings nur bedingt gerecht: Die sechs ausnahmslos höchst originellen und fesselnd umgesetzten Episoden bieten einen äußerst abwechslungsreichen und bei aller Spannung gern von einem Augenzwinkern begleiteten Genre-Mix, in dem auch romantische Momente nicht zu kurz kommen, denn Schwab verguckt sich alsbald in die polizeiliche IT-Expertin Anna (Bettina Lamprecht); gemeinsam wollen die beiden Paare dem unsagbar Bösen, das unerkannt die Fäden zieht, sein ruchloses Handwerk legen. Mentor des Quartetts ist ein uralter Schwarzer Alb (Tim Seyfi), der ihnen vor Augen führt, welche Gefahren drohen, wenn Artefakte in die falschen Hände fallen.
Sämtliche Ensemblemitglieder sind mit großer Hingabe und spürbarer Freude bei der Sache. Das gilt auch für Axel Milberg als Kriminaldirektor, der eine zunehmende Aversion gegen den sich ständig einmischenden Schwab entwickelt. Kommissar Falbner (in den Hörspielen hatte Jürgen Tonkel noch den Pfarrer gesprochen) offenbart angesichts der Tiraden seines Vorgesetzten leider eine beschämende Armseligkeit. Dabei war er es, der seinen alten Freund Schwab erst in die Sache reingezogen hat: Der frühere Polizeipsychologe hatte vor zwei Jahren den Dienst quittiert, um sich fortan seinem eigentlichen Metier zu widmen. Damit ist es schlagartig vorbei, als die oberbayerische Beschaulichkeit rund um Rosenheim durch mehrere bizarre und zum Teil erschreckend blutrünstige Verbrechen erschüttert wird. Die Ereignisse haben allesamt einen Bezug zu einer Sammlung uralter Geschichten, darunter auch jene vom goldenen Knauf, den man an eine x-beliebige Wand hält, und schon öffnet sich eine Tür.
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Regie führte Erik Haffner, der anders als bei seinem streckenweise allzu albernen Kinofilm „Die Geschichte der Menschheit – leicht gekürzt“ zum Glück nicht auf Comedy setzt, obwohl hier seine Wurzeln liegen („Ladykracher“, „Switch reloaded“, „Sketch History“), und wenn man ein bisschen in seiner Filmografie stöbert, findet sich auch eine Erklärung für die Besetzung des sinistren Gegenspielers, dessen Identität sich erst gegen Ende offenbart. Die Gästeliste ist sowieso recht illuster, vor allem gemessen an der Kürze der jeweiligen Auftritte. Abgesehen vom auch optisch eindrucksvollen Einfallsreichtum von Drehbuch und Umsetzung sind es nicht zuletzt die vielen kleinen und großen Überraschungen, die den eigentlich Reiz der Serie ausmachen; das gilt für den gähnenden Abgrund, der sich für die Beteiligten plötzlich mitten im Vernehmungsraum auftut, ebenso wie für den verblüffenden Witz, der den spannenden Situationen oft die Schärfe nimmt. Trotzdem ist „Kohlrabenschwarz“ nichts für schwache Nerven, zumal sich die Anleihen beim Horrorfilm nicht auf den nächtlichen Nebel beschränken. Gerade die Visionen, die Schwab mal in fahlen, mal in giftiggelben Farben vor seinem geistigen Auge sieht, wenn finstere Bräuche aus dem bayerischen Hinterland beschrieben werden, sind zum Teil recht grausig. Die hochwertige Bildgestaltung mit ihren oftmals ungewöhnlichen Blickwinkeln ist auch dank der eindrucksvollen Lichtarbeit ausgezeichnet. Die sehr präsente abwechslungsreiche Musik schließlich treibt die Spannung in den dramatischen Szenen mit Erfolg auf die Spitze.
Vor diesem Hintergrund sind die komödiantischen Elemente umso wirkungsvoller: Schwab und Falbner führen ihre Besprechungen bevorzugt beim Minigolf, allerdings ist die Anlage mitten im Wald hoffnungslos überwuchert. Sehr amüsant sind auch die aus einem fortwährenden Giftpfeilduell bestehenden Dialoge zwischen dem ehemaligen Ehepaar. Dass Susanne Schwab, die für jede Lebenslage die passenden Globuli bereithält, dennoch Mitglied im Mystery-Club wird, hat sie ihrer Kenntnis der nordischen Mythologie zu verdanken. Schwarzalb Erdmann schließlich pflegt den Psychologen, wenn der nicht umgehend auf seine Anrufe reagiert, mit Hilfe eines unterirdischen Transportsystems in seine gute Stube zu komplimentieren, was den regelmäßig entsprechend derangierten Schwab zudem um sein Auto bringt. Sehr sympathisch ist auch die sich unübersehbar anbahnende, aber vorerst unvollendete Romanze mit Anna. Die letzte der jeweils gut vierzig Minuten langen Folgen schreit ohnehin nach Fortsetzung, zumal der Unhold nach wie vor sein Unwesen treibt. Der fiese Schluss wirft zudem eine Frage auf, die die Freundschaft zu Hartl auf eine erhebliche Probe stellen könnte: Wer ist dieser Pfarrer überhaupt, der sich so erstaunlich gut in der Märchen- und Sagenwelt auskennt? (Text-Stand: 15.5.2023)