Von außen betrachtet sind die Schäfers eine ganz normale Familie. Vater Thomas ist Lehrer, seit zwei Jahren sogar stellvertretender Schulleiter, Mutter Viola ist Hausfrau, Tochter Sofia ist bald volljährig, Sven steckt mitten in der Pubertät. Doch hinter der gutbürgerlichen Fassade herrscht Dauerstress. Der so besonnen wirkende Pädagoge schlägt seine Frau. Auch bei seinem Sohn rutscht ihm häufig die Hand aus. Hinterher tut es ihm leid – mit Geschenken versucht er, seine Ausraster wieder gut zu machen. Meist nimmt die Frau des lieben Familienfriedens Willen die Schuld auf sich – dann ist eine Weile Ruhe, weil der Vater nicht nur Besserung verspricht, sondern sich tatsächlich bessern will. Doch dann passiert es wieder. Eines Tages schlägt er seine Frau grün und blau. Sie kann nicht mehr, sie will nicht mehr. Mit Hilfe einer befreundeten Anwältin trennt sie sich und erstattet Anzeige. Bestärkt wird sie von Sohn Sven, während Tochter Sofia ihren Vater nicht völlig aus ihrem Leben verbannen möchte. Und der weiß, dass er eine grundsätzliche Entscheidung treffen muss.
„Ich heiße Thomas Schäfer, 42, Lehrer – und ich bin hier, weil ich meine Frau schlage und meinen Sohn.“ Nach 55 Minuten ist es soweit: die Hauptfigur des Fernsehfilms „Kehrtwende“ beginnt mit einem Anti-Aggressions-Training. Doch ist es damit getan, dass der einsame Ehemann brav die psychologischen Erkenntnisse von der Tafel abschreibt? Für einen, der immer alles besser weiß, ist es besonders schwer, umzudenken. Die Ehefrau ist nun nicht mehr „das Chaos auf zwei Beinen“, sondern er ist der Übeltäter, der, der Angst und Schrecken verbreitet, der, der im Gefängnis landen könnte. Es war eine kluge Entscheidung, die Geschichte aus der Perspektive des Täters zu erzählen. Der Film ist keine Anklage, sondern er zeigt eine Situation, die unter deutschen Dächern in allen sozialen Schichten anzutreffen ist. Die Familienkonstellation steht im Mittelpunkt. In dieser langlebigen Kommunikation braucht jeder Täter ein „adäquates“ Opfer. Erst als die Ehefrau aufbegehrt, verändern sich langsam die Rollen. Nur so könnte sich in einer „Gewaltfamilie“ etwas ändern.
Autor Rotter schürt weder Konflikte noch missbraucht er die Gewalt als dramaturgischen Kick. Regisseur Dror Zahavi zeigt, was er zeigen muss, damit man die Zustände in dieser Familie versteht. Der Film erklärt nicht. Wenn er dem Zuschauer etwas nahe bringt, dann ist es die Mächtigkeit jenes verhängnisvollen Interaktionsmusters. Auch sucht der Autor nicht nach den Ursachen des Kontrollverlustes. „Häufig benutzen wir doch solche Analysen als Entschuldigung, als Rechtfertigung für unser Handeln“, so Rotter. Aus was für einer Familie der „Täter“ kommt, wird angedeutet. Wir sehen eine verhärtete, gehässige Mutter, die mit Worten zusticht – und können nur erahnen, wie es zuging in jener Familie und in der Ehe der Eltern. Heute kommt der Vater nicht mehr aus dem Sessel. Das war sicher nicht immer so.
„Kehrtwende“ ist ein sehr gelungener Themenfilm. Wie sein Held, der nach dem Gewaltexzess nicht mehr auf Konfrontation aus ist, sind auch die Macher eher an einem möglichen Lösungsprozess interessiert. Der offene Schluss ist die bestmögliche Variante, um aus dem Film „herauszugehen“. Die Besetzung ist bis in die kleinsten Rollen großartig – und den Wüterich nicht nur nicht als tumben Schläger anzulegen, sondern ihn auch noch mit einem Sympathieträger zu besetzen, war eine gute Entscheidung. Der Film ist unauffällig im besten Sinne erzählt, man kann ihm ohne Hassgefühle folgen und er ist nicht nur kein Krimi, sondern er verzichtet auch weitgehend auf die übliche finalgerichtete Spannungsdramaturgie!