Jella (Maren Kroymann) hat sich das irgendwie anders vorgestellt mit dem pensioniert sein. Mehr Familie und mehr gemeinsame Aktivitäten mit ihrem Mann Klaus (Rudolf Kowalski). Doch der ist voll und ganz mit seiner Online-Vorlesung für Harvard beschäftigt, und die Kinder haben ihr eigenes Leben. Sie betrachten den Umzug der Eltern von Hamburg nach Oberbayern, wohin sich alle drei im Erwachsenenalter nicht ohne Grund abgesetzt haben und wo ihre Stammhalter nun ein stilvolles Landhaus gekauft haben, schon ein bisschen mit gemischten Gefühlen. Skepsis ist tatsächlich angebracht. Denn Jella, die ihre To-do-Liste fürs Alter mit Tai Chi, Töpfern und Tolstoi schnell abgehakt hat, will lieber Großmutter werden. Bei ihrer Freundin Gerda (Hedi Kriegeskotte) sieht sie, wie schön das sein kann. Doch die Mittel die die ehemalige Lehrerin einsetzt, um ihre viel beschäftigten Kinder „anzuschubsen“, zeugen von wenig Einfühlungsvermögen. Ein Wellness-Wochenende mit Fruchtbarkeits-Anwendungen für die verspannte Hilke (Valerie Niehaus) und ihren Franz (Martin Lindow). Freizeit- und eigenhändige Kuscheltipps für den Freund in spe (Bert Tischendorf) von Fine (Amelie Plaas-Link), damit das Nesthäkchen sich nicht für ein Entwicklungsprojekt nach Afrika absetzt. Und auch bei Momme (Oliver Wnuk) und seinem Partner Rudi (Frederic Linkemann) macht es die Mutter nicht besser. Das erkennt sie aber erst, nachdem das Vertrauensverhältnis zwischen ihr und ihren Kindern gehörig gestört ist und ihr Mann sie schon in den Armen eines Anderen, dem bodenständigen Schorsch (Winfried Frey), wähnt.
Um die Sache mit dem Loslassen, einem beliebtem Thema in Ratgeber-Romanzen und Feelgood-Movies, geht es in dem ZDF-Sonntagsfilm „Jella jagt das Glück“. Eine moderne, emanzipierte Frau meint, sie müsse die Familie auch noch im Rentenalter kontrollieren, sie ist sich sicher, dass nur sie mit ihrer Lebenserfahrung und ihrer Strukturiertheit dem Glück ihrer Kinder auf die Sprünge helfen könne. Dass sich diese Annahme als Trugschluss erweist – davon erzählt die erfreulich andere „Herzkino“-Dramödie mal mit komödiantischem, mal nachdenklichem Unterton. Das Geschehen wird einem zwar vornehmlich nahegebracht aus der Sicht der Heldin, dennoch hat jede Figur ihre eigene Geschichte. Man erkennt Jellas Motive, also auch ihre guten Absichten, muss dann aber – wie sie selbst – feststellen, dass das, was sich diese Frau, die immer den Durchblick zu haben glaubt, da zusammengereimt hat, nur die halbe Wahrheit ist. Dass die Kinder über vieles in der Vergangenheit mit ihrer Mutter nicht geredet haben und so kleine bis große Geheimnisse in der ach so aufgeklärten Familie entstanden sind, hat gute Gründe: Die Kinder kennen ihre Mutter und deren Kontrollzwang. Die Verhaltensmotive sind also psychologisch gut grundiert. Auch das Nord-Süd-Gefälle, was Mentalitätsfragen und den Umgang mit Gefühlen angeht, schwingt stimmig & dezent im Hintergrund mit. Und die Selbstverständlichkeit, mit der eine homosexuelle Beziehung in einen Unterhaltungsfilm integriert wird, erweist sich als der gesellschaftspolitisch deutlich bessere Weg als dem Thema einen ganzen Film („Vier kriegen ein Kind“) zu widmen.
Soundtrack: Isley Brothers („This Old Heart Of Mine“), Nina Simone („My Baby Just Cares For Me“), Eddie Cochran („Summertime Blues“), Diana Ross & The Supremes („You Can’t Hurry Love“), Dean Martin („Tik-A-Tee, Tik-A-Tay)“, Martha & The Vandellas („Heatwave“), Bobby Hebb („Sunny“)
Die dramaturgische Stimmigkeit von „Jella jagt das Glück“ setzt sich fort auch bei der Besetzung. Maren Kroymann und die Art ihres Spiels trägt maßgeblich zur Glaubwürdigkeit der liberalen Grundstimmung des Films bei. Den Kopfmenschen und Kontrollfreak nimmt man ihr ab, und ihr Spiel deckt sich mit dem Grundton der Erzählung: leicht und ernsthaft. Rudolf Kowalski ist immer eine sichere Bank, wenn es um Männer geht, die sich in jeder Hinsicht zurücknehmen (können). Nicht weniger passend Valerie Niehaus und Oliver Wnuk, zwei geborene Komödianten, auch wenn sie in Enno Reeses Film nach dem Drehbuch von Sebastian Orlac (Josefine Preuß’ „Lotta“-Reihe!) sich diesbezüglich zurückhalten müssen; dafür dürfen sie umso mehr von ihrer natürlichen Leichtigkeit zeigen, diesem Spielen, das man nicht als Spiel wahrnimmt. Kein Ausfall auch bei den anderen Schauspielern: Martin Lindow, Frederic Linkemann und Amelie Plaas-Link. Dass der Familienfrieden am Ende wieder hergestellt wird, gehört zum Muster der Dramödie und auf dem Sendeplatz des „Herzkinos“ ist auch nichts anderes zu erwarten. Aus der Anlage der Geschichte heraus ist das Happy End aber auch durchaus logisch: Lange Zeit wurden brisante Themen umschifft in dieser Familie, jetzt kommen sie geballt aufs Tapet (was äußerst komisch in einer Tischszene ausgespielt wird, in der ein Geständnis pointiert das nächste jagt). Danach heißt es Wunden lecken. Aber auch die eine oder andere Einsicht setzt sich durch, man spricht wieder (oder erstmals) offen miteinander, ohne dass der Film trotz einer Musik, die allzu deutlich den Sendeplatz markiert, ins Moralinsauer-Süßliche abdriften würde. Und so gehört „Jella jagt das Glück“ neben „Die Braut sagt leider nein“ und „Inga Lindström – Liebesreigen in Samlund“ dieses Jahr zu den wenigen Ausreißern nach oben im „Herzkino“. (Text-Stand: 27.7.2017)