Hindafing

Brückner, Giebel, Braun, Tschiersch: Schrill-schräger Serien-Blick auf Bayern

Foto: BR / Günther Reisp.
Foto Volker Bergmeister

Ein Bürgermeister verstrickt sich in die Intrigen, die er selber spinnt. Ein Biometzger macht üble Geschäfte mit ukrainischen Schlachtabfällen. Beide gemeinsam wollen in dem kleinen Ort „Hindafing“ ein Erlebnis-Einkaufszentrum mit dem klangvollen Namen Donau Village errichten und damit absahnen. Doch dann soll auf Drängen des Landrats statt dem Öko-Shopping-Paradies eine Flüchtlingsunterkunft ins Dorf kommen. Die neue 6-teilige Serie „Hindafing“ ist ein schwarzhumoriger, politisch unkorrekter, zuweilen auch etwas unausgegorener Spaß, geschrieben und inszeniert von einem jungen Team. Frisch-freche Unterhaltung aus der bayerischen Provinz, der man aber auch die coolen amerikanischen Vorbilder ansieht.

Im Mittelpunkt steht die kleine fiktive Gemeinde Hindafing mit ihrem selbstherrlichen und hoch verschuldeten Bürgermeister Alfons Zischl (Maximilian Brückner). Der will mit seinem alten Spezl, Bioschlachter Sepp Goldhammer (Andreas Giebel), an der Stelle der alten Kriegskonservenfabrik der Goldhammers ein modernes Bio-Shopping-Paradies errichten, das den klangvollen Namen Donau Village trägt. Alles läuft nach Plan. Doch dann macht Landrat Pfaffinger (Jockel Tschiersch) dem verschuldeten Bürgermeister ein unmoralisches, aber äußerst verlockendes Angebot. Zischl soll Zugriff auf die Schwarzgeldkonten seines verstorbenen Vaters erhalten, wenn er im Gegenzug in Hindafing 50 Flüchtlinge aufnimmt. Als Ort würde sich am besten das Gebäude eignen, in dem eigentlich das Donau Village geplant war. Zischl lässt sich auf den Deal ein und fordert so nicht nur den Unmut von Sepp Goldhammer heraus. Auch seine Frau Marie (Katrin Röver), die leidenschaftlich gerne malt und eine kleine Galerie im Center bekommen soll, und Vereinsmeier Karli Spitz (Heinz Josef Braun), dessen Tochter Jackie (Kathrin von Steinburg) dort einen Friseursalon eröffnen will, sind von den Plänen des Bürgermeisters alles andere als begeistert und schießen zurück. Kaum sind die Flüchtlinge angekommen, werden die Turbulenzen immer größer. Pfarrer Krauss (Michael Kranz) verliebt sich in den jungen Afrikaner Amadou (Joel Sansi), der türkischstämmige Dorfpolizist Erol Yildirim (Ercan Karacayli) ermittelt heimlich gegen Zischl wegen dessen Verstrickungen ins Drogenmilieu, Karli Spitz will sich plötzlich wieder daran erinnern, wer vor Jahren seine Tochter (Spitzname: die unbefleckte Empfängnis) geschwängert hat und ein zwielichter Typ namens Slomka (Wolfgang Maria Bauer) will beim Bürgermeister Drogenschulden eintreiben. Und auch Goldhammer hat so seine Probleme: Auf seinem Hof entdecken Inspekteure ukrainische Fleischabfälle. Alles bio – oder was?

HindafingFoto: BR / Günther Reisp.
Nur beim Fußball herrscht Eintracht. Zischl (Maximilian Brückner), Sepp Goldhammer (Andreas Giebel), Gabi Goldhammer (Petra Berndt) und Karli Spitz (Heinz Josef Braun)

So mancher Kommunalpolitiker dürfte entsetzt sein: So durchgeknallt hat man wohl noch nie einen Bürgermeister gesehen. Der kokst, was das Zeug hält, ist korrupt, machtgeil, spielt jeden gegen jeden aus, weiß clever jede Situation für sich zu nutzen. Doch, und das macht den besonderen Reiz der Serie aus, letztlich verheddert er sich stets selbst in seinen Intrigen. Man merkt den Machern an vielen Stellen an, welche Serien sie beeinflusst und wohl auch inspiriert haben (das wird schon äußerst gelungenen Vorspann sichtbar). Da ist Walter White aus „Breaking Bad“, der sich auch immer mehr hinein reitet und ähnlich geschunden durch die Szenerie stolpert wie Alfons Zischl. Da ist Frank Underwood in „House Of Cards“, der für den Machterhalt auch – obgleich anders – über Leichen geht. Da ist „Twin Peaks“, eine Kleinstadt, hinter deren idyllischer Fassade sich ein Labyrinth aus Sex, Drogen, Lügen und Gewalt verbirgt. All das findet man auch in dem Ort „Hindafing“. Das Dorf ist nur auf den ersten Blick ein bayerisches Idyll. Hier gibt es Kokain, Affären, Korruption, Machthunger, Geldgier und Flüchtlingspolitik als Spielball eigener Interessen. Das alles reißt Bürgermeister Zischl in die Katastrophe. Durch seine Intrigen und Spielchen kommen Stück für Stück kleine Geheimnisse, alte Sünden und vergrabene Leichen der Dorfgemeinde ans Licht.

Das ist teilweise angenehm verschachtelt erzählt. Das Drehbuch stammt von Niklas Hoffmann, Rafael Parente (beide konzipierten auch die ZDFneo-Serie „Blockbustaz“) und Boris Kunz (der drehte die Tragikomödie „Daniels Asche“ und als HFF-Abschlussfilm die Liebeskomödie „Drei Stunden“), der hier auch Regie führt. So richtig rund und flüssig ist das alles noch nicht immer. Zu schwankend ist die Qualität der einzelnen Szenen, manches wirkt unausgegoren, anderes – wie beispielsweise die Szene auf dem Fußballplatz – gerät ein wenig hölzern. Doch der innovative Anteil überwiegt deutlich. Viele Sequenzen stecken voll sprudelnder Ideen, sind schrill, schräg und herrlich pointiert. Da stimmt das Timing. Was die Macher wollen, ist spür- und sichtbar, auch wenn manch Straffung der Serie gutgetan hätte.

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Ein seltsamer Heiliger. Krauss (Michael Kranz). Ein schwuler Pfarrer im Bayernland?! Anything goes in „Hindafing“.

Hintergrund:  Das Konzept von „Hindafing“ ist aus einer Serienausschreibung des Bayerischen Rundfunks in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Fernsehen und Film München hervorgegangen. Die Bücher zur Serie entstanden dabei im Writersroom der Produktionsfirma NEUESUPER. Den Prinzipien des skandinavischen Shared-Vision-Prinzip folgend, schrieb Produzent Rafael Parente gemeinsam mit Autor Niklas Hoffmann und Regisseur Boris Kunz an den Folgen. Alle wichtigen Entscheidungen wurden gemeinschaftlich getroffen.

So eine ambivalente Figur wie diesen Alfons Zischl gab es früher in deutschen Serien nicht, hier haben die Vorbilder aus den USA eine Menge in Bewegung gebracht. Zischl schwankt stets zwischen Gut und Böse, agiert immer haarscharf vor der Katastrophe. Ein guter Kerl und ein Kotzbrocken zugleich, zu dem man Empathie entwickelt kann, aber im nächsten Moment als Zuschauer sofort wieder auf (moralische) Distanz geht. Maximilian Brückner („Pregau“) gibt dieser Rolle Intensität und Tiefe, spielt die harten Szenen auch richtig hart. Ob ihm dabei seine Erfahrung als Gemeinderat seines Heimatdorfs Riedering geholfen hat, sei mal dahin gestellt. Die Serie lebt von der Überhöhung des Lebens in der Provinz, von der Überspitzung der agierenden Charaktere, will das Landleben satirisch, schwarzhumorig und modern beleuchten. Keine Postkarten-Idylle, keine Alpen-Panorama-Ästhetik, man spielt auch nicht einmal mit den bekannten Motiven. Der Mikrokosmos Hindafing ist von Regisseur Kunz atmosphärisch gut eingefangen, die Locations mit viel Überlegung ausgewählt. Das fängt schon beim Rathaus an, das kein historisches Gebäude ist, sondern eine typische Bausünde aus den siebziger Jahren, ein liebloser, kalter Zweckbau in Beton.

HindafingFoto: BR / Günther Reisp.
Die Spitzens haben ihre Pläne… Kathrin von Steinburg, Frederic Linkemann & Heinz Josef Braun

Der Traum vieler Dörfer vom Aufschwung durch Ansiedelung moderner Unternehmen oder den Bau eines großen Einkaufszentrums nimmt die Serie als Ausgangsidee. Dabei spielt sie mit aktuellen Ökotrends genauso wie mit der Angst mancher Gemeinden vor der Aufnahme von Flüchtlingen. Was am Anfang witzig beginnt, nimmt im Verlauf der sechs Folgen deutlich an Brisanz und Härte zu. „Wir versuchen, aktuelle Themen zu streifen, politische Diskussionen anzureißen und unsere Figuren dabei zu begleiten, wie sie damit umgehen“, sagt Rafael Parente. Herrlich frech, frisch und politisch alles andere als korrekt ist das Figurenkonstrukt: Der Priester homosexuell, der türkische Polizist preußisch-korrekt und „deutscher als die Deutschen“, der Bürgermeister drogensüchtig, korrupt und ein Weiberheld, die Frauen treiben es ähnlich bunt wie die „Vorstadtweiber“, der Biometzger (eine Rolle wie geschnitzt für Andreas Giebel!) ein Betrüger. Man traut sich was… und das tut der Serie gut. Man merkt dem jungen Team seinen anderen soziokulturellen Hintergrund an: Hier wird nicht so verschmitzt und liebevoll erzählt wie es in Bayern beispielsweise ein Franz X. Bogner („Schexing“) macht, bei diesen jungen Wilden geht es zur Sache. Dabei gelingt der Spagat zwischen Überspitzung und dem für die Glaubwürdigkeit des Ganzen nötigen Realismus nicht immer, aber die Einarbeitung kleiner und großer Themen – von der Flüchtlingsproblematik über „Fracking“ bis zu kleinen Skandalen wie der gesponserten Geburtstagsfeier des Miesbacher Ex-Landrats Kreidl – machen die Serie zu einem durchdachten Vergnügen auf der Höhe der Zeit. Und die teilweise jazzig angehauchte Musikuntermalung (Musik: David Reichelt) gibt der Produktion auch eine besondere Klang-Note. (Text-Stand: 25.4.2017)

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BR

Mit Maximilian Brückner, Andreas Giebel, Michael Kranz, Katrin Röver, Heinz Josef Braun, Bettina Mittendorfer, Ercan Karacayli, Roland Schreglmann, Petra Berndt, Jockel Tschiersch, Johanna Bittenbinder, Kathrin von Steinburg

Kamera: Tim Kuhn

Szenenbild: Marcel Beranek

Schnitt: Katja Beck

Musik: David Reichelt

Produktionsfirma: Neuesuper

Drehbuch: Niklas Hoffmann, Rafael Parente, Boris Kunz

Regie: Boris Kunz

EA: 16.05.2017 20:15 Uhr | BR

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