Er ist Scotland Yards bester Mann: Inspektor Jury, ein melancholischer Mittvierziger. Ein Einzelgänger, der keine Waffe trägt und wenig von sich preisgibt, dafür umso aufmerksamer sein Gegenüber studiert. In der Dorfidylle von Long Piddleton bekommen seine grauen Zellen viel zu tun. Leiche folgt auf Leiche – und auch an seltsamen Menschentypen, die als Mörder in Frage kommen, besteht kein Mangel. Da sich aus der Gegenwart kein Tatmotiv ergibt, durchpflügt Jury, unterstützt von seinem fleißigen, dauererkälteten Assistenten Sergeant Wiggins, die Vergangenheit – und stößt auf einen nicht aufgeklärten Mord & einen ominösen Reitunfall. Dabei kommt eine schöne Frau ins Spiel, aber auch ein ziemlich anstrengender englischer Aristokrat: Melrose Plant, hochintelligent, witzig und sehr aufdringlich, ein Snob, der dem Mann aus London bald nicht nur mit seinem Rolls Royce zu Diensten ist.
Ein Krimi aus einer anderen Welt. „Inspektor Jury – Der Tote im Pub“ beginnt wie ein Edgar-Wallace-Krimi (ein Keller, das Licht geht aus, eine Metall-Schlinge, ein Schatten), pendelt sich dann aber bald ein auf einen Miss Marpleschen Mikrokosmos, in dem Leichen die liebevolle Naturstein-Fassade eines landschaftlich reizvoll gelegenen englischen Dörfchens pflastern. Es ist kein Zufall, dass hier eine schrullige Tante aus Amerika namens Agatha (Katharina Thalbach gibt diese köstliche Type) auftaucht, die sich als Kriminalschriftstellerin ausgibt. Die Krimis um jenen „einsamen Wolf“ von Scotland Yard hat sich Martha Grimes ausgedacht – eine Amerikanerin. Ihr Vorbild ist unverkennbar die Mutter des Whodunit: Agatha Christie.
Foto: ZDF / John Harding
Wenn schon Mörderraten im Fernsehkrimi, mit dem ja in der Regel ein handlungsgeleitetes, psychologiearmes Ermitteln einher geht – dann hat diese traditionsreiche, leicht ironische Referenzspur schon etwas für sich. Edzard Onnekens Film nach dem Drehbuch von Günter Knarr weist von der ersten Minute an jede Realitäts(zu)hörigkeit, wie sie viele Zuschauer vom Fernsehfilm instinktiv fordern, und vor allem jenes (auch von Kritikern oft so penetrant vertretenes) Glaubwürdigkeitsdogma weit von sich. Auch ein weiterer beliebter Mythos der Fernsehkritik, die „Authentizität“, wird von diesem ZDF-Krimi-Einzelstück mit deutlicher Option auf mehr von vornherein mit Füßen getreten: So wurde die Vorlage einer amerikanischen Autorin in der englischen Provinz mit einem deutsch-österreichischen Ensemble realisiert; Jury wird von einem Wiener, Dandy Melrose Plant von einem gebürtigen Sachsen und Tante Agatha von einer waschechten Berliner Schnauze verkörpert. Was bei den Pilcher- und Donna-Leon-Verfilmungen zumindest anfangs höchst seltsam anmutete, ergibt in diesem augenzwinkernden, verspielten Umfeld ein durchaus stimmiges Ganzes.
Fazit: „Inspektor Jury – Der Tote im Pub“ ist ein heller, halbkomischer, das „very“ britische Ambiente zitierender Rätselkrimi. Er wirkt altmodisch, ist aber durchaus flott – und was Schauplätze und Landschaft angeht – höchst telegen erzählt. Die Besetzung stimmt. Ein kurzweiliger Familienkrimi, der eine Genre-Leerstelle füllen könnte.