Als die Privatsender ihr Nachmittagsprogramm noch mit Talkshows bestritten, gab es regelmäßig Sendungen mit Titeln wie „Hilfe, ich liebe den Freund meiner Schwester!“. Der „Inga Lindström“-Film „Liebesreigen in Samlund“, der gar nicht von Inga Lindström (alias Christiane Sadlo), sondern von Kirsten Peters ist, erzählt die Geschichte zu diesem Talkshowtitel. Und weil das so gut funktioniert, verarbeitet Peters gleich noch einen zweiten Notruf: „Hilfe, mein Vater ist schwul!“ Fast hätte sich noch ein dritter ergeben („Hilfe, meiner Teenager-Tochter ist schwanger!“), aber das wäre dann doch zuviel des Guten gewesen.
Das „Herzkino“ im ZDF ist ja eine Art Wundertüte, bei der man nie weiß, ob man eine flotte romantische Komödie oder eine öde Ansammlung einfallslos zusammengerührter Klischees zu erwarten hat. Mit „Liebesreigen in Samlund“ gelingt dem komödienerfahrenen Regisseur Ulli Baumann das Kunststück, eine erwartbare Geschichte mit oft gesehenen Figuren so zu erzählen, dass sie dennoch Spaß macht, selbst wenn sich seine Inszenierung auf im besten Sinne solides Handwerk beschränkt; die Führung der Darsteller allerdings ist vorzüglich. Außerdem hat sich Peters eine interessante Hauptfigur ausgedacht: Sylvie (Anja Knauer) ist die Autorin einer in ganz Schweden beliebten Kolumne für Fragen der Lebensberatung. Weil sie fürchtet, dass es mit ihrem ruhigen Leben vorbei wäre, wenn die Menschen ihren wahren Namen kennen, beantwortet sie die Fragen ihrer Leser unter dem Pseudonym „gute Greta“; nur ihre Verlegerin und Freundin (Elisabeth Baulitz) kennt ihre Identität. Da Sylvie zudem die Beschaulichkeit schätzt, bricht sie ihre Zelte in Stockholm ab und zieht samt ihrer 15jährigen Tochter Hannah (Jule-Marleen Schuck) zurück nach Samland, wo sie aufgewachsen ist. Auf der Fähre lernt sie Sven (Ole Eisfeld) kennen, der von Gretas Kolumne schwärmt und auch sonst ihr Herz erwärmt; zum ersten Mal seit ihrer Scheidung kann sie sich vorstellen, sich auf einen Mann einzulassen. In Samland erfährt sie, dass auch ihre Schwester Linnea (Nikola Kastner), deren Beziehungen bislang nie besonders lang zu dauern pflegten, endlich den Mann ihres Lebens gefunden hat; und natürlich ist es niemand anders als Sven.
Foto: ZDF / Britta Krehl
Nun beginnt ein stürmischer Reigen, in dessen Zentrum Sylvie, die eine kleine Kontrollneurose hat, hilflos mit ansehen muss, wie um sie herum das Chaos ausbricht; ausgerechnet die nie um eine Antwort verlegene Ratgeberin weiß für sich selbst keinen Rat mehr. Anja Knauer spielt das sehr sympathisch und glaubwürdig, ohne dabei übers Ziel hinauszuschießen. Sylvie schmiedet gern Pläne und reagiert ungehalten, wenn diese dann durchkreuzt werden, aber diese Eigenart ist weit davon entfernt, pathologisch zu sein; sie mag es einfach, wenn die Dinge an ihrem Platz sind. Peters hat einen schlichten, aber treffenden Weg gefunden, um zu illustrieren, wie das Leben ihrer Hauptfigur in Unordnung gerät: Kurz nach ihrem Umzug steht Vater Karl (Max Herbrechter) vor der Tür, bittet um Asyl und hat nichts Besseres zu tun, als erst mal die Möbel umzustellen. Fußballreporter sprechen gern von Automatismen, die nicht mehr funktionieren, und so ist es auch bei Sylvie: Sie kommt heim und lässt ohne hinzuschauen ihren Schlüsselbund auf das Tischchen neben der Haustür fallen; aber das steht gar nicht mehr da. Das gleiche geschieht mit ihrem Leben, denn um sie herum scheinen alle verrückt zu spielen: Karl entpuppt sich als schwul, ihre Mutter Viktoria (Sabine Vitua) hat einen Geliebten, Tochter Hannah hat sich gleich am ersten Tag in der neuen Schule verliebt, fürchtet, sie sei schwanger, streitet sich mit Sylvie und zieht zu Viktoria; dafür zieht nach Karl auch Linnea ein. Und dann ist da noch die Sache mit Sven, den sie gebeten hat, Linnea nicht einzuweihen, weshalb die Szenen zu dritt einen amüsanten Subtext haben, erst recht, als Linnea ihre Schwester mit Svens gutem Freund Lars (Robert Seeliger) verkuppeln will und sich die beiden Männer einen Wettstreit liefern, wer Sylvies literarische Werke besser kennt.
„Neurosen, offene Ehe, skurriler Slapstick und ein Burt-Bacharach-Song beim ZDF-‚Herzkino‘ – Kurioses Unikum, entwaffnend gespielt.“ (TV-Spielfilm)
Foto: ZDF / Britta Krehl
Die im Großen und Ganzen natürlich vorhersehbare Geschichte funktioniert, weil Peters im Detail häufig für kleinere und größere Überraschungen sorgt und viele Entwicklungen sehr schön eingefädelt hat; und weil die Schauspieler ausgesprochen gut miteinander harmonieren. Mindestens so wichtig wie die Darstellung von Sven war daher die Besetzung von Lars. Meist sind die Nebenbuhler im ZDF-Sonntagsfilm von vornherein chancenlos, weil die Macher den Fehler begehen, den männlichen Protagonisten mit einem uncharismatischen Langweiler konkurrieren zu lassen. Hier ist es umgekehrt: Robert Seeliger (wie schon zuletzt vorzüglich von Philipp Moog synchronisiert) ist ein echter Kerl, und Lars ist als Anwalt, der sich für Umweltaktivisten einsetzt, auch sonst ein Hauptgewinn; Ole Eisfeld dagegen ist eher ein Mann für den zweiten Blick. Dafür ist Sven Buchhändler und deshalb ein Seelenverwandter Sylvies.
Auch die Nebenfiguren sind mehr als bloß stereotype Stichwortgeber, zumal die Beziehung von Karl und Viktoria weitaus komplexer ist, als es zunächst den Anschein hat. Ein Sonderlob gebührt der jungen Jule-Marleen Schuck, die als aufmüpfiger Teenager zwar eine tolle Rolle hat, aber auch richtig gut spielt. Die Dialoge sind ohnehin flott und bissig, aber für Hannah hat sich Peters einige ganz besondere Momente ausgedacht. Das Drumherum ist zwar nicht weiter auffällig, aber Baumann, der als Regisseur der RTL-Klassiker „Nikola“ und Ritas Welt“ vielfach ausgezeichnet worden ist und dessen Filmografie tatsächlich auch eine Arbeit mit dem Titel „Ich liebe den Mann meiner besten Freundin“ aufweist, hat das Drehbuch mit der richtigen Unbeschwertheit umgesetzt. Eine einzige Einstellung fällt aus dem Rahmen: Als Sylvie klar wird, dass ihre Fährenbekanntschaft Linneas neuer Freund ist, setzt Baumann den Vertigo-Zoom ein, um den Schock zu verdeutlichen. Ansonsten aber sind die Bilder stets bunt und warm, sodass die Atmosphäre allen Kalamitäten zum Trotz sehr lebensfroh ist. Deshalb ist „Liebesreigen in Samland“ ein kurzweiliger, sympathischer Zeitvertreib und echtes Wohlfühlfernsehen. Ein echtes „Inga-Lindström“-Highlight. (Text-Stand: 26.1.2017)